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    Sebastian Fitzeks Der Heimweg
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Sebastian Fitzeks Der Heimweg

    Knallhart, atmosphärisch, aber bei näherer Betrachtung auch ein bisschen doof

    Von Lutz Granert

    Es ist immer wieder ein großes Vergnügen, dem Literaturkritiker Denis Scheck in der ARD-Sendung „Druckfrisch“ bei seinen sprachlich geschliffenen, ebenso bissigen wie pointierten Kurzkommentaren zur aktuellen Top 10 der SPIEGEL-Bestsellerliste zu lauschen. An den Thrillern von Sebastian Fitzek, die regelmäßig auf den Spitzenplätzen der Verkaufsrangliste auftauchen und bei Fans ob ihrer wendungsreichen Plots beliebt sind, lässt der Buchbesprecher seit jeher kein gutes Haar – und watscht sie regelmäßig als „Gewaltpornografie“ oder „Schund“ ab. So verwunderten auch Schecks Kommentare zum 2020 veröffentlichten Thriller „Der Heimweg“ nicht, der elf Wochen in Folge auf Platz 1 stand: „So besudelt, angeekelt und verunreinigt habe ich mich nach der Lektüre eines Romans lange nicht mehr gefühlt“, kommentierte Scheck ätzend und attestierte dem Roman eine Sprache, „die sich unablässig an den geschilderten Scheußlichkeiten aufgeilt“.

    Die Amazon-Prime-Video-Produktion „Sebastian Fitzeks Der Heimweg“ ist nun aber weit davon entfernt, in Sachen Gewaltpornografie „Saw“, „Hostel“ und Co. nachzueifern – und auch allzu plumpe Dialoge aus der Vorlage wurden von Drehbuchautorin Susanne Schneider gekittet. „Oderbruch“-Regisseur Adolfo J. Kolmerer setzt in seinem düsteren Thriller nur punktuell auf blutige Szenen, sondern vor allem auf eine dichte Atmosphäre. Zugleich hat er aber mit arg holzschnittartig gezeichneten Figuren zu kämpfen. Und wie schon in der literarischen Vorlage wirkt auch im Film vieles arg konstruiert, weshalb man die Logik wohl besser nicht allzu beharrlich hinterfragen sollte.

    Der Kalenderkiller stellt seine weiblichen Opfer stets vor die Wahl: entweder sie oder ihr (prügelnder) Ehemann! Amazon Prime Video
    Der Kalenderkiller stellt seine weiblichen Opfer stets vor die Wahl: entweder sie oder ihr (prügelnder) Ehemann!

    Am Abend des Nikolaustags arbeitet der seit dem Tod seiner Frau traumatisierte Jules Tannberg (Sabin Tambrea) ehrenamtlich fürs „Begleittelefon“. Bei der Hotline können Frauen anrufen, wenn sie auf dem Nachhauseweg ein lauschendes Ohr oder Rat in einer (möglichen) Bedrohungssituation benötigen. Bald hat Jules die nur widerwillig mit ihm sprechende Klara Vernet (Luise Heyer) in der Leitung. Die von ihrem Ehemann Martin (Friedrich Mücke) misshandelte Anwältin und Mutter leidet unter Todesangst, denn sie vermutet, dass der sogenannte „Kalenderkiller“ sie (oder ihren Mann) als nächstes Opfer auserkoren hat. Der bislang nicht gefasste Serienmörder kündigt jeweils geschrieben mit Blut den Todestag seines nächsten Opfers an – und Klara soll noch am 6. Dezember sterben, also in den nächsten knapp drei Stunden...

    Ein eiskalter Psycho-Thriller

    Ein eiskalter Winterabend mit einsetzendem Schneefall, ein einsames Haus mitten im Nirgendwo: Wie schon in der Mystery-Erfolgsserie „Oderbruch“ setzten Adolfo J. Kolmerer und sein Kameramann Christian Huck auf unterkühlte Bilder und eine regelrecht fröstelnde Atmosphäre. Suggestive Szenen wie die unerklärlichen Geräusche in Jules‘ Wohnung, ein verschwundenes Messer oder der bewaffnete ältere Mann (Rainer Bock), der Klara bereits dicht auf den Fersen scheint, schrauben das Spannungslevel noch zusätzlich nach oben.

    Dabei kommt der Thriller-Plot an sich in der ersten Filmhälfte – vor allem aufgrund zweier langer Rückblenden – noch nicht so recht voran. Da erzählt die misshandelte Anruferin ausufernd von den sadistischen Ausschweifungen einer „Violence Party“ mit kostümierten Anzugträgern aus der Berliner High Society, die in einer rotstichigen Szenerie wie eine unfreiwillig komische Version der Orgien-Szenen in Kubricks Meisterwerk „Eyes Wide Shut“ anmuten, bevor der geduldig zuhörende Jules dann seinerseits vom eigenen Verlust berichtet.

    Jules (Sabin Tambrea) begleitet die verfolgte Klara am Telefon – kann aus der Ferne nur bedingt helfen. Amazon Prime Video
    Jules (Sabin Tambrea) begleitet die verfolgte Klara am Telefon – kann aus der Ferne nur bedingt helfen.

    Was den beiden Charakteren Profil verleihen soll, entpuppt sich schnell als oberflächliche Küchenpsychologie: Nach den Trigger-Warnungen vor Filmbeginn wird am Ende zwar auch noch eine Hotline für Opfer häuslicher Gewalt eingeblendet, aber wie in den Fitzek-Romanen bleiben die Brutalitäts-Ausbrüche auch hier vor allem ein Mittel zum Zweck. Mit ihrer emotionalen Performance überspielt Luisa Heyer („Nahschuss“) ihre ohnmächtige Reißbrett-Opferfigur, während Sabin Tambrea nach seiner differenzierten Kafka-Verkörperung in „Die Herrlichkeit des Lebens“ hier als traumatisierter Ex-Feuerwehrmann mit Helfer-Komplex merkwürdig gestelzt und blutleer agiert. Bezeichnend, dass Friedrich Mücke („Der Vierer“) als aufbrausender und wahrlich psychopathisch anmutender Prügel-Ehemann am authentischsten wirkt – und damit schauspielerisch am meisten Eindruck hinterlässt.

    In der zweiten Filmhälfte nimmt „Der Heimweg“ ungleich mehr Tempo auf, wobei die Spannung hier vor allem aus den überraschenden und – wie auch schon bei der Prime-Video-Serie „Die Therapie“ – bei näherer Betrachtung reichlich unlogischen, regelrecht hanebüchenen Twists gespeist wird. Mal abgesehen davon, dass so eine Figur wie ein alberner Witz anmutet: Warum hat ein bulliger Strip-Nikolaus mit Berliner Dialekt einen Taser im Auto liegen? Wo ist Jules’ sehr spät auftauchender, ungebetener Gast vorher abgeblieben? Wie kann ein Killer anhand eines Schnörkels am unteren Ende der mit Blut geschriebenen Ziffer 2 ohne Schriftprobe identifiziert werden? All das sollte man jedenfalls besser nicht näher hinterfragen, wenn man an dem reichlich plakativ geratenen Thriller seinen Spaß haben will. Immerhin: Fitzek-Fans können sich nach fünf Minuten über einen Cameo-Auftritt des Bestseller-Autors in der Rolle eines TV-Nachrichtenmoderators freuen.

    Fazit: Sehr düster, ziemlich spannend, oft betont krass – und bei näherer Betrachtung auch ganz schön flach. „Sebastian Fitzeks Der Heimweg“ vereint eben alle Stärken und Schwächen der literarischen Vorlage in sich.

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