Am Anfang steht eine falsche Fährte: Wer beim Titel „HERRliche Zeiten“ denkt, es müsse sich um eine Verfilmung des 2014 erschienenen Romans „Herrliche Zeiten“ des umstrittenen Autors, Historikers und Pornofilmers Norbert Leithold handeln, der irrt. Dessen eigenwillige Familiensaga ist zwar ein Stoff, der wie gemacht scheint für den keiner Kontroverse aus dem Weg gehenden Filmemacher Oskar Roehler („Elementarteilchen“), doch der Regisseur hat seine eigene ausufernde, generationenübergreifende Sippenchronik mit „Quellen des Lebens“ bereits gedreht. Und so ist sein neuer Film vielmehr die freie Adaption eines anderen vieldiskutierten Buches eines noch viel umstritteneren Schriftstellers: „Subs“ von Thor Kunkel. Der im Nebenberuf als PR-Berater tätige Autor des Skandalromans „Endstufe“ geriet zuletzt in die Schlagzeilen, weil er an der Kampagne der AfD im Bundestagswahlkampf 2017 beteiligt war. Aber Roehler und sein Drehbuchautor Jan Berger („Der Medicus“) sind nicht daran interessiert, aus der Buchvorlage von 2011 etwaiges rechtes Gedankengut herauszudestillieren, sondern sie nehmen die Grundkonstellation von Kunkels ätzender Gesellschaftssatire über die Wiederkehr der Sklaverei als Sprungbrett für eine ganz eigene Vision: Mit gewohnt groben Pinselstrichen und ungebrochenem Selbstbewusstsein erzählt Roehler in seiner entlarvenden Groteske von den monströsen Tendenzen des Menschen.
Der Schönheitschirurg Claus Müller-Todt (Oliver Masucci) lebt mit seiner Frau, der Gartenbauexpertin Evi (Katja Riemann), in einer schicken Villa im Grünen. Sie führen ein komfortables, aber etwas ödes Leben, in dem die ausschweifenden Partys des schwerreichen Arabers Mohammed (Yasin el Harrouk) auf dem Nachbargrundstück noch für die größte Aufregung sorgen. Schließlich hat Claus in Weinlaune eine Schnapsidee und gibt online eine Anzeige auf: Sklave/Sklavin gesucht. Am nächsten Tag rennen ihnen Männer und Frauen in Lack und Leder die Bude ein. Nur mit Mühe kann Claus die Leute davon überzeugen, dass er einen Scherz gemacht habe und nur eine ganz gewöhnliche Haushaltshilfe benötigt wird. Doch dann steht noch ein weiterer Bewerber vor der Tür: Bartos (Samuel Finzi) wirkt wie ein seriöser Geschäftsmann, stellt sich als bankrotter Ex-Hotelbesitzer vor und bietet gegen Kost und Logis einen Rundum-Sorglos-Service als Diener, Koch, Gärtner und Klempner an. Die Müller-Todts vereinbaren eine Probezeit mit Bartos, der sie gemeinsam mit seiner Frau Lana (Lize Feryn) umfassend verwöhnt. Doch er hat den Ausdruck Sklave wörtlich genommen und schon bald gerät die Dynamik zwischen Herren und Dienern zunehmend außer Kontrolle…
Spätestens als Bartos eine Wagenladung Bulgaren anschleppt, die für einen später mit großer Geste um 50 Cent erhöhten Stundenlohn von 2 Euro (!) einen Swimmingpool im Garten der Müller-Todts ausheben sollen und die Hausherren das ohne große Skrupel akzeptieren („Die sind unmenschliche Arbeitsverhältnisse gewöhnt“, beruhigt sie Bartos), wird klar, dass es auch in Oskar Roehlers Film ums große Ganze geht – um Gier, Ausbeutung, Machtmissbrauch. Aber wo Vorlagenautor Thor Kunkel noch ein weit ausgreifendes Gesellschaftspanorama entwirft und unterschiedlichste Formen moderner Sklaverei durchdekliniert, beschränkt sich der Regisseur auf den kleinen Kosmos der Müller-Todts samt ihrer Villa und verlässt das Grundstück nur für kurze Besuche beim Nachbarn sowie kleine Abstecher in die Schönheitsklinik. Die große Politik, der Staat und seine Institutionen kommen hier nur am Rande vor, aber dafür wird es immer wieder grundsätzlich: Der Mensch sei fürs Gehorchen zu groß und fürs Herrschen zu klein, heißt es dann beispielsweise und Roehler lässt keinen Zweifel an der Triftigkeit dieses Befunds.
Wenn der von Samuel Finzi („Kokowääh“) mit sardonischer Beflissenheit gespielte Bartos den verzückten Villenbesitzern exquisite Gourmet-Menüs kredenzt, schleicht sich in die eigentlich alltägliche Interaktion zwischen Koch/Kellner und Bewirteten von Anfang an etwas Irritierendes: Der Bedienstete agiert mit provozierender Unterwürfigkeit und die Verwöhnten überschreiten allzu schnell die Grenze zwischen dankbarem Genuss und gedankenloser Bequemlichkeit. Der nächste Schritt zur ausbeuterischen Schikane ist nicht mehr fern – zumindest Klaus nimmt Bartos‘ Gerede von Herren und Dienern gern für bare Münze und richtet sich in seinen Luxusprivilegien ein. Er blicke ohne Mitleid auf die Masse, lobt ihn dann auch der reiche Ölscheich von nebenan, der sich als einstiger Saddam-Scherge mit Folterkammer in der Luxusbehausung entpuppt. Es folgen einige weitere böse und häufig ziemlich offensichtliche Zuspitzungen, die mehr oder weniger amüsant, aber zugleich auch extrem konsequent sind - und daher trotz ihrer unübersehbaren Konstruiertheit immer wieder auch etwas angemessen Unangenehmes haben.
Ein großes orgiastisches Gelage nach dem Motto „Toll trieben es die alten Römer“ fällt dann hingegen eher ein bisschen schal (und zahm) aus. Stärker ist der Film in den oft nur leicht übertriebenen Alltagssituationen und Roehlers stärkste Waffe bei der Rückkopplung zum Zuschauer ist Katja Riemann: Während Oliver Masucci als Klaus wie schon als Hitler-Wiedergänger in „Er ist wieder da“ die absurden Akzente - vom Grimassieren im OP bis zum Urwaldgebrüll in Todesangst – setzt und damit in dieselbe Kerbe schlägt wie der oft ironische Musikeinsatz und andere kleine durch die effektbewusste Inszenierung hervorgehobene Lächerlichkeiten, ist Evi so etwas wie die traurige letzte Repräsentantin von Menschlichkeit und Anstand. Auch sie ist extrem verführbar, aber ihr moralischer Kompass ist immerhin noch in Teilzeit aktiv. Und wenn sie beschließt, alle ihre Medikamente abzusetzen, dann ist das so etwas wie das letzte Aufbäumen einer längst nicht mehr heilbaren Spezies.
Fazit: Oskar Roehlers zeichnet in seiner Diener-und-Herren-Groteske „HERRliche Zeiten“ ein düsteres Bild des Menschen. Das ist oft sehr offensichtlich, aber meist dennoch treffend.