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    Jugend ohne Gott
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Jugend ohne Gott
    Von Andreas Staben

    Ödön von Horváth nahm in seinem Roman „Jugend ohne Gott“ von 1937 kaum verschlüsselt das Deutschland der Nationalsozialisten ins Visier und beschrieb am Beispiel eines Lehrers und seiner Schulklasse eine von Angst und Anpassung gezeichnete Gesellschaft auf dem Weg in die komplette Entmenschlichung. Das Buch wurde zum Klassiker der antifaschistischen Literatur und hat bis heute seinen festen Platz im Deutschunterricht. Mehrere eng an der Vorlage orientierte Verfilmungen folgten, unter anderem 1991 mit Ulrich Mühe in der Rolle des Lehrers. In ihrer neuen Adaption lösen Regisseur Alain Gsponer („Heidi“, „Das kleine Gespenst“) und die Drehbuchautoren Alex Buresch („Lila, Lila“) und Matthias Pacht („Mein Bruder, der Vampir“) Horváths Szenario nun aus dem historischen Kontext und übertragen es in eine nicht genau verortete Zukunft. Aus der religiös unterfütterten antifaschistischen Parabel wird bei ihnen eine Dystopie für Jugendliche und junge Erwachsene mit Echos von Hollywood-Filmen wie „Die Tribute von Panem“ oder „Die Bestimmung“. Die aktualisierte Deutung verträgt sich thematisch recht gut mit den sehr grundsätzlichen und daher tendenziell zeitlosen Kritikpunkten des Buches, aber die Filmemacher haben der Erzählung zugleich auch noch eine komplett neue Dramaturgie verpasst – und die erweist sich als problematisch. So bleibt ihr „Jugend ohne Gott“ eine schlüssig inszenierte und engagiert gespielte, aber über weite Strecken auch arge kühle Zukunftsvision mit oft etwas grobgeschnitzten Figuren.

    In einer nicht allzu fernen Zukunft: Die besten Schüler einer Klasse aus dem Sektor der Reichen nehmen kurz vor dem Abschluss an einem sogenannten Education Camp teil, bei dem die privilegierten Jugendlichen miteinander um die begehrten Plätze an der elitären Rowald Universität konkurrieren. Nur wer bei den physisch und psychisch fordernden Tests in einem Zeltlager in den Bergen zu den Punktbesten gehört und außerdem noch Führungsqualitäten zeigt, hat eine Chance. Die ehrgeizige Nadesh (Alicia von Rittberg) sieht es daher als ihre Aufgabe an, herauszufinden, was mit dem eigenbrötlerischen Zach (Jannis Niewöhner) nicht stimmt. Der nimmt nur halbherzig an den Wettkämpfen teil und trifft sich trotz strengen Verbots heimlich mit dem Mädchen Ewa (Emilia Schüle, „Lenalove“), das illegal in den Wäldern der Umgebung lebt. Auch der Klassenlehrer (Fahri Yardim) sorgt sich um Zach, dem durch die Psychologin Loreen (Anna Maria Mühe) der Ausschluss aus dem Camp droht. Dann kommt es zu einem dramatischen Zwischenfall…

    Der Roman von Ödön von Horváth ist durchgängig aus der Perspektive des Lehrers erzählt, dort ist er der eindeutige Protagonist. Im Film wird der namenlose Pädagoge aber nun erst einmal zur Randfigur, stattdessen erleben wir die Ankunft im Trainingslager und die ersten Prüfungen an der Seite der angepassten Nadesh. An einem Wendepunkt der Handlung erfolgt dann allerdings ein Sprung zurück in der Zeit bis vor die Abfahrt und nun übernehmen wir die Perspektive des Außenseiters Zach, ehe ab einem weiteren dramatischen Schlüsselmoment noch eine dritte und letzte Sichtweise ins Spiel kommt. Die Wechsel fügen der Erzählung schon durch die Unterschiede in der Inszenierung (so wird etwa die Unruhe Zaches durch den Einsatz der Handkamera sichtbar gemacht) immer weitere Facetten hinzu und steigern nebenbei durchaus die Spannung, weil sie die Lösung der kriminalistischen Rätsel zugleich befördern und auf etwas gezwungene Weise verzögern. Allerdings bleibt diese Spannung äußerlich, weil wir schon allein durch die vielen Perspektivänderungen den Figuren meist nicht sehr nahe kommen. Das gilt insbesondere für die bald überforderte Musterschülerin Nadesh, die nur funktional im Konflikt mit Zach und im Hinblick auf die schließlich folgende Katastrophe eingesetzt wird.

