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    Beuys
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Beuys
    Von Christoph Petersen

    Ja, was ist denn nun Kunst? Auch 30 Jahre nach dem Tod von Joseph Beuys ist diese Frage noch immer genauso heiß umkämpft wie eh und je. Der Kunst-Rebell hat einmal gesagt, dass die in seinem Schaffen immanente Provokation ihm vor allem dazu diene, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen – und deshalb passt es auch so gut, dass sich Regisseur Andres Veiel („Black Box BRD“) in seinem Dokumentarfilm „Beuys“ nur nebenbei mit Interpretationsversuchen einzelner Werke wie „7000 Eichen“ oder „Ich liebe Amerika und Amerika liebt mich“ aufhält und stattdessen vornehmlich den 1986 verstorbenen Künstler in zahlreichen Bild- und Tondokumenten (viele davon bisher unerschlossen) selbst zu Wort kommen lässt. So wiederholt der neben Andy Warhol wohl bedeutendste Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts auf der Leinwand noch einmal seine Statements zum Kunstbegriff („Alles ist Kunst, jeder ist Künstler“), zum (desolaten) Stand der Demokratie und zur möglichen Revolution („Wollen Sie eine Revolution ohne Lachen machen?“) – und der Zuschauer stellt dabei sehr schnell fest, wie brandaktuell all diese Debatten nach wie vor sind.

    Ist das nun Kunst oder kann das auf den Sperrmüll? Natürlich gibt es in „Beuys“ Aufnahmen aus den Fernsehshows, in denen der streitbare Künstler die Gesprächsrunde auffordert, mit ihm bis zum Morgengrauen weiter zu diskutieren, oder von einigen seiner Performance-Werke, bei denen er einem toten Hasen die Bilder an der Wand erklärt, in Kassel 7.000 Eichen mit einem Stein daneben pflanzt oder in den USA für eine Zeitlang mit einem Kojoten zusammenhaust. Dazu kommen angenehm spärlich eingesetzte Erklärungen von Weggefährten – „Beuys“ ist anders als viele andere Künstlerdokus kein Film, in dem die Kunst zu Tode interpretiert wird und dem Betrachter irgendwann die Lust an ihr vergeht. Stattdessen spielt Regisseur Veiel immer wieder geradezu lustvoll mit der Idee eines einheitlichen Erklärungsansatzes: So gibt es in seinem Film einen kurzen biografischen Rückblick auf die Kindheit Beuys‘, auf seine freiwillige Meldung zur Luftwaffe und seinen Abschuss über der Krim. Aber eingeleitet wird diese Passage mit einem weiteren Ausschnitt aus einem TV-Interview, in dem der Moderator brav die biografischen Stationen seines Gegenüber referiert, was Beuys wiederum mit einem halb geflüsterten „Ja, so war’s ja nun auch nicht“ kommentiert.

    Wenige Filmminuten später schneidet Veiel zudem mehrere Interviewschnipsel zusammen, in denen Beuys die Geschichte von seinem Abschuss ein klein wenig anders erzählt – am Ende dieser Sequenz fragt ihn sogar eine Moderatorin, ob er eigentlich ein Fantast sei? Nach „Beuys“ sind wir fast dazu geneigt, an seiner Stelle mit „Ja“ zu antworten – denn seine unerhörten Visionen beschränkten sich keineswegs auf die Kunst, wie uns Veiel in angenehmer Ausführlichkeit zeigt. Zu diesen anderen Seiten von Beuys gehört etwa die des (Grünen-)Politikers: Herzzerreißend ist sein unfassbar trauriger Blick, als er feststellt, dass er es mit seinen steilen antikapitalistischen Thesen nicht auf die Kandidatenliste seiner Partei zur Bundestagswahl geschafft hat - zumal wir so einen furchtlosen Großdenker auch heute noch ganz gut gebrauchen könnten.

    Wie es sich für einen ernstzunehmenden Film über Kunst gehört, bemüht sich Veiel sehr darum, „Beuys“ ästhetisch schlüssig und dabei möglichst abwechslungsreich zu gestalten – mit allerlei stimmig eingesetzten visuellen Spielereien, etwa wenn ein Schwarz-Weiß-Foto durch den Einsatz von Zeitlupen plötzlich einen 3D-Effekt entwickelt, gelingt ihm das auch ziemlich gut. Nur für die Talking-Head-Interviewszenen findet auch Veiel wie so viele vor ihm keine ansprechende Lösung – aber diese kurzen (kunst-)historischen Abrisse sind eh die schwächsten Momente des ansonsten sehr gelungenen Dokumentarfilms. Veiel selbst schreibt: „Als ich mich 2013 wieder mal intensiv mit seinem Werk beschäftigt habe, wurde mir klar, dass Beuys heute noch immer genauso relevant ist wie eh und je.“ Damit hat er nicht nur absolut Recht – er hat diese Einschätzung mit „Beuys“ auch absolut überzeugend auf die Leinwand gebracht.

    Fazit: Statt Beuys‘ Werke zu erklären, lässt Andres Veiel in seinem ansprechend gestalteten Kino-Dokumentarfilm vor allem den Kunst-Provokateur selbst sprechen – so werden dessen politische, gesellschaftliche, moralische und ästhetische Ideen wieder frisch in die noch immer brandaktuelle Debatte eingebracht.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Beuys“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.

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