Düstere Sci-Fi mit grandiosen Bildern
Von Gaby SikorskiDer Klimawandel samt biblischer Sintflut als Stoff für einen Science-Fiction-Film? Das gab es schon mehrfach, zum Beispiel in „Waterworld“ (1995), seinerzeit ein Flop – heute beinahe ein Klassiker: Kevin Costner spielte in seinem beinahe ruinösen Herzensprojekt den wortkargen Helden in der dystopischen Vision einer Welt, die beinahe nur noch aus Wasser besteht. Seinerzeit eine gewagte These, aber mittlerweile befassen sich ganze Wissenschaftszweige mit der Erstellung von Studien über die konkreten Folgen des Klimawandels für den Wasserhaushalt der Erde. Inzwischen herrscht Einigkeit darüber, dass sich die Welt durch das Schmelzen der Polkappen und den Anstieg des Meeresspiegels innerhalb der nächsten 100 bis 200 Jahre erheblich verändern wird – zumindest wenn es nicht gelingt, den derzeitigen Temperaturanstieg zu stoppen.
Der estnische Filmregisseur Tanel Toom und sein Drehbuchautor Malachi Smyth beschreiten mit „Last Contact“ einen noch radikaleren Weg: Ihr Film spielt bereit in 40 Jahren. Die Erde ist komplett überflutet. Nur noch zwei kleine Kontinente sind übriggeblieben, die gegeneinander Krieg führen. Zwischen ihnen, mitten im tosenden Meer, liegt der Militärposten einer der beiden Parteien – eine winzige Station, ausgestattet mit einer Atombombe und besetzt mit vier Freiwilligen, die für zwei Jahre hier ihren Dienst ableisten. Doch die Ablösung ist überfällig, alle Funksprüche gehen ins Leere, der Proviant wird knapp – und die allgemeine Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Kurz bevor sie alle durchdrehen, wird ein Schiff gesichtet. Bringt es die erhoffte Ablösung? Oder handelt es sich womöglich um ein geschickt eingefädeltes feindliches Manöver?
Wunderbar schmallippig: Der deutsche Hollywoodstar Thomas Kretschmann („Indiana Jones 5“) als Sgt. Hendrichs.
Der Film kommt schnell zur Sache – gleich zu Beginn zieht ein gewaltiger Sturm auf und fordert von der Besatzung ein Höchstmaß an körperlichem Einsatz. Das Quartett erweist sich dabei als eingespieltes Team um Sergeant Hendrichs (Thomas Kretschmann): Neben Corporal Cassidy (Kate Bosworth), die von allen nur Cass genannt wird und als einzige Frau für den Kontrollraum zuständig ist, gibt es da noch den einfallsreichen Techniker Baines (Martin McCann) und den vielseitig begabten Sullivan (Lucien Laviscount), der die unangenehmsten und schwierigsten Arbeiten erledigt. Alle haben ihre Aufgaben, sie geben ihr Bestes, um die Plattform, so gut es eben geht, vor dem Sturm und den Wassermassen zu schützen.
Aber so spannend die Szene auch ist: In gewisser Weise wird das Publikum damit an der Nase herumgeführt, denn dieser starke Beginn könnte auch gut in einen Actionfilm passen. Aber selbst wenn „Last Contact“ einige flott gefilmte Actionszenen vorzuweisen hat, ist der Film insgesamt vielmehr ein recht anspruchsvoller, gut gespielter und inszenierter Science-Fiction-Thriller, in dem es mehr um die Personen als um den Plot geht. Die kammerspielartige Struktur wird dabei immer wieder durch die virtuose Kameraarbeit von Mart Ratassepp aufgebrochen, die viel mit Kontrasten zwischen Hell und Dunkel arbeitet und so den Gegensatz zwischen Mensch und Ozean in wunderschön-finsteren Bildern betont. Als Soundtrack fungiert eine Geräuschkulisse, in der sich Maschinenlärm und Meeresrauschen treffen, womit die wachsende Spannung noch weiter befeuert wird. Denn immer mehr kristallisiert sich heraus: Das Problem ist weder das Meer noch der Krieg, das Problem sind die anderen.
„Last Contact“ erinnert in seiner dichten, düsteren Atmosphäre manchmal an den Klassiker „Das Boot“ (1981) – noch mehr aber an „Der Leuchtturm“ (2019), denn auch hier spielen Einsamkeit und Isolation eine wichtige Rolle – und das schlechte Wetter natürlich. Wind, Regen und Riesenwellen: Die Menschen sind den Naturgewalten ausgeliefert, zwar nicht ganz schutzlos, aber die Drohung ist eindeutig: Die Geister, die von den Menschen gerufen wurden, werden sie nun nicht mehr los. Die Natur schlägt zurück. Der Ärger ist selbstgemacht. Das offene Meer um die Plattform, die an eine Mini-Bohrinsel erinnert, liefert das grandiose Setting für die Geschichte um vier kleine Menschen in der Endlosigkeit des Meeres – eine tolle Vorgabe und gleichzeitig ein Blick in eine schreckliche neue Welt, die keine Schönheit mehr kennt und keine Freude.
Auch Computer, Handys und Internet gehören der Vergangenheit an. Die Zukunft ist analog – und die unausgesprochene Botschaft dahinter lautet: Der Mensch hat die Welt zerstört, die er selbst aufgebaut hat, und das Einzige, was ihm einfällt, ist Krieg zu führen. Dieser Krieg wird kaum thematisiert, über den Gegner ist praktisch nichts bekannt, es gibt keine Informationen, alle an Bord vorhandenen Zeitschriften und Bücher wurden längst Seite für Seite als Toilettenpapier in den Ozean gespült. „Sie sind wie wir“, sagt der Sergeant über die Feinde. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Fronten ist die Richtung, in die geschossen wird. Aber ist da überhaupt noch jemand? Die isolierte Lage der vier Menschen macht sie nicht nur anfällig für Spekulationen und paranoide Ideen, sie verschärft auch die Beziehungen untereinander.
Wie Kameramann Mart Ratassepp mit den Kontrasten spielt, ist eines der Highlights von „Last Contact“.
Die Spannung erwächst in „Last Contact“ dabei weniger aus den eher spärlichen Handlungselementen als vielmehr aus den unterschiedlichen Charakteren und ihren Beziehungen untereinander: Da ist der autoritäre Kommandant, der Sergeant, den Thomas Kretschmann („Indiana Jones 5“) sehr souverän und mit nahezu unbewegter Miene als schmallippig sturen Soldaten mit geheimnisvoller Vergangenheit spielt. Gleich danach in der Rangfolge kommt Cassidy – sie hat den zweiten Schlüssel für den Startprozess der Atombombe. Kate Bosworth macht das sehr gut mit ihrer herben Ausstrahlung, meist bleibt ihr Gesicht hart und spröde, nur manchmal weicht die Entschlossenheit einem sanften Lächeln. Ansonsten ist sie taff und kurz angebunden, ihrem Rang und ihrer Aufgabe angemessen.
Cassidy ist ein verschlossener Mensch, aber auch eine Frau mit Prinzipien. Sie weiß, was sie will, und deshalb hat sie ein Verhältnis mit dem coolen Sullivan, gespielt von Lucien Laviscount, einem der Stars aus „Emily in Paris“. Er spielt den Sullivan zunächst als taffen, leicht naiven Typen, ein bisschen verschusselt, aber sympathisch. Martin McCann spielt seinen Kumpel Baines. Der ist einer dieser Technikfreaks, die alles reparieren können und aus einem Stück Schnur und einer alten Nähmaschine einen Atomreaktor bauen. Doch mit der Entdeckung des geheimnisvollen Schiffes verändern sich die Beziehungen der Personen untereinander. Angezogen von dem Schiff streben sie in unterschiedliche Richtungen auseinander, und das bedeutet: Konflikte, Krisen und möglicherweise auch Gewalt. Die einen schwanken zwischen Pflichterfüllung, Ungehorsam und Widerstand, andere wittern Verrat. In der klaustrophobischen Atmosphäre der Militärstation droht ein furchtbarer Showdown, denn da ist ja auch noch die Atombombe...
Fazit: Mit seiner klaustrophobischen Charakterstudie einer geschlossenen Gesellschaft mitten auf dem Meer liefert Tanel Toom einen atmosphärisch gelungenen, spannenden und optisch reizvollen Beitrag zum Thema Endzeitfilme und Post-Apokalypse. Wer hier einen Actionfilm vermutet, liegt ziemlich falsch, dennoch ist „Last Contact“ trotz einiger kleiner Längen ein sehenswerter, intelligenter Thriller vor dem Hintergrund der Klimakrise.