Plötzlich Mr. Nice Guy
Von Christoph PetersenIn „Don’t Breathe“ von „Evil Dead“-Regisseur Fede Alvarez bricht eine Diebesbande in Erwartung leichter Beute bei einem alleinlebenden blinden alten Mann ein, nur um dann festzustellen, dass der Kriegsveteran sein Augenlicht offenbar gar nicht braucht, um den naseweisen jungen Leuten mal anständig die Leviten zu lesen. Eine ziemlich coole Idee – und dank der grandiosen körperlichen Präsenz von „Avatar“-Bösewicht Stephen Lang wirkt das Ganze auch noch erstaunlich glaubhaft. Der verdiente Lohn waren überwiegend begeisterte Kritiken (wir selbst haben starke 4 Sterne vergeben) sowie ein weltweites Einspielergebnis von etwa 157 Millionen Dollar, was dem 16-Fachen (!) des Budgets entspricht!
Obwohl das Publikum dabei die Perspektive der Einbrechenden einnimmt, drückt man die meiste Zeit über dem wehrhaften Hausbesitzer die Daumen – erst nach zwei Dritteln gibt es einen Twist, der die Sympathien noch mal ganz neu verteilt: Der namenlose Mann hält nämlich eine von ihm gegen ihren Willen geschwängerte junge Frau in seinem Keller gefangen. Nach dieser Vorgeschichte war es doch eine ziemliche Überraschung zu erfahren, dass der blinde Mann im Sequel „Don’t Breathe 2“, mit dem „Evil Dead“-Autor Rodo Sayagues sein Regiedebüt gibt, plötzlich nicht mehr als Antagonist, sondern als (heldenhafter) Protagonist fungieren soll. Wie soll das bloß funktionieren? Ganz einfach: Man lässt vieles aus dem Vorgänger einfach unter den Tisch fallen…
Stephen Lang dominiert auch im Sequel die Leinwand!
Nachdem es mit dem Schwängern junger Frauen nicht hingehauen hat, findet der inzwischen nicht mehr namenlose Norman Nordstrom (Stephen Lang) doch noch eine Ersatz-Tochter – und zwar buchstäblich auf der Straße, wo sie nach einem Hausbrand bewusstlos herumliegt. Acht Jahre später hat er die nun elfjährige Phoenix (Madelyn Grace), die ihn für ihren leiblichen Vater hält, zu einer regelrechten Survival-Expertin herangezogen. Norman hat allerdings noch immer so viel Angst, noch eine Tochter zu verlieren, dass er Phoenix nicht nur selbst unterrichtet, er lässt sie auch sonst kaum mal allein das Haus verlassen.
Aber es kommt, wie es kommen muss: Eines Nachts dringt eine von Meth-Dealer Raylan (Brendan Sexton III) angeführte Verbrecherbande in das Haus ein – und obwohl nicht nur Norman alles gibt, sondern sich auch Phoenix extrem clever und abgeklärt anstellt, nehmen die Eindringlinge das Mädchen letztendlich einfach mit. Zurück bleibt der fälschlicherweise für tot gehaltene Norman, der wirklich alles zu opfern bereit ist, um seine „Tochter“ wiederzubekommen!
Im ersten Film wurde Stephan Lang noch wie der übermenschliche Killer in einem Slasher-Film eingesetzt – quasi wie ein blinder Michael Myers. Die Rolle hat der Schauspieler dann auch einfach mit seiner schieren körperlichen Präsenz weggerockt. Bei der Fortsetzung hat sich Lang nun allerdings – unter anderem mit der Hilfe eines Behindertenverbandes – tiefer auf den Part vorbereitet, etwa um die speziellen Manierismen blinder Menschen authentisch abbilden zu können. Zudem hat er nicht mehr diese tiefe, alles dominierende Stimme. Sein Organ ist stattdessen ganz sanft, heiser, irgendwie gebrochen. Beides macht die Figur eigentlich nur noch interessanter – und deshalb ist es besonders schade, dass ihre abgründigeren Seiten im Sequel einfach unter den Teppich gekehrt werden.
Fast noch auffälliger als der Wechsel des Protagonisten ist aber vielleicht der des Genres: Statt als Horror-Schocker erweist sich „Don’t Breathe 2“ eher als Rache-Actioner mit vereinzelten Horror-Einschüben. Nun lässt sich schwer sagen, ob es an dieser Veränderung liegt oder ob der bisherige Drehbuchautor Association Rodo Sayagues vielleicht eben auch einfach nicht so ein guter Regisseur ist wie Fede Alvarez, aber auf jeden Fall erreicht das Sequel nie diese gnadenlose Intensität, die den Vorgänger noch ausgezeichnet hat. Das ist handwerklich alles gut gemacht, gerade die Ausleuchtung ist klasse, aber der letzte Funken springt in den Home-Invasion-Momenten diesmal einfach nicht über. Dafür gibt es allerdings einige besonders schön-fiese Einfälle …
Die Gangster haben bei einem blinden Kontrahenten natürlich mit einem leichten Spiel gerechnet. Nun ja: Falsch gedacht!
… wenn Norman etwa einem der Eindringlinge Mund und Nase mit medizinischem Schnellkleber verschließt oder einem seiner Widersacher eine kleine Klingelglocke in den Rachen rammt, damit er ihn im Anschluss immer schon auf Entfernung hören kann. An anderen Stellen übertreibt es das Skript aber auch damit, bestimmte Situationen zu konstruieren – so wirkt etwa die Sequenz mit einer Metallkiste, Wasser und Stromkabeln eher verzweifelt als spannend. Gut gelungen ist dafür die Bösewicht-Truppe – vor allem, weil es hier später noch eine Wendung gibt, die dem Ganzen erst emotional noch mal eine ambivalente neue Ebene gibt, bevor der Plot dann endgültig ins Abgründig-Abgefuckte kippt.
Die Figur von Phoenix wird das Publikum hingegen sicherlich spalten. Madelyn Grace macht ihr Sache zwar richtig gut – und die eröffnende Szene, die mit einem netten Twist endet und in der ihre Survival-Fähigkeiten erstmals vorgestellt werden, ist auch ziemlich cool. Aber allzu abgeklärte, übertrieben fähige Kids in Action-Filmen sind eben immer so eine Sache, selbst wenn sie, um sich aus einer Situation zu befreien, auch schon mal einen fremden Arm mit einer Machete durchhacken – da wird die ohnehin schon strapazierte Glaubwürdigkeit eben noch mal ganz besonders auf die Probe gestellt…
Fazit: Der erste „Don’t Breathe“ ist nun mal etwas ganz Besonderes – und tatsächlich bewahrheitet sich nun in „Don’t Breathe 2“ die Befürchtung, dass sich so etwas nicht so leicht wiederholen lässt. Trotzdem liefert das im Gegensatz zum FSK-16-Vorgänger zu Recht erst ab 18 Jahren freigegebene Sequel handwerklich solide und stellenweise ganz schön abgefuckte Rache-Action mit einem erneut die Leinwand dominierenden Stephen Lang.