Als der österreichische Regisseur Jörg Kalt („Crash Test Dummies“) im Jahr 2007 Suizid beging, steckte er gerade mitten in den Vorbereitungen für seinen nächsten Spielfilm „Stadt Land Tier“. Sein polnischer Kollege Greg Zglinski hat das Drehbuch damals im Rahmen seiner Tätigkeit als Kommissionsmitglied der Züricher Filmstiftung gelesen – und war so berührt von der Geschichte (obwohl er sie nach eigener Aussage zuerst gar nicht verstanden hat), dass er den Stoff ein Jahrzehnt später nun selbst verfilmt hat. Wie sehr das Skript den Regisseur gepackt hat, ist auch dem fertigen Film anzumerken – Zglinski überträgt seine Faszination für den mit viel schwarzem Humor durchsetzten, lynchesken Psychothriller auf den Zuschauer. Gleichzeitig ist aber auch die ursprüngliche Unsicherheit, die in der Bemerkung des Regisseurs mitschwingt, das Drehbuch „nicht verstanden“ zu haben, noch dem fertigen Film anzumerken - und sie erweist sich nicht unbedingt als produktiv. Zglinski kann oder will sich nicht zu einer eindeutigen Lesart des fremden Drehbuchs durchringen, sobald sich auch nur Ansätze von Erklärungen andeuten, driftet er ins gewollt Unklare ab. So ist „Stad Land Tier“ zwar vielfältig interpretierbar, aber die erzählerische Verschleierungstaktik des Regisseurs schiebt sich im Verlauf des Films so stark in den Vordergrund, dass es kaum noch auf die verschiedenen Auslegungen des Gesehenen selbst anzukommen scheint. Der Bedeutungsüberschuss führt zunehmend zu Banalität und Beliebigkeit.
Nick (Philipp Hochmair) und Anna (Birgit Minichmayr), in deren Ehe es stark kriselt, planen eine sechsmonatige Auszeit in der Schweiz. Der Koch will dort Rezepte sammeln, während die unter einer Schreibblockade leidende Kinderbuchautorin ihren ersten Roman für Erwachsene verfassen will. Dass sie (zu Recht) glaubt, dass er fremdgeht, ist der Stimmung dabei nicht gerade förderlich. Zudem wird schon die Fahrt ins Nachbarland von düsteren (Mord-)Visionen begleitet und kurz vor dem Ziel kommt es zu einem Unfall mit einem Schaf. Um die Wiener Wohnung des Paares kümmert sich derweil Mischa (Mona Petri), die nach einer Kopfverletzung mit Arzt Tarek (Mehdi Nebbou) anbandelt. Bald steht aber auch Blumenverkäufer Harald (Michael Ostrowski) vor ihrer Tür. Er glaubt felsenfest, Mischa sei seine Ex Andrea (ebenfalls Mona Petri) aus dem Stock darüber, die mit Nick eine Affäre hatte und sich mit einem Sturz aus dem Fenster umgebracht hat. Auch Anna meint, in der Schweiz in einer Eisverkäuferin (erneut Mona Petri), die mit Nick unverhohlen flirtet, Nachbarin Andrea zu erkennen. Das bestätigt ihr auch eine mit ihr sprechende (!) Katze...
Schon mit der allerersten Kamerafahrt wird klar, dass „Stadt Land Tier“ ein Verwirrspiel ist: Andrea stürzt sich aus dem Fenster und schlägt sogar hörbar auf dem Boden auf - aber als die Kamera dann langsam die Hausfassade nach unten gleitet, gehen die Dinge auf der Straße ihren gewohnten Gang - von der Leiche keine Spur. Zudem deutet Zglinski früh an, dass die Realität in seinem Film eine unzuverlässige Sache ist – so fahren Nick und Anna zum Beispiel am helllichten Tag in einen Tunnel und verlassen diesen wieder in düsterster Nacht. Auch die beiden Handlungsstränge in den Schweizer Bergen und der Wiener Wohnung müssen sich – obwohl parallel montiert – nicht unbedingt zeitgleich ereignen: Erst seit gestern wähnt sich Anna in den Bergen und der Zuschauer ist geneigt ihr zuzustimmen - doch dann erklärt Nick am Esstisch, dass der Trip bereits zwölf Tage dauere. Immer wieder versucht Nick das der sichtlich verstörten Anna deutlich zu machen, bis deren Stimme plötzlich aus dem Off erklingt – aber mit wem hat sich Nick dann gerade unterhalten? Zglinski setzt immer wieder auf solche Kniffe – so lässt er uns einen verqueren Albtraum aus der Perspektive einer Figur erleben, um ihn dann als Vision eines anderen Charakters zu entlarven (oder vielleicht auch nicht).
Frage um Frage wird aufgeworfen: Warum hat Arzt Tarek bei der Behandlung von Mischa nur neun Finger, bei ihrem zweiten Treffen aber plötzlich alle zehn? Und was hat es mit den mysteriösen Türen auf sich, die sich sowohl in der Hütte als auch in der Wohnung finden und die Anna beziehungsweise Mischa nicht öffnen können? Mit all diesen kleinen Rätseln, starken Bildern mit deutlichen Horror-Anleihen und dem oftmals nur aus Gitarrenstücken bestehenden, düsteren Score zieht Zglinski den Zuschauer in seinen Psychothriller hinein, obwohl einem die durchweg unsympathischen und oftmals wenig nachvollziehbar handelnden Figuren ziemlich gleichgültig bleiben. Ihr Schicksal ist nur soweit von Interesse, wie es für die Aufklärung der Rätsel eine Rolle spielt. Aber letztlich bleibt Zglinski zu diffus: Mit zunehmender Spieldauer verfestigt sich der Eindruck, dass viele der plötzlichen Perspektivenwechsel gar keinen tieferen Sinn haben, dass Szenen in der Schweiz und in Wien nicht aufeinanderfolgen, weil sie auf besondere Weise verbunden sind, sondern nur, weil so ein Höchstmaß an Verwirrung erreicht wird. Das nimmt „Stadt Land Tier“ viel von seiner Wirkung. Wir werden nie erfahren, was sich (wenn überhaupt etwas) Jörg Kalt bei seiner verworrenen Geschichte gedacht hat, aber in Zglinskis Film ist das Spiel mit verschiedenen Realitäts- und Zeitebenen am Ende vor allem eins: Show.
Fazit: Eine streckenweise faszinierende Psychothriller-Fingerübung – aber am Ende bleibt dann doch mehr Schein als Sein.
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo der Film unter dem Titel „Tiere“ in der Sektion Forum gezeigt wird.