Der „Tatort“ mit seinen aktuell 21 verschiedenen Ermittlerteams schwimmt auf einer Erfolgswelle: Die Einschaltquoten werden fast nur durch Länderspiele der Fußballnationalmannschaft getoppt und selbst Kinostars wie Til Schweiger, Ulrich Tukur oder Wotan Wilke Möhring gehen mittlerweile wie selbstverständlich für die öffentlich-rechtliche Krimireihe auf Täterfang. Zugleich hat sich der „Tatort“ in den vergangenen Jahren aber auch zu einer Art Spielwiese für Filmemacher entwickelt: Die Beiträge aus Wiesbaden und Frankfurt sind dem Arthouse-Kino oft näher als einem typischen TV-Krimi, in Münster und Weimar darf auf Kosten der Spannung gelacht werden, in Hamburg steht die Action im Vordergrund und in Dortmund und Berlin haben sich sogar regelrechte Miniserien mit folgenübergreifender Handlung entwickelt. Viele Freunde des traditionellen „Tatort“ sehen das eher kritisch und loben die Beiträge aus Köln, München oder Ludwigshafen, wo es weniger experimentell zugeht. Doch in der Kurpfalz ist damit jetzt Schluss: Filmemacher Axel Ranisch („Ich fühl mich Disco“) hat den mit „Tatort: Babbeldasch“, den ersten improvisierten Beitrag der Reihe aller Zeiten arrangiert – und scheitert mit diesem mutigen Experiment kolossal.
Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) lässt sich von Kriminaltechniker Peter Becker (Peter Espeloer) zu einem gemeinsamen Theaterabend überreden. Der Besuch im Ludwigshafener Mundarttheater „Babbeldasch“ endet allerdings im Drama: Die Hauptdarstellerin und Theaterleiterin Sophie Fettèr (Malou Mott) stirbt während der Vorstellung hinter der Bühne an einem allergischen Schock. In ihrem Schokoladencroissant werden Spuren von Mohn gefunden. Ein tragisches Unglück oder gezielter Mord? Während Becker gemeinsam mit Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) und Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) im Präsidium recherchiert, ermittelt Odenthal undercover unter den Schauspielern. Die Kommissarin findet heraus, dass nicht alle der Toten nachtrauern: Von Fettèrs Tod profitiert unter anderem der Vermieter Bohlmann (Harald Dimmler), der das Theater in ein Flüchtlingsheim umwandeln möchte. Auch Sophies Tochter Sarah (Petra Mott), deren Vater Sascha (Andreas Assanoff) und Sophies langjähriger Geliebter Manfred (Gerd Rohrbacher) streiten über die Fortführung des Theaters...
„Ich glaube, so viel quirlige Lebendigkeit gab es auf diesem Programmplatz noch nie“, kündigte Regisseur Axel Ranisch seinen ersten „Tatort“ auf seiner Facebook-Seite selbstbewusst an, und was soll man sagen? Der Mann hat absolut Recht! Wie seine Kinofilme drehte Ranisch auch diesen theaterhaften Impro-Krimi chronologisch und ohne ausformuliertes Drehbuch. Man muss den Mut der Laiendarsteller, für ein Millionenpublikum ohne feste Vorgaben drauflos zu schauspielern, ausdrücklich loben: Alle Schauspieler (auch die Profis) improvisierten die Szenen auf Basis eines Treatments von Drehbuchautor Sönke Andresen („Ostfriesisch für Anfänger“) und ohne Kenntnis über den Mörder. Die Darsteller des Ludwigshafener Amateurtheaters „Hemshofschachtel“ haben sichtlich Spaß an dem, was sie da treiben – ob aber auch der Zuschauer bei diesem außergewöhnlichen Experiment auf seine Kosten kommt, darf stark bezweifelt werden. Die Laienschauspieler genießen die große Bühne und legen sich mächtig ins Zeug, aber neigen dabei auch zu großen Gesten und Übertreibungen. Dadurch hat dieser „Tatort“, den der Regisseur auch als „Kriminaloperette ohne Gesang“ bezeichnet, zuweilen etwas von einer Mischung aus boulevardeskem Volkstheater und Seifenoper – wenn dann dazu klassische Orchestermusik erklingt, ist das fast als würde man edlen Champagner zum deftigen Eintopf reichen.
Bei dieser gewöhnungsbedürftigen Mischung dürfte die Einschaltquote schnell in den Keller stürzen, was auch am ausgeprägten Lokalkolorit samt starker kurpfälzischer Einfärbung der Dialoge liegt: Mit Ausnahme der Ermittler „babbeln“ fast alle heftigsten Dialekt, was selbst geübte Ohren auf eine anstrengende Belastungsprobe stellt. Über die fehlende Spannung können das turbulente Treiben und die spontanen Dialoge, aus denen auch kleinere Versprecher nicht herausgeschnitten wurden, aber nicht hinwegtäuschen: Der „Tatort: Babbeldasch“ ist ein gut gemeintes Experiment, in erster Linie aber auch ein entsetzlich langweiliger Krimi. Daran ändern ein paar gelungene One-Liner („Es hat sich ausgefuckyoubohlmannt!“), eine „Mannequin Challenge“ zu den Klängen von Edvard Griegs „In der Halle des Bergkönigs“ und eine vollkommen uninspiriert eingeflochtene Film-im-Film-Anspielung auf den Ludwigshafener „Tatort: Roomservice“ herzlich wenig. Das hat man zum Beispiel im Wiesbadener „Tatort: Schwindelfrei“ schon deutlich eleganter gesehen.
Mit einem klassischen Sonntagskrimi hat der mit verwackelten Handkamerabildern gefilmte „Tatort“ kaum mehr als die Suche nach dem Mörder gemein, und auch die grundsätzlichen Probleme der seit Jahren schwächelnden Beiträge aus Ludwigshafen treten offen zutage: Hauptkommissar Mario Kopper (Andreas Hoppe) – immerhin seit 1996 im Amt – wird mit gerade einmal vier Szenen fast komplett links liegen gelassen und verabschiedet sich mit einer nebulösen Andeutung, während Vollzeitmami und Fallanalytikerin Stern sich von heute auf morgen mit Erzfeindin Odenthal anfreundet und mit ihren plärrenden kranken Kleinkindern die halbe Mannschaft im Präsidium ansteckt. Stand in den letzten Folgen aus „LU“ noch regelmäßig der Zickenkrieg zwischen den beiden Powerfrauen auf der Tagesordnung, geht diesmal im Präsidium und beim Glas Rotwein nach Feierabend alles harmonisch seinen Gang – die Figurenentwicklung wird dadurch mit Füßen getreten, aber das scheint den Filmemachern herzlich egal zu sein. Die von schrillen Tagträumen geplagte Lena Odenthal darf sich in der letzten Sequenz sogar noch in eine böse Königin verwandeln – die groteske Krönung einer extrem schwachen, fast selbstverliebt wirkenden „Tatort“-Folge, bei dem der Zuschauer komplett auf der Strecke bleibt.
Fazit: Axel Ranischs improvisierter „Tatort: Babbeldasch“ ist ein zweifellos mutiges, aber gänzlich gescheitertes Krimi-Experiment.