So richtig schön gemein
Von Gaby SikorskiDer bisher fieseste Episodenfilm aller Zeiten ist wahrscheinlich „Wild Tales - Jeder dreht mal durch!“ aus Argentinien, der es inzwischen längst als eine Art Kult-Klassiker gilt. Die sechs kurzen Geschichten des oscarnominierten Films haben nur eine Gemeinsamkeit: Sie alle handeln von Rache! Da bedient eine Kellnerin ausgerechnet jenen Kredithai, der ihre Familie zerstört hat, und ein Sprengstoffexperte revoltiert gegen den wiehernden Amtsschimmel. Mit grimmigem Humor zeigt Regisseur und Autor Damián Szifrón ganz normale Menschen in Ausnahmesituationen – und hält dabei gleichzeitig einer zutiefst korrupten argentinischen Gesellschaft den Spiegel vor. Weniger gesellschaftskritisch, aber ebenfalls wunderbar böse ist nun auch „Sechs Richtige – Glück ist nichts für Anfänger“ aus Frankreich. Hier geht es, man ahnt es schon, um Geld, genauer gesagt um Lotteriegewinne.
Maxime Govare und Romain Choay inszenieren hier zum ersten Mal gemeinsam. Die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnenden Regisseure treiben lustvoll ihre Storys um Menschen, die mit der Aussicht auf plötzlichen Reichtum konfrontiert werden, auf die Spitze – und manchmal sogar darüber hinaus. Vor allem die Gier spielt eine wichtige Rolle. Die Aussicht auf viel Geld verändert wohl nicht nur das Leben, sondern auch die Menschen selbst – und selbst aus totalen Normalos werden plötzlich schäumende Wahnsinnige. Gleich in der ersten Episode geht so richtig die Post ab. Paul (Fabrice Eboué) will eigentlich mit seiner Familie in den Urlaub fahren, als er im Radio hört, dass er noch genau zehn Minuten Zeit hat, um durch die Innenstadt von Marseille zu kurven und seinen Millionengewinn in einer Lottofiliale anzumelden. Im Handumdrehen mutiert der brave Familienvater zum Actionhelden, der in der Wahl seiner Mittel absolut nicht zimperlich ist.
Für Julie (Pauline Clément) spielt der Zeitfaktor hingegen keine Rolle mehr. Sie hat soeben ihren Gewinn erfolgreich einkassiert – zehn Millionen! Kurz nach der öffentlichen Übergabe begegnet sie ihrem Traumprinzen. Aber Julie ist misstrauisch. Womöglich ist der attraktive und liebenswerte Thomas (Victor Meutelet) doch nur ein Schnorrer? Liebt er sie wirklich? Oder will er nur an ihr Geld? Dergleichen Probleme interessieren die drei zu allem entschlossenen Terroristen, die sich auf ihren Anschlag in der Pariser Metro vorbereiten, überhaupt.
Doch dann entdeckt einer von ihnen (Sami Outalbali), dass er 40 Millionen Euro in der Lotterie gewonnen hat. Die Aussicht auf Reichtum bringt die Terrorpläne ins Wanken. Und schließlich ist da noch das Pflegeteam eines Seniorenheims, angeführt von Sandra (Anouk Grinberg). Sie findet bei einem verstorbenen Bewohner den Lottoschein, der ihn umgebracht hat. Bei der Aussicht auf den Jackpot in Höhe von 60 Millionen Euro hat sein Herz versagt. Was wäre, wenn das Pflegeteam den Gewinn untereinander aufteilen würde?
Aus naheliegenden Gründen soll hier nichts weiter über den Inhalt preisgegeben werden – die zahlreichen unerwarteten Wendungen und Überraschungen machen immerhin einen großen Teil des Charmes dieses Films aus, der zudem richtig spannend ist. Der Cast ist gut gewählt, wobei hier eher die Gemeinschaftsleistung zählt als die individuelle Qualität der Darstellung. Auch wenn die einzelnen Episoden hauptsächlich um die Frage kreisen, ob Geld wirklich glücklich macht oder falls nicht, was dann außerdem noch infrage käme, gibt es zusätzlich noch viele interessante Aspekte, die den Film zu einer ansehnlichen Komödie machen.
Dazu gehört auch das Prinzip, dass sich in jeder folgenden Geschichte der Gewinn noch weiter steigert, wodurch sowohl die Fallhöhe als auch die Absurdität in immer neue Höhen gehoben wird. Zudem repräsentiert jede der einzelnen Episoden ein Genre, das es gleichzeitig zitiert und parodiert: Actionfilm, romantische Komödie, Terror-Drama und Sozialkomödie – und die beiden Autoren gehen dabei wirklich bis zum Äußersten, steigern Spannung und Komik mit allen Mitteln der Kunst. Sie arbeiten mit Zeitdruck, Suspense und Surprise, mit Provokationen und Grenzüberschreitungen.
Man darf sich also auf einiges gefasst machen, auch wenn die teilweise ziemlich krawallige Komödie vermutlich weniger polarisiert als „The Balconettes“ oder „Veganer schmecken besser“ – beides neuere französische Komödien, die sich ebenfalls in schwarzem Humor versuchen. In „Sechs Richtige“ wird zwar in Sachen Boshaftigkeit und Spiel mit Tabuverletzungen ordentlich auf den Putz gehauen, aber es gibt keine Ekel-Passagen – und die Geschichten bleiben trotz aller Kapriolen und gelegentlichen Aufflackerns von Sarkasmus prinzipiell frei von Zynismus. Durch die Episodenform entsteht zudem eine Art Gesamteindruck zum Thema: Was macht das Geld mit den Menschen?
Fazit: Alle sind korrupt und gierig – bei der Jagd aufs schnelle Geld kennt offenbar niemand ein Pardon, zumal nach einer Studie der Psychologen Daniel Kahneman und Matthew Killingsworth Geld womöglich doch glücklich macht*: Dazu muss man es aber erst einmal haben und vor allem behalten. Denn angeblich sind zwischen 70 und 80 Prozent aller Lottogewinner schon nach wenigen Jahren bankrott. Vielleicht ist das der einzige Trost für alle diejenigen, die nie etwas gewinnen. „Sechs Richtige – Glück ist nichts für Anfänger“ bedient sich jedenfalls (beinahe) sämtlicher Vorurteile und Klischees zum Thema Geld und Glück und macht daraus eine ziemlich bissige Komödie über die menschliche Gier, in der nichts und niemand ungeschoren davonkommt.