    Der grüblerische Zach ist dagegen unverkennbar als zentraler Sympathieträger vorgesehen. Er entzieht sich dem strengen Regime ständigen Wettbewerbs wo er kann und möchte am liebsten nur seine Ruhe haben. Doch alleine schon durch das Verfassen eines Tagebuchs erregt er den Argwohn der alles kontrollierenden Autoritäten des Camps, denen jede Privatsphäre suspekt ist: Schließlich könne man etwaige Probleme „medikamentieren“, wie die Lagerpsychologin Loreen (eiskalt: Anna Maria Mühe, „Große Mädchen weinen nicht“) betont. Zach flüchtet sich schließlich in eine Liebelei mit einer Illegalen und entfernt in einer ebenso blutigen wie symbolträchtigen Operation den in seine Hand eingepflanzten Ortungschip. Meist brodelt der Außenseiter still vor sich hin, aber Jannis Niewöhner („Rubinrot“, „Vier Könige“) überzeugt vor allem, wenn Zach offen aufbegehren darf. Als er sich für einen benachteiligten Klassenkameraden einsetzt, ihm über die Sektorengrenze in die Welt der Armen und Ausgegrenzten folgt und ihn schließlich in einem mit chaotisch lärmenden Schülern überfüllten Klassenraum findet, die über Lautsprecher (!) mit den Lerninhalten beschallt werden, gehört das zu den Höhepunkten des Films. Dort zeigt sich zugleich aber auch, dass vieles von dem erzählerischen Potenzial des Stoffes eben nur angedeutet wird, denn wir verlassen das Elendsviertel umgehend wieder und auch Zach wird einschließlich seiner neuen Freundin schließlich ein wenig links liegengelassen.

    So sinnfällig der klar herausinszenierte Gegensatz zwischen einer leicht futuristisch angehauchten, extrem sterilen Welt ständiger Überwachung (exemplarisch gruselig ist der „Big Brother“-mäßige Gastauftritt von Iris Berben) und der bei häufig schlechtem Wetter fast schon archaisch wirkenden Natur in den Bergen auch ist, erst im letzten Filmdrittel erhält „Jugend ohne Gott“ neben der schon erwähnten äußeren Spannung auch einen fühlbaren emotionalen Puls. Das liegt vor allem daran, dass dort mit dem Lehrer und dem von Jannik Schümann („Die Mitte der Welt“) grandios hintergründig gespielten rücksichtslosen Titus die beiden am überzeugendsten ausgestalteten Figuren in den Fokus rücken. Fahri Yardim (bekannt vor allem als Til Schweigers Sidekick im „Tatort“) bringt einen zunächst unterdrückten Humanismus in den Film, der schließlich in die ausgedehnte Umarmung des vermeintlich Bösen mündet: Diese nachdrücklich in Szene gesetzte menschliche Geste in einer unmenschlichen Welt ist das schlagende Herz von „Jugend ohne Gott“ und in ihr ist endlich (wenn auch ein wenig spät) die von Horváth stets beschworene Wahrheit zu spüren.

    Fazit: Alain Gsponer macht aus dem antifaschistischen Romanklassiker „Jugend ohne Gott“ eine etwas unterkühlt und ein wenig umständlich erzählte Dystopie einer herz- und seelenlosen Leistungsgesellschaft.

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