Der französische Postimpressionist Paul Gauguin gilt neben seinem Landsmann Paul Cézanne und dem Niederländer Vincent van Gogh als einer der bedeutendsten Wegbereiter der modernen Malerei des 20. Jahrhunderts. Alle drei Künstler zog es in den Süden Frankreichs, dessen mediterranes Licht und prächtige Landschaft ihnen als Inspiration für ihre Bilder dienten. Gauguin folgte van Gogh 1888 sogar nach Arles, doch ihre Künstler-WG endete nach nur zwei Monaten in jenem legendären Streit, in dessen Verlauf sich van Gogh mit einem Rasiermesser einen Teil seines eigenen Ohrs abschnitt. Drei Jahre später begann sich Gauguin endgültig von der europäischen Zivilisation abzulösen und siedelte auf die Südseeinsel Tahiti über. Dort malte er die Bilder, die ihn später berühmt machen sollten. Doch das gesuchte unbeschwerte Naturidyll fand er dort nicht vor. In seinem Biopic „Gauguin“ konzentriert sich Edouard Leduc („Welcome To Argentina“) nun auf den drei Jahre umfassenden ersten Polynesien-Aufenthalt des von Vincent Cassel („Black Swan“) verkörperten Künstlers. Leduc will ganz offensichtlich die Widersprüche im Handeln des Zivilisations-Aussteigers offenbaren – leider achtet er dabei allzu penibel darauf, seinem Publikum bloß nicht zu viel zuzumuten.
Auf der Suche nach einem Ort, an dem die Menschen noch im Einklang mit der Natur hausen und an dem auch er praktisch ohne Geld leben und mal kann, zieht der französische Maler Paul Gauguin (Vincent Cassel) 1991 von Paris auf die Südseeinsel Tahiti in Französisch-Polynesien (seine Frau weigert sich, ihn mit den gemeinsamen Kindern zu begleiten). Im Gegensatz zu den anderen auf der Insel lebenden Franzosen zieht Gauguin aber nicht in die bereits stark europäisierte Hauptstadt Papeete, sondern in das 40 Kilometer entfernte kleine Fischerdorf Mataiea. Dort lebt der Künstler wie die Einheimischen in einer einfachen Hütte. Die 13-jährige exotische Inselschönheit Tehura (Tuheï Adams) wird sein Modell, seine Muse und seine Frau. Gauguin erlangt seine Inspiration zurück und beginnt einen völlig neuen Kunststil zu entwickeln. Doch das Leben in dem erhofften Paradies entpuppt sich als unerwartet hart. Schon bald führt Gauguins chronischer Geldmangel zu Problemen wie Hunger und Krankheit, die immer stärker lebensbedrohliche Ausmaße annehmen...
Ein Jahr vor seiner Abreise nach Tahiti schrieb Gauguin an einen befreundeten Künstler, die „glücklichen Bewohner eines unbeachteten Paradieses in Ozeanien kennen vom Leben nichts anderes als seine Süße. Für sie heißt Leben Singen und Lieben“. Das nach Henning Carlsens „Die Augen des Wolfes“ und Mario Andreacchios „Paradies - Die Leidenschaft des Paul Gauguin“ bereits dritte Biopic über den berühmten französischen Kunstrevolutionär scheint diese naive Vorstellung zunächst tatsächlich zu bestätigen. So zeigt Regisseur Leduc in „Gauguin“, wie der Maler vor der prächtigen Kulisse der imposanten begrünten Berge Tahitis vergnügt mit den einheimischen Kindern am Strand herumtollt. Die junge charismatische Tehura bezaubert den Franzosen mit ihrem ungezwungenen Lächeln und der großen Natürlichkeit, mit der sie dem deutlich älteren Franzosen beim Aktmalen posiert. Nach dem Schauen des Films würde man übrigens nie auf die Idee kommen, dass Gauguins neue Frau erst 13 ist (man würde sie wohl auf 18 – 20 schätzen). An dieses heiße Eisen trauen sich die Macher also wie an so viele andere lieber nicht heran.
Zwar wird den Zuschauern keineswegs verheimlicht, dass Gauguins Leben in Tahiti insgesamt alles andere als ein Zuckerschlecken war. Aber die zahlreichen Frustrationen sowie der ständige Kampf gegen Hunger und Krankheit des Künstlers dienen in dem Film eher der milden dramaturgischen Würze als dem Schaffen wahrer Dramatik. Zwar zeigt das Biopic, dass Gauguin irgendwann so krank wird, dass er stark husten muss. Dass er dabei jedoch sogar Blut gespuckt hat, mag Leduc seinen Zuschauern lieber nicht zumuten. Ebenso zeigt der Film, wie die akute Geldnot des Malers so gravierende Ausmaße annimmt, dass dieser sich gezwungen sieht, sich in der Hauptstadt als Hafenarbeiter zu verdingen. Dabei arbeitet Gauguin ausschließlich mit deutlich jüngeren und kräftigeren Einheimischen zusammen. Trotzdem ist sein Lohn anscheinend so hoch, dass er für sich und Tehura eine schmucke Wohnung in einem hübschen Haus im Kolonialstil mieten kann, obwohl die einheimische Bevölkerung zur damaligen Zeit in Papeete in der Realität in ärmlichen Blechhütten hausen musste. „Gauguin“ hätte weniger Arthouse-Milde und ein gehöriger Schuss Werner-Herzog-Wildheit definitiv sehr gut getan.
Etwas ganz ähnliches gilt auch für Gauguins Heuchelei. Während er selbst mit seinem Übersiedeln nach Polynesien den Fesseln der Zivilisation zu entkommen versucht, legt er dort den Menschen um sich herum eben genau solche Fesseln an (und zwar scheinbar ohne diesen Widerspruch selbst zu erkennen). Wo er selbst nach absoluter Bewegungsfreiheit strebt, zwingt er seine lebenshungrige junge Frau zum bewegungslosen Modellstehen – er nimmt seiner Umgebung also genau das, was er an ihr bewundert, nämlich ihre natürliche Lebendigkeit. Aber auch hier traut sich Leduc nicht weit genug vor – man spürt richtig, wie darauf geachtet wird, dass das Ganze bloß nicht zu ambivalent oder zu kritisch wird, sondern man als Zuschauer Gauguin auch am Schluss noch ohne schlechtes Gewissen bewundernswert finden kann. Das ist schade, wir hätten nach dem Rollen des Abspanns sehr gerne noch eine Zeitlang mit uns gerungen, statt den Film sofort als „irgendwie ganz hübsch anzuschauen“ zu den Akten zu legen.
Fazit: „Gauguin“ zeigt, dass die idyllischen Südseebilder des berühmten Künstlers unter alles andere als paradiesischen Umständen entstanden, ohne dabei dem Zuschauer zu sehr wehtun zu wollen. Ein zu vorsichtiges Biopic über ein extremes Künstlerleben.