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    Arielle, die Meerjungfrau
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Arielle, die Meerjungfrau

    In den besten Momenten sogar besser als der originale "Arielle"

    Von Björn Becher

    Arielle, die Meerjungfrau“ leitete 1989 eine neue goldene Ära für Disney ein. Der damals phänomenal erfolgreiche Film gehört auch heute noch zu den beliebtesten Werken des Maushauses. Die zahlreichen Fans kennen oft jeden Ton und jedes Wort der sensationellen Songs, die im Original von Alan Menken (Komposition) und Howard Ashman (Texte) stammen, auswendig. Entsprechend skeptisch wurde der Realfilm-Neuadaption von Rob Marshall („Chicago“) entgegengeblickt. Und: Eine weitere „Disney-Renaissance“ einläuten wird der neue „Arielle, die Meerjungfrau“ tatsächlich nicht. Das ist schließlich aktuell auch gar nicht nötig. Er hat aber das Zeug dazu, ein neues Publikum für die romantische Geschichte zu begeistern und gleichzeitig die Anhängerschaft des Originals erneut zu berühren.

    Mit seinem Team um Autor David Magee („Life Of Pi“), die zurückkehrende Komponisten-Legende Alan Menken sowie dem auf den bereits 1991 verstorbenen Howard Ashman folgenden Texter Lin-Manuel Miranda („Encanto“) hat Marshall eine gelungen-moderne Neuerzählung geschaffen. Mit dieser bügelt er in den besten Momenten sogar einige Schwächen des Animationsklassikers aus, der auf einem 1873 veröffentlichten, selbst von der Undine-Saga beeinflussten Kunstmärchen von Hans Christian Andersen basiert. Wobei die mit ihren 135 Minuten etwas zu lange Neuverfilmung wiederum ihre ganz eigenen Schwächen mitbringt.

    Ein Dingelhopper? Auch in der Neuverfilmung ist Arielle überrascht davon, dass die Menschen so komische Werkzeuge haben.

    Während ihre Schwestern im Auftrag ihres Vaters König Triton (Javier Bardem) die übrigen Weltmeere beaufsichtigen, träumt Arielle (Halle Bailey) in der Karibik von einer anderen Welt. Sie ist fasziniert vom Leben der Menschen, doch ihr Vater macht ihr unmissverständlich klar, dass ihr jegliche Annäherung verboten ist. Als die Meerjungfrau bei einem Schiffsunglück den Prinzen Eric (Jonah Hauer-King) rettet, nutzt Hexe Ursula (Melissa McCarthy) Arielles Verlangen nach dieser anderen Welt und dem Prinzen für ihre Zwecke aus.

    Sie bietet Arielle an, sie für drei Tage in einen Menschen zu verwandeln – doch dafür muss sie aufgeben, was eine Meerjungfrau ausmacht. Und das sind nicht nur ihre Flossen, sondern auch die zauberhafte Stimme. Sollte Arielle es nicht innerhalb von drei Tagen schaffen, dass Eric mit ihr einen Kuss der wahren Liebe teilt, wird sie allerdings nicht nur wieder zur Meerjungfrau, sondern gehört auch für immer Ursula. Doch das ist nicht alles, hat die durchtriebene Hexe mit einem zusätzlichen Zauber doch dafür gesorgt, dass Arielle den tickenden Countdown vergisst...

    Kleine Neuerungen ...

    Dieser zusätzliche Zauber, der es stimmiger macht, dass Arielle mit staunenden Augen die neue Welt erkundet und sich nicht überstürzt dem Prinzen an den Hals wirft, ist eine von vielen kleinen Neuerungen, welche „Arielle, die Meerjungfrau“ gekonnt für die heutige Zeit modernisieren. Während auch Songtexte leicht angepasst wurden, hängen die größten Veränderungen aber nicht mit der Titelheldin, sondern mit Eric zusammen. Der ist im Remake nun der adoptierte Nachfolger an der Spitze eines karibischen Inselstaates und träumt davon, seine isolierte Heimat zu öffnen, die Welt zu erkunden und Handelsrouten zu erschließen – im Kontrast zu seiner aktuell noch regierenden und um ihn besorgten Mutter (Noma Dumezweni).

    Allein mit dieser kleinen Änderung gelingt es Marshall und Co. ganz nebenbei, dass sich Arielle nun nicht mehr einfach in den schönen Mann, sondern in die ihr gegenüberstehende Persönlichkeit, in einen Seelenverwandten, verliebt. Die kleinen Anpassungen tragen auch dazu bei, dass die beiden im Original doch etwas (wenn man alle nostalgische Verklärung mal weglässt) blassen Hauptfiguren hier zu Charakteren aus Fleisch und Blut werden – wozu auch die wunderbare Chemie zwischen Jonah Hauer-King und Halle Bailey sowie das Spiel dieser beiden Stars beitragen.

    Sind ein tolles Leinwand-Paar: Jonah Hauer-King als Eric und Halle Bailey als Arielle.

    Insbesondere Halle Bailey ist ein absolutes Highlight. Sie ragt aus einem insgesamt schon starken Cast um u. a. Hauer-King, dem mit viel Gravitas agierenden Javier Bardem, einer wunderbar diabolischen Melissa McCarthy und den von „True Lies“-Bösewicht Art Malik mit viel Herz verkörperten Eric-Aufpasser Grimsby noch mal heraus. Dass die mehrfach Grammy-nominierte Sängerin die kraftvollen Songs des Films meistern würde, konnte man erwarten – auch wenn es dann schon beeindruckend ist, wie sie diese mit absoluter Gänsehaut-Garantie neu zum Leben erweckt. Bailey überzeugt aber auch in den anspruchsvollen Schauspielszenen, in denen ihre der Stimme beraubte Figur ausschließlich mit ihrer Mimik kommunizieren kann.

    Nachdem der „Arielle“-Hit „Under The Sea“ ohnehin schon überdeutlich vom karibischen Calypso geprägt war, verortet die Neuverfilmung die Geschehnisse nun auch explizit in dem entsprechenden Teil des Amerikanischen Mittelmeers. Dort erkundet Arielle zwischen der rasanten Kutschfahrt und dem romantischen Bootsausflug (beide aus dem Original bekannt) diesmal auch wirklich ausführlich die Welt der Menschen. Eine farbenfrohe, schön gestaltete Tanznummer auf einem Marktplatz bildet dabei den Höhepunkt. Sie sticht nicht nur visuell heraus, sondern übernimmt auch eine erzählerische Funktion in der nun viel natürlicher erfolgenden Annäherung des Liebespaares.

    ... sorgen allerdings für sehr viel Laufzeit

    Diese Ergänzungen sorgen allerdings dafür, dass aus dem im Original inklusive Abspann nicht einmal 90 Minuten langen Film nun ein 2 Stunden und 15 Minuten dauerndes Remake wurde – und das ist für die am Ende zwar berührende, aber weiterhin doch recht simple und geradlinige Liebesgeschichte zu viel. Neben zahlreichen gelungenen und sinnvollen Ergänzungen finden sich so auch einige Sequenzen, die überflüssige Erklärungen einfügen oder das Geschehen unnötig strecken.

    Die neuen Songs werden sehr wahrscheinlich nicht den Klassiker-Status der Original-Hits erreichen – was aber wenig überraschend ist. Wo in „Aladdin“ noch Raum war, um mit Jasmins „Speechless“ eine der besten Disney-Power-Balladen seit sehr langer Zeit einzufügen, gibt es in „Arielle“ ohnehin schon sehr viele kraftvoll-emotionale Songs. Die neuen Lieder im Remake übernehmen aber trotzdem ihre ganz eigenen Funktionen. Ein ordentlicher Song für Prinz Eric baut die Figur weiter aus. Ein in den Gedanken von Arielle stattfindendes, durch Schauplatzwechsel aber etwas ungelenk stockendes Lied überbrückt zumindest die Zeit, in welcher die großartige Halle Bailey aufgrund der fehlenden Stimme ihrer Figur nicht zu hören ist. Der beste neue Song ist derweil eine von Komikerin Awkwafina („Shang-Chi“) vorgetragene, witzige Rap-Nummer.

    Scuttle bekommt mit einer Rap-Nummer einen der drei neuen Songs.

    Awkwafina leiht mit Basstölpel Scuttle einem der drei sprechenden Tiere der Geschichte ihre Stimme – und gerade die Umsetzung dieser Fanlieblinge wurde mit besonderer Skepsis beäugt. Es braucht auf jeden Fall seine Eingewöhnungszeit, um sich vor allem an den neuen Look von Krabbe Sebastian sowie Doktorfisch Flounder/Fabius zu gewöhnen. Dass sich das schnell legt, ist in der von uns geschauten englischen Originalfassung vor allem ein Verdienst von „Hamilton“-Star Daveed Diggs. Der begeistert als pflichtbewusste, bereits im Original einen karibischen Schauplatz andeutende Krabbe nicht nur in den Gesangsparts, sondern jederzeit auch mit der wunderbaren Kombination aus altklug, belehrend und überfordert in seiner Stimme. Er ist (erneut) der Szenendieb des Films.

    Mit Arielles kleinem, kindlichen Fischfreund wusste man derweil weniger anzufangen. Nur in der ersten Actionszene des Films, einer aus dem Original übernommenen Konfrontation mit einem Hai, bereichert die überängstliche (im weiteren Verlauf dann allerdings fast überflüssige) Figur das Geschehen. Die angesprochene Sequenz illustriert allerdings eine der Schwächen des Realfilm-Remakes: Die zwangsläufig schneller geschnittene Action lässt bisweilen die Übersichtlichkeit vermissen. Während die Hai-Szene trotzdem dramatisch bleibt, mindert das den Effekt des finalen Kampfs im Film etwas – es ist auch einer (von zum Glück wenigen Momenten), in denen der Film zu dunkel ist, wodurch die Übersichtlichkeit weiter leidet.

    Fazit: Mit der besseren Ausgestaltung der großartig verkörperten beiden Hauptfiguren und einem farbenfrohen Schauplatz, der auch wirklich die Welt der Menschen zeigt, übertrifft „Arielle, die Meerjungfrau“ in seinen besten Momenten sogar das legendäre Original. So ist das Remake eine gekonnte wie berührende Neuerzählung für ein heutiges Publikum – auch wenn (nicht nur wegen der Länge) Spaß und Kurzweil etwas zurückstecken müssen.

    Anmerkung: Uns wurde vorab ausschließlich die englische Originalfassung gezeigt, worauf sich die Bewertung der neuen und teilweise textlich angepassten Originalsongs in dieser Kritik bezieht. Erst im Anschluss konnten wir auch die mittlerweile veröffentlichten deutschen Songs hören (HIER könnt ihr sie auch alle selbst euch anhören). Wie meist bei Disney ist nach Meinung des Autors dieser Zeilen die Übersetzung gelungen, die besondere Power, die vor allem Hauptdarstellerin Halle Bailey mitbringt, fehlt aber ein Stück weit.

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