Grausam ist die überlieferte Geschichte um die Märtyrerin Agatha von Catania: Weil das gottgeweihte Mädchen zur Bewahrung seiner Jungfräulichkeit den Heiratsantrag eines römischen Statthalters ablehnte, soll man sie zur Bekehrung zunächst in ein Freudenhaus verschleppt, ihr anschließend die Brüste abgeschnitten und sie zuletzt bei lebendigem Leibe verbrannt haben. Die Protagonistin in Darren Lynn Bousmans „St. Agatha“ erhält bei ihrem Einzug in ein abgeschiedenes Kloster nun nicht von ungefähr den Namen ihres heiligen Vorbilds. Die eigentlich Mary genannte junge Frau soll nach Auffassung der dort anwesenden Nonnen Böses getan haben und die darauffolgenden Qualen, die das Mädchen über sich ergehen lassen muss, sind mindestens genauso barbarisch wie die der Märtyrerin Agatha. Der Regisseur von „Saw 2“ und „Mother’s Day“, der sich in den vergangenen Jahren vorwiegend mit B-Klasse-Genreware über Wasser gehalten hat, inszeniert sein hochatmosphärisches Horrordrama mit jeder Menge Kritik an der Institution Kirche und liefert damit seine beste Arbeit seit dem Kult-Musical „Repo! The Genetic Opera“ ab.
Eine US-amerikanische Kleinstadt im Jahr 1957: Mary (Sabrina Kern) kommt aus einem gewalttätigen Elternhaus, hat sich kürzlich von ihrem Freund getrennt und erwartet ein Baby. Diese Kombination kommt zum damaligen Zeitpunkt einer Sünde gleich. Um es nicht allein großziehen zu müssen, geht sie auf das Angebot einer Geistlichen ein und zieht in ein abgelegenes Kloster. Hier erhält sie ihren neuen Namen und zunächst auch Unterstützung in ihrer prekären Situation. Doch mit der Zeit ahnt sie, dass hinter den vermeintlich Zuflucht bietenden Mauern etwas nicht stimmt. Die undurchsichtige Mutter Oberin (Carolyn Hennesy) schottet Agatha, wie sie nun genannt wird, von den anderen ab und hegt ein auffälliges Interesse für deren ungeborenes Baby. Regelverstöße werden hart bestraft und Versuche, das Kloster zu verlassen, brutal unterbunden. Agatha ist gefangen in einer Institution, die ihr eigentlich helfen sollte. Von nun an wird es für sie von Tag zu Tag schlimmer …
Das Horrorgenre hängt seit jeher eng mit dem Thema Religion zusammen. Geistliche sprechen Orte heilig, treiben Dämonen aus und stehen den vom Bösen heimgesuchten Menschen hilfreich zur Seite. Daran hat sich seit dem Kultschocker „Der Exorzist“ nicht viel geändert. Umso erfrischender ist es, wenn Darren Lynn Bousman in „St. Agatha“ alles ganz andersherum angeht: In seinem Horrordrama wird das Kloster nicht zur Rettung für das vom Schicksal gebeuteltes Mädchen. Stattdessen beginnt das Grauen für Agatha erst so richtig, als sie sich in das von unheimlichen Nonnen geleitete Gemäuer begibt. Die vierköpfige Autorenschar streut von Anfang geschickt Zweifel an den guten Absichten der ominösen Ordensschwestern und sorgt so für allmählich steigerndes Unbehagen. Dabei sind es nicht nur die hier geltenden, strengen Regeln, die einen hellhörig werden lassen. Auch ihr Umgang mit den jungen Frauen, ihre Blicke und manchmal nur beiläufige Bemerkungen und Anweisungen verstärken nach und nach den Eindruck, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
Das hohe Interesse für Agathas ungeborenes Kind deutet bereits früh auf einen vermeintlichen Twist im Finale von „St. Agatha“ hin und überrascht durch seine wenig subtile Herangehensweise leider wenig. Doch hier geht es sowieso weniger um die Auflösung des Rätsels, sondern vor allem um den Weg dorthin. Und den spickt Schock-Spezialist Darren Lynn Bousman mit einigen richtig fiesen Szenen, nach denen man Nonnen als personifizierte Friedfertigkeit mit völlig anderen Augen sehen wird. Vor allem die knallharten Folterszenen, in denen Mary zwangsgefüttert und in eine sargähnliche Behausung gesperrt wird, schlagen ordentlich auf den Magen. Darüber hinaus spielt Neuentdeckung Sabrina Kern ihre erste Spielfilmrolle so stark und authentisch, dass man ihr die nackte Panik zu jedem Zeitpunkt abnimmt. Doch auch „Cougar Town“-Star Carolyn Hennesy agiert bravourös als kaltherzige Nonne, deren Dämonenhaftigkeit durch das so harmlos anmutende Äußere nur noch verstärkt wird.
Auch wenn es den vergangenen Werken von Darren Lynn Bousman nicht mehr ganz anzumerken war, so verfügt der aus Kansas stammende Regisseur immer noch über ein hervorragendes Gespür für das Schaffen unheilvoller Atmosphäre. In „St. Agatha“ dominiert von Beginn an der Kontrast zwischen warmen Orange-Farben und einem kühlen Blau-Stich, wodurch der Widerspruch betont wird, der zwischen dem vermeintlich sicheren Zufluchtsort des Klosters liegt, und dem, als was sich diese Institution später herausstellt. Dabei teilt Bousman auch ordentlich Seitenhiebe aus, mal subtiler, mal ganz offen, etwa wenn er den Nonnen per se einen übergeordneten Status als Vertrauenspersonen andichtet, der zunächst nicht in Frage gestellt wird, bis sich ihre fiesen Absichten zeigen. Der Schwerpunkt liegt aber schon allein aufgrund der Inszenierung deutlich mehr auf dem Horrorfilm als auf ernstzunehmender Kirchenkritik, doch gerade in dieser Kombination ist „St. Agatha“ ein nicht nur gelungener, sondern auch ein ganz anderer Genrefilm seiner Art.
Fazit: Mit „St. Agatha“ gelingt „Saw 2“-Regisseur Darren Lynn Bousman sein bester Film seit zehn Jahren, indem er ein vertrautes Thema komplett auf links dreht und so eine Innovation im Genre schafft.