In seinem Psycho(therapie)-Thriller „Der andere Liebhaber“ (die Übersetzung des französischen Originaltitels lautet passender: „Der doppelte Liebhaber“) spiegelt François Ozon („Unter dem Sand“, „Jung & schön“) so ziemlich alles, was er in die Finger kriegt und nicht bei drei auf den Bäumen ist, er spiegelt bis der Arzt kommt und als ob es kein Morgen mehr gäbe, und am Ende sieht man den Twist vor lauter Spiegeln nicht. Zwillinge und Dopplungen – der französische „8 Frauen“-Regisseur treibt diese zentralen Motive des klassischen Spannungskinos hier derart lustvoll auf die Spitze und weit darüber hinaus, dass man ihn für seine absolute Konsequenz zumindest bewundern muss (und im besten Fall hat man auch noch Spaß daran). Figuren, Einstellungen, Handlungsstränge, Motive, moderne Kunst – absolut nichts ist hier vor dem Dopplungswahn des Filmemachers sicher. Am Ende steht eine leidenschaftliche Stilübung mit verstreuten humorvollen Spitzen, einigen in Erinnerung bleibenden Provokationen und einem enttäuschenden Finale.
Die 25-jährige Chloé (Marine Vacth) hat schon länger ständig Magenschmerzen und ist sich inzwischen sicher, dass keine körperlichen, sondern psychische Probleme dahinterstecken – immerhin ist ihre aktuelle Situation nicht leicht, denn nachdem sie früher als Model gutes Geld verdient hat, sucht sie gerade erfolglos nach einem neuen Job. So landet Chloé in der Praxis von Psychotherapeut Paul (Jérémie Renier), der die Behandlung jedoch nach einigen Sitzungen wieder abbrechen muss, weil er sich in seine Patientin verliebt hat. Chloé und Paul werden ein Paar, ziehen zusammen, die Magenschmerzen sind erst einmal weg. Aber dann entdeckt Chloé in den privaten Sachen ihres Freundes einen alten Reisepass, aus dem hervorgeht, dass Paul früher einen anderen Familiennamen getragen hat. Bei weiteren Recherchen stößt Chloé zudem auf einen ebenfalls als Psychotherapeut tätigen Zwillingsbruder von Paul (Jérémie Renier in einer Doppelrolle) - und begibt sich bei ihm in Behandlung…
François Ozon fackelt gar nicht lange, sondern steigt sofort mit einer ersten saftigen Provokation ein: Wenn die Kamera aus dem schwarzen Loch herauszoomt und langsam das metallene Instrument ins Blickfeld rückt, erkennen wir überhaupt erst, wo wir da eigentlich gerade hinstarren – nämlich mitten hinein in eine gespreizte Vagina auf einem Gynäkologenstuhl. Das hat so gar nichts Erotisches, sondern lediglich etwas Medizinisches an sich – und auch die späteren Sexszenen sind nur bedingt antörnend, denn der Fetisch des Regisseurs gilt in „Der andere Liebhaber“ weniger den Körpern seiner Schauspieler, als vielmehr ihren Spiegelungen. In den Appartements und Arztpraxen hängen hier so viele Spiegel herum, dass Ozon selbst längere Therapiepassagen inszenieren kann, ohne eine Einstellung doppelt verwenden zu müssen – und wenn’s mal eng wird, dann kommen eben noch Splitscreens oder Montageeffekte hinzu, um eine Figur auch ohne die Hilfe von Spiegeln mehrfach auf der Leinwand zeigen zu können. Selbst die Credits und der Titel im Vorspann sind gedoppelt. Also gründlich ist er ja schon mal, der Ozon.
Und was erzählt man so, wenn man unbedingt alles spiegeln und doppeln will? Genau, irgendwas mit Zwillingen! Das eindeutige Vorbild von Ozon kann hier nur Brian De Palma („Scarface“, „Mission: Impossible“) gewesen sein, denn der ist nicht nur ebenfalls für seine Splitscreen-Montagen berühmt-berüchtigt, sondern hat mit „Die Schwestern des Bösen“ und „Mein Bruder Kain“ auch schon zwei Zwillings-Meisterwerke vorgelegt. Aber obwohl Ozon in „Der andere Liebhaber“ eine erfrischend-unbändige Lust daran offenbart, über das Ziel hinauszuschießen, erreicht er dabei trotzdem nie die inszenatorische Meisterschaft von De Palma (oder auch nur die seines früheren Selbst, das 2003 den deutlich stärkeren „Swimming Pool“ gedreht hat). Zudem ist der Film auch einfach nicht besonders spannend – der einzige Grund, in „Der andere Liebhaber“ nervös an den Nägeln zu kauen, ist der, dass man endlich wissen will, was das Ganze nun eigentlich zu bedeuten hat. Aber ganz ehrlich: Die Auflösung ist die ruinierte Maniküre absolut nicht wert! Der finale Twist ist zwar einigermaßen logisch, aber zugleich auch ziemlich vorhersehbar und enttäuschend antiklimaktisch.
Fazit: Eine lustvoll-verspielte Brian-De-Palma-Hommage, in der François Ozon lieber seine zentralen erzählerischen und inszenatorischen Motive konsequent durchvariiert als zwischendurch auch mal die Spannung hochzupeitschen oder eine tolle Schlusswendung zu präsentieren.
Wir haben den Film damals noch unter dem Titel „L´Amant Double“ bei den 70. Filmfestspielen in Cannes 2017 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.