Neben „Martyrs“, „High Tension“ und „Frontier(s)“ gehörte auch „Inside“ Ende der Nullerjahre zu einer Welle an französischen Terrorfilmen, die das internationale Horrorkino mit frischem Blut und vor allem neuer Härte versorgten. In dem Film von Alexandre Bustillo und Julien Maury („Leatherface“) bekommt es eine hochschwangere Frau mit einer irren Babydiebin zu tun, wobei der Film ohne sein visuell drastisches und an Perversität nur schwer zu übertreffendes Finale wohl kaum so kontrovers aufgenommen worden wäre: Am Ende schneidet die Schurkin ihrem Opfer nämlich per improvisiertem Kaiserschnitt das Baby aus dem Bauch. Uns hat das damals schon nicht gefallen, als wir „Inside“ mit mageren 1,5 Sternen bewertet haben, weil er zwar vielversprechend-atmosphärisch beginnt, sich dann aber in der zweiten Hälfte nur noch an seinen selbstzweckhaften Grenzüberschreitungen ergötzt, während sich in den Drehbuchseiten zunehmend die Logiklöcher stapeln. Für Miguel Ángel Vivas („Extinction“), den Regisseur des englischsprachigen „Inside“-Remakes, hätte also durchaus die Möglichkeit bestanden, Dinge besserzumachen – und stellenweise gelingt ihm das sogar. Aber spätestens, wenn er die klaustrophobische Enge des Hauses verlässt, um als Showdown plötzlich eine actionlastige Verfolgungsjagd zu präsentieren, zeigt das vor allem, dass Vivas selbst nicht so ganz verstanden zu haben scheint, was eigentlich genau das Reizvolle an der Vorlage ist.
Die hochschwangere Sarah (Rachel Nichols) hat erst kürzlich ihren Ehemann bei einem Autounfall verloren, der sie auch einen Großteil ihres Gehörsinns verloren hat. Nun sitzt sie allein in ihrem Haus in einer fast noch menschenleeren Neubausiedlung und Wartet auf die Geburt ihres Babys, als eine fremde Frau an die Tür klopft, die nach einer angeblichen Autopanne nur mal schnell telefonieren will, dann aber plötzlich anfängt, Sarah aufs Übelste zu beschimpfen. Nachdem eine herbeigerufene Polizeistreife erfolglos die Umgebung abgesucht hat, geht Sarah zu Bett – nicht ahnend, dass sich die Fremde (Laura Harring) längst Zutritt zu ihrem Haus verschafft hat. Im nächsten Moment erwacht Sarah mit einer Infusionsnadel im Arm, offenbar soll sie gerade auf eine Operation vorbereitet werden. Doch Sarah beginnt zu kämpfen – für sich und für ihr ungeborenes Baby…
Wo das 2007er-Original noch in einem düster-abgefuckten Grau-in-Grau-Look mitsamt disharmonisch-unheilvoller Musikuntermalung daherkam, erweckt die Neuauflage von Beginn an einen saubereren Eindruck: Gleich zu Beginn des US-Remakes werden Texttafeln mit Fakten über reale Entführungsfälle von Schwangeren und Embryos eingeblendet, so wollen die Macher das Geschehen offenbar erden und zusätzlich ein Stück weit thematische Relevanz für sich proklamieren. Die Original-Regisseure Alexandre Bustillo und Julien Maury haben hingegen nie einen Hehl daraus gemacht, dass es ihnen vor allem um die pure Lust am Tabubruch geht. Nach dem bekannten Autounfall-Prolog erklingt erst mal ein schwungvoller Weihnachtsklassiker, ehe sich mit Konzentration auf Sarahs Haus als beengtem Setting die Atmosphäre nach und nach verdichtet. Nun verläuft erst einmal alles exakt so, wie man es aus dem Original kennt, sogar die Dialoge werden mitunter eins zu eins übernommen. Auffällig ist nur, wie gezielt die Drehbuchautoren Jaume Balagueró („[Rec]“) und Manu Díez („[Rec] 2“) die Tristesse des Originals umgehen: Während die Protagonistin in der 2007er-Version schon vor der Bedrohung durch die namenlose Fremde vor Kummer und Leid zerfließt, hat sich die Sarah im Remake vergleichsweise gut mit ihrem Witwendasein arrangiert. Noch nicht einmal ein nach ihrem Ehemann verlangender Anrufer bringt sie übermäßig aus der Fassung. Rachel Nichols ist so von Beginn an eine sehr viel glattere Protagonistin als Alysson Paradis zehn Jahre zuvor.
Achtung, die folgenden zwei Absätze enthalten Spoiler! Dieser weichgespülte Eindruck verstärkt sich noch, wenn Miguel Ángel Vivas anschließend viele der im Original explizit gezeigten Gewaltakte lediglich andeutet oder direkt im Off stattfinden lässt (drehte Béatrice Dalle damals noch vor laufender Kamera einer Katze den Hals um, hört man diesmal nur durch eine Tür das kurze Quicken eines getöteten Hundes). Auch die Kontroverse um das transgressive Finale wird nach dem Remake ganz bestimmt nicht wieder neu hochkochen, denn wo dem Publikum im Original noch ganz bewusst jede Form von Erlösung vorenthalten wurde, avanciert Sarah dieses Mal zu einer klassischen Final-Girl-Heldin, wenn sie (hochschwanger!) ein ums andere Mal ihre Kontrahentin ausknockt. Das Driftet irgendwann sogar ins ungewollt Komische ab, wenn die Autoren schließlich plötzlich auch noch schlagfertige Oneliner für ihre Protagonistin aus dem Hut zaubern. Zu allem Überfluss geht Laura Hanning („Mulholland Drive“) dabei die perfide Bedrohlichkeit ihrer Vorgängerin völlig ab. Béatrice Dalle verpasste ihre Figur einen kaum vorstellbaren Nihilismus, mit dem sie ihre Schere – die natürlich auch im 2007er-„Inside“ wieder zum Einsatz