Mein Konto
    Die blaue Dahlie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die blaue Dahlie
    Von Björn Becher

    „Die blaue Dahlie“, George Marshalls Verfilmung eines Drehbuchs von Raymond Chandler, wird immer eng mit einem schrecklichen realen Verbrechen verknüpft sein. Ein dreiviertel Jahr nach dem Kinostart wurde in Los Angeles die junge, das Vergnügen liebende Elizabeth Short brutal ermordet aufgefunden. Das Verbrechen erregte ein außergewöhnlich großes Öffentlichkeitsinteresse und ist bis heute ungeklärt. Die Presse taufte die Tote The Black Dahlia und ebenso betitelte Krimiautor James Ellroy (L.A. Confidential, Dark Blue, White Jazz) seinen grandiosen semi-fiktiven Roman über das Verbrechen, der 2006 von Brian De Palma (Scarface) verfilmt wurde. Woher der Name kam, ist leicht umstritten, die wahrscheinlichste Theorie ist aber, dass Marshalls Film die Inspiration gab, was mit ein Grund für seinen Bekanntheitsgrad ist. Diesen hat er aber verdient, denn „Die blaue Dahlie“ ist ein starker Film Noir, weniger wegen seiner Krimihandlung, sondern mehr wegen seiner Thematisierung eines gerade entstehenden Problems für die US-Gesellschaft. Am Anfang steht aber nichtsdestotrotz ein Mord an einer das Vergnügen liebenden Frau.

    Seine Kameraden beneiden Kriegsheimkehrer Johnny Morrison (Alan Ladd), erwartet ihn doch im Gegensatz zu ihnen eine Familie zurück. Doch Morrison weiß, dass seine Rückkehr keine erfreuliche ist, kam doch sein Sohn während seiner Abwesenheit bei einem Unfall ums Leben. Doch das ist noch nicht alles. Seine Ehefrau Helen (Doris Dowling) feiert bei seiner Ankunft gerade eine wilde Party. Er muss erkennen, dass sie ein Verhältnis mit Eddie Harwood (Howard Da Silva), dem zwielichtigen Eigentümer des Nachtclubs „Die blaue Dahlie“, hat und Ursache für den Tod des Sohnes ihre Alkoholsucht war. Er trennt sich von ihr, verlässt die Stadt und trifft dabei auf die schöne und hilfsbereite Joyce (Veronica Lake), die – was er noch nicht ahnt – Harwoods gehörnte Gattin ist. In jener Nacht wird Morrisons Frau ermordet und die Polizei hält ihn für den Täter. Aus Angst, seine Unschuld nicht beweisen zu können, versteckt er sich und lenkt den Verdacht damit noch stärker auf sich. Doch wer ist der wirkliche Mörder? Harwood, der erpresserische Detektiv, oder Ex-Polizist Newell (Will Wright), der Helen immer nachstellte, oder Buzz (William Bendix), Morrisons am Kopf verletzter und schwer traumatisierter Kriegskamerad, der seinem Freund helfen wollte und das Mordopfer daher kurz vor der Tat besuchte?

    Auch wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, wer der wahre Mörder sein könnte und dieses bis zum Schluss offen bleibt, folgt „Die blaue Dahlie“ nicht den klassischen Pfaden des Whodunit. Perfekt bringt dies Filmkritiker Thomas Willmann im Booklet der deutschen DVD-Veröffentlichung auf den Punkt. Während die klassischen Krimis britischer Prägung „quasi-mathematische Rätsel mit einer Lösung, die sich durch strikte, saubere, konsequente Logik ermitteln lasse“ seien, sieht er in Chandlers Fällen „eher Gleichungen, die mit mehreren Variablen immer dasselbe tödliche Ergebnis bringen“. Bei „Die blaue Dahlie“ steht daher nicht die Frage nach dem Täter im Vordergrund, sondern nach der Motivation der einzelnen Figuren. Entsprechend ist der Film auch nicht auf sein Starduo Alan Ladd und Veronica Lake fokussiert, sondern gibt zahlreichen Charakteren großen Platz. Jeder hat etwas zu verbergen und wird daher für den hinterlistigen Detektiv Newell zu einem Ziel seiner Erpressungen und jeder hat gute Gründe für seine Geheimnisse.

    Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Buzz, der von Chandler ursprünglich sogar als zentrale Figur ersonnen wurde. Als „Die blaue Dahlie“ entstand, stand der Zweite Weltkrieg kurz vor seinem Ende. Das Problem der Kriegsheimkehrer geriet in den Fokus der Öffentlichkeit. Junge Männer, die in der Ferne gekämpft und getötet haben, sollten sich wieder in Familien integrieren, die über Jahre lernen mussten, für sich selbst zu sorgen. Chandler verknüpft dieses Thema, für welches Johnny und Buzz im Film stehen, mit einer Krimihandlung, was ungewöhnlich ist. Neben William Wylers siebenfachem Oscargewinner „Die besten Jahre unseres Lebens“ war „Die blaue Dahlie“ einer der ersten der sehr wichtigen Filme über die Probleme der Wiedereingliederung von Kriegsrückkehrern.

    Wo er jetzt schon mehrfach erwähnt wurde, müssen natürlich noch ein paar zusätzliche Worte zu Raymond Chandler verloren werden. Der Erfinder der Figur des berühmten Privatdetektivs Philip Marlowe ist einer der wichtigsten Hard-Boiled-Autoren Amerikas und zahlreiche seiner Romane wurden verfilmt (die bekanntesten: Tote schlafen fest und „Der Tod kennt keine Wiederkehr“). Chandler arbeitete auch an zahlreichen Drehbüchern mit, wobei „Die blaue Dahlie“ in dieser Hinsicht eine Ausnahmestellung genießt. Es brachte Chandler nicht nur seine zweite Oscarnominierung, sondern ist sein einziges komplett selbst geschriebenes Drehbuch, das keine Adaption eines eigenen Stoffes oder des eines anderen Autors ist. Seine berühmtesten Drehbucharbeiten wie zu Hitchcocks Der Fremde im Zug oder Billy Wilders „Frau ohne Gewissen“ (ebenfalls Oscar-nominiert) entstanden in Co-Autorenschaft und waren Adaptionen. Bei „Die blaue Dahlie“ hatte Chandler angeblich aber viel zu meckern. So soll er Regisseur George Marshall (u.a. „Der große Bluff“ und Co-Regie bei „Das war der wilde Westen“) für unfähig gehalten haben und so selbst mehrfach am Set aufgetaucht sein und einige Szenen inszeniert haben. Von dieser Problematik ist im fertigen Film glücklicherweise nichts zu spüren.

    Unzufrieden war Chandler angeblich auch mit Hauptdarstellerin Veronica Lake. Das absolute Sexsymbol jener Zeit, die eine Frisur (den so genannten „peek-a-boo bang“) so salonfähig machte, dass Millionen Frauen keine andere mehr wollten, und die Prostituierten in der Glitzerwelt Hollywoods alle so aussehen wollten wie Lake (siehe auch L.A. Confidential, wo Kim Basinger eine solche spielt), genügte nicht seinen schauspielerischen Ansprüchen. Chandlers Ansicht ist durchaus verständlich, eine gute Schauspielerin war Lake nie und das dürfte (neben ihrem arroganten und die Abneigung ihrer Kollegen begründeten Auftreten) ein wichtiger Grund für die Kürze ihrer Karriere gewesen sein. Hier muss sie allerdings größtenteils nur die Rolle des optischen, leicht undurchschaubaren Leckerbissens ausfüllen und das vermag sie famos. Das Schauspielern bleibt den Männern überlassen, die fast allesamt zwielichtige Figuren verkörpern. Nur Ladds Figur ist leider – Chandler-untypisch – recht strahlend weiß, so kann der Star (bekannteste Hauptrolle: „Mein großer Freund Shane“) auch nicht ganz so brillieren, wie seine mit vielschichtigeren Charakteren ausgestatteten Kollegen. Vor allem William Bendix (Das Rettungsboot) als fast dem Wahnsinn verfallener Kriegsveteran sticht gleich in mehreren eindrucksvollen Szenen heraus. Er trägt den Hauptanteil an der klaren Umsetzung von Chandlers primären Anliegen: Der Heimkehrer bekommt keine Hilfe, sich wieder zu integrieren und wird immer auf sich alleine gestellt bleiben.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top