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    I Think We're Alone Now
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    I Think We're Alone Now

    Der letzte Mensch auf Erden mag das Alleinsein

    Von Alexander Friedrich

    Alleinsein heißt nicht automatisch, einsam zu sein. Eine nicht ganz neue Erkenntnis, die Mike Makowsky in seinem Skript zum Endzeit-Drama „I Think We’re Alone Now“ aber auf interessante Weise neu durchdekliniert. Denn obwohl der Protagonist nach einem nicht weiter ausgeführten apokalyptischen Vorfall ganz allein ist, fühlt er sich nicht einsam, sondern erfüllter als je zuvor. Vorher hatte er das Gefühl, in der Masse unterzugehen und nicht dazuzugehören. Nun ist sein Platz ganz klar, als einziger verbliebener Bewohner einer leergefegten Kleinstadt. Eine vielversprechende Prämisse. Und so landete das Skript auch auf der sogenannten Black List mit den besten unverfilmten Drehbüchern Hollywoods. Allerdings kann der Rest der Geschichte nicht halten, was die Ausgangsidee verspricht. Dafür trumpft die hier zum zweiten Mal bei einem Kinofilm regieführende Kamerafrau Reed Morano („Meadowland“) voll auf. Zumindest ihr virtuoses Spiel mit Licht und der Position der Figuren im Bild ist ganz großes Kino.

    Del (Peter Dinklage) glaubt, er sei der einzige Überlebende der Apokalypse. Seine Zeit vertreibt er sich damit, all die Leichen in seiner Kleinstadt Haus für Haus zu begraben. Außerdem legt er großen Wert darauf, die Stadtbibliothek wieder zu vervollständigen – und so sammelt er all die Bücher wieder ein, die sich die Leute noch vor dem Jüngsten Gericht ausgeliehen und somit nie wieder zurückgebracht haben. Dels Alltag ist von Ruhe und Routine geprägt, was ihm eigentlich auch sehr gut so gefällt. Aber dann wird sein Einsiedlerleben gehörig auf den Kopf gestellt, als eines Tages plötzlich die junge Grace (Elle Fanning) auftaucht. Offenbar ist Del doch nicht der letzte Mensch auf Erden. Aber woher kommt die geheimnisvolle Frau überhaupt? Und was will sie ausgerechnet von ihm?

    Die in Endzeitwerken häufig zum Einsatz kommenden weiten Panoramaansichten auf eine verlassene, zerstörte Welt sucht man hier größtenteils vergebens. Stattdessen sind wir meist ganz nah dran, wenn es sich der zynisch gewordene Del in seiner Einsamkeit bequem einrichtet. Del hat offenbar endlich seinen Platz gefunden – und zwar ausgerechnet in einer postapokalyptischen Welt. Die Ursache der Katastrophe spielt da gar keine Rolle und wird deshalb auch nicht weiter ausgeführt. Trotz des ungewöhnlichen erzählerischen Ansatzes ist es am Ende aber gar nicht mal das Skript, das den größten Teil zum Gelingen des Films beiträgt. Vielmehr hat Morano auf dem Sundance Festival 2018 nicht von ungefähr für „I Think We`re Alone Now“ den Regiepreis gewonnen. Ihre langjährige Erfahrung als Kamerafrau sowie ihr Gespür für Bildkomposition und Lichtsetzung werten jede Einstellung des Films maßgeblich auf. Die 41-Jährige versteht, wie sie die Verlassenheit ihrer Protagonisten visuell herausstellt. Die überlegt gewählten Bilder, die Del und Grace fast immer nur allein und ganz selten gemeinsam zeigen, sind je nach angepeilter Emotion per Hand, mit einer stoisch ruhigen Kamerafahrt oder gleich ganz statisch gefilmt.

    So wird die Einsamkeit hier nicht nur durch das Schauspiel von Peter Dinklage und Elle Fanning transportiert, sondern auch durch die Bilder, die Farben, das Licht und die Musik regelrecht greifbar. Morano macht die Gefühlswelt ihrer Figuren sicht-, hör- und fühlbar. Das ist auch nötig, denn vor allem „Game Of Thrones”-Star Peter Dinklage offenbart mit seiner zurückhaltenden Darbietung nur selten, was genau hinter der stoischen Fassade alles abläuft. Diese Verschlossenheit spiegelt sich auch optisch in subtiler Form wider, etwa wenn Del bewusst im Gegenlicht platziert wird, wodurch wir seine Figur oft nur schwer erkennen können. Noch auffälliger ist auf der anderen Seite Moranos übertriebenes Öffnen der Objektivblende, was in vielen Bildern eine extreme Tiefenunschärfe zur Folge hat. Zu den eigentlich sonst so sauberen Aufnahmen mag das auf den ersten Blick gar nicht passen, doch offenbart diese deutliche Trennung von Vordergrund und Hintergrund zugleich eben auch die Isolation der Figuren.

    Morano hat bei den ersten drei Episoden der gefeierten Hulu-Serie „The Handmaid’s Tale” Regie geführt und für den Piloten sogar einen Emmy für die Beste Regie gewonnen. Aber es gibt noch eine weitere Personalüberschneidung zwischen „The Handmaid’s Tale“ und „I Think We’re Alone Now”: Adam Taylor komponierte für beide Werke die Musik. Seine stellenweise an Hans Zimmers „Interstellar”- und Jóhann Jóhannssons „Arrival”-Score erinnernden Klänge zeugen von einer wirklichkeitsfremden Melancholie sowie einer faszinierenden Tragik und scheinen Moranos Bilder fast schon schwebend zu begleiten. Auf paradoxe Weise glaubt man rein akustisch die Stille dieser verlassenen Welt wahrnehmen zu können. Im Schnitt setzt sich das außergewöhnliche Handwerk des Films fort, denn Cutterin Madeleine Gavin hat für Regisseurin Morano einen höchst interessanten Weg gefunden, das Bildmaterial zu artikulieren. Elliptische Montage ist hier das Stichwort: Kleinere Zeitabschnitte, und seien es nur wenige Sekunden, werden bei jeder Gelegenheit übersprungen. Alles, auf was verzichtet werden kann, wird ausgelassen. Doch die Bewegung der Kamera wird trotz dieser Kleinstsprünge präzise fortgeführt, wodurch ein angenehmer, visueller Rhythmus entsteht.

    Das Skript kann mit dieser visuellen Pracht leider nicht mithalten. Nicht nur fehlt lange Zeit ein roter Faden, Autor Mike Makowski geizt zudem auch damit, uns überhaupt etwas über seine zwei Protagonisten preiszugeben. Ohne Moranos starke Bilder würde das Konzept des Films wohl gar nicht aufgehen. Das Motiv des letzten Menschen auf der Erde, selbst wenn später noch ein zweiter dazukommt, ist an sich schließlich weder neu noch originell. Auch Spannung oder Dramatik wollen sich im Laufe des weitestgehend vor sich hin plätschernden Plots kaum mal aufkommen. Und wenn dann auf der Schlussgeraden dann doch noch so etwas wie eine stringente Handlung forciert wird, werden auf einmal noch völlig neue thematische Fässer aufgemacht, die an dieser Stelle gar nicht mehr den nötigen Raum haben, um noch eine angemessene Wirkung zu entwickeln.

    Genauso verschlossen wie Peter Dinklages Del ist auch der ganze Film. Natürlich kann man in diese Leere ganz viel hineininterpretieren, zugleich macht es sich Drehbuchautor Makowski mit dieser lückenhaften Erzählweise aber eben auch ziemlich leicht. Das Erzählen überlässt er lieber der Regie oder gleich dem Zuschauer. Dabei ist die Ausrichtung der zwei Hauptfiguren wie gesagt grundlegend sehr interessant: Del behauptet in einem starken Moment, dass er, obwohl er völlig allein ist, gar nicht einsam sei. Im Gegenteil: Einsam sei er nur gewesen, als um ihn herum noch Tausende Menschen gelebt haben. Nicht ohne Grund steht vor dem „We’re Alone Now” im Titel ein „I Think”: Die Einsamkeit ist in dieser menschenleeren Welt völlig subjektiv, Del und Elle interpretieren ihr Schicksal genau gegensätzlich: „Du hast niemanden verloren, ich aber alles”, sagt sie zu ihm an einer Stelle. Dieser entscheidende Punkt wird von Autor Makowski jedoch kaum weitergedacht. Und dass Del plötzlich seine Einstellung ändert und Grace gegenüber doch eine gewisse Zuneigung entwickelt, muss man eben einfach so schlucken. Nachvollziehbar erklärt wird es nicht.

    Fazit: Audiovisuell brillant, aber in der Tiefe ohne Substanz. Regisseurin Reed Morano holt mit ihrer inszenatorischen Brillanz aus „I Think We’re Alone Now” deutlich mehr raus, als in dem unnötig sperrigen und im Endeffekt wenig gehaltvollen Skript eigentlich drinsteckt.

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