Für die Titel seiner „Tatort“-Folgen aus Weimar lässt sich der MDR regelmäßig etwas Originelles einfallen: Dem humorvollen „Tatort: Die fette Hoppe“, in dem die Hauptdarsteller Nora Tschirner („SMS für dich“) und Christian Ulmen („Antonio, ihm schmeckt’s nicht!“) 2013 ihr Debüt für die öffentlich-rechtliche Krimireihe gaben, folgte 2015 der schrille „Tatort: Der irre Iwan“ und 2016 der nicht minder überdrehte „Tatort: Der treue Roy“. Neben den ausgefallenen Namen teilen die zotigen Krimikomödien aus Thüringen aber noch weitere Gemeinsamkeiten: Sie bieten skurrile Figuren im Überfluss und sprühen nur so vor Dialogwitz, was von den Fans der Reihe bisher überwiegend positiv aufgenommen wurde. In Sebastian Markas „Tatort: Der scheidende Schupo“, in dem ein todgeweihter Schutzpolizist im Zentrum der Ermittlungen steht, setzen die Filmemacher auf dasselbe Pferd: Beim vierten Einsatz der Weimarer Kommissare jagt eine Absurdität die nächste, sodass der Film zum kurzweiligen Krimispaß ohne ernsten Anspruch wird. Wer schon die ersten drei Fälle mit Tschirner und Ulmen nicht mochte, sollte den Fernseher allerdings lieber auslassen.
Hauptkommissarin Kira Dorn (Nora Tschirner) staunt nicht schlecht: Auf ihrem Schreibtisch im Präsidium steht ein üppiger Blumenstrauß. Doch die Aufmerksamkeit stammt nicht etwa von ihrem Partner und Kollegen Lessing (Christian Ulmen), sondern von einem heimlichen Verehrer – dem Schutzpolizisten Ludwig Maria Pohl (Arndt Schwering-Sohnrey), der von allen nur „Lupo“ genannt und kaum beachtet wird. Das ändert sich schlagartig, als seine bisherige Lebensgefährtin Andrea Münzer (Florentine Schara) bei einem Bombenanschlag ums Leben kommt und eine tödliche Rizin-Vergiftung bei ihm festgestellt wird: Lupo hat nur noch zwei Tage zu leben. Während Lessing und Dorn fieberhaft den Mörder suchen, hält ihr Chef Kurt Stich (Thorsten Merten) am Krankenbett Wache. Die Kommissare finden heraus, dass Lupo der Sohn des verstorbenen Besitzers einer Thüringer Porzellanmanufaktur ist und ihm ein Millionenerbe zusteht. Um das streiten auch die beiden verfeindeten Schwestern Desiree (Katharina Heyer) und Amelie Scholder (Laura Tonke), deren Freund Ringo Kruschwitz (Florian Panzner) einst von Lupo ins Gefängnis gebracht wurde. Und welche Rolle spielt seine Mutter Olga (Carmen-Maja Antoni), die Lupos Erbschaftsanspruch mit einem Vaterschaftstest durchgesetzt hat?
„Du hast Andrea in die Luft gejagt, sie wird immer noch größtenteils vermisst!“, wettert der vergiftete „Schupo“ Lupo im Krankenhaus, und nicht nur dieser gelungene One-liner macht deutlich: Die Drehbuchautoren Murmel Clausen („Der Schuh des Manitu“) und Andreas Pflüger („Der neunte Tag“), die auch die ersten drei „Tatort“-Folgen mit Nora Tschirner und Christian Ulmen konzipierten, gehen ihren humorvollen Weg weiter und haben mit ihren schrägen Beiträgen aus Weimar mittlerweile eine sehenswerte Alternative zu den populären „Tatort“-Komödien aus Münster etabliert. Während die Quotenkönige Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) ihre Fans nur noch selten zu überraschen vermögen, weiß man bei Lessing und Dorn nie, in welche Richtung sich die zu keinem Zeitpunkt ernstzunehmende Geschichte entwickeln wird: Ähnlich wie in der etwas schwächeren vorigen Folge „Der treue Roy“ sind die titelgebende Hauptfigur und die zahlreichen Nebenfiguren – Chef Kurt Stich (Thorsten Merten, „Nackt unter Wölfen“) eingeschlossen – bis ins Karikatureske überzeichnet. Realitätsnähe und Logik müssen über weite Strecken hinter Situationskomik und Albernheiten zurückstehen.
Wer sich also einen klassischen Krimi und glaubwürdige Figuren wünscht, dürfte am 1010. „Tatort“ schnell die Lust verlieren. Die Ausschläge der Spannungskurve sind in diesem zotigen Spektakel trotz einiger Schießereien und einer Verfolgungsjagd kaum messbar – stattdessen punktet der Film aber mit pfiffigem Dialogwitz, einer Anspielung auf die legendäre Häcksler-Szene im Coen-Klassiker „Fargo“ („Es ist nicht das, wonach es aussieht!“) und blendend aufgelegten Darstellern, die sichtlich Spaß haben: In den Vordergrund spielt sich vor allem Carmen-Maja Antoni („Mord mit Aussicht“) als gewitzte Rentnerin, die die Kommissare an der Nase herumführt und für den Zuschauer bis zum Schluss schwer zu durchschauen ist. Gelegentlich schießen die Filmemacher aber über ihr Ziel hinaus – zum Beispiel wenn die Ermittler im Kofferraum ihres Wagens einen großen Tank mit Exkrementen spazieren fahren müssen. Billiger Fäkalhumor, wie er dem Zuschauer 2012 im komplett missratenen „Tatort: Das Wunder von Wolbeck“ aus Münster zugemutet wurde, bleibt dem Publikum diesmal aber erspart.
Ein gewisser Streuverlust bei den Pointen ist jedoch nicht zu übersehen und auch das Lokalkolorit – ein bekanntes Markenzeichen der Krimireihe und vor allem in der ersten Weimar-Folge „Die fette Hoppe“ stark ausgeprägt – kommt diesmal etwas kurz: Außer einer kurzen Stippvisite an einer Thüringer Rostbratwurstbude ist von der Dichterstadt wenig zu sehen, weil viele Sequenzen im Krankenhaus, auf einer einsamen Landstraße oder in der traditionsreichen Porzellanmanufaktur spielen (gedreht wurde Anfang 2016 in einem großen Porzellanwerk in Kahla). In diesem nicht sehr aufregenden Umfeld hangeln sich Lessing und Dorn behäbig von Befragung zu Befragung – vor allem der fast teilnahmslos wirkenden Dorn stünde ein bisschen mehr Elan gut zu Gesicht. So bilden die Kommissare aus Weimar mit ihrer entspannten Gemütlichkeit und ihrem trockenen Witz aber zumindest einen angenehmen Gegenpol zu manch anderem exzentrischen „Tatort“-Ermittler – man denke nur an die Beiträge aus Dortmund, Hamburg oder Berlin. Den Fans von Nora Tschirner und Christian Ulmen wird es gefallen – und Freunden entspannter Krimikomödien ebenfalls.
Fazit: Sebastian Markas „Tatort: Der scheidende Schupo“ ist eine schräge, wenn auch spannungsarme Krimikomödie aus Weimar und bietet passable Unterhaltung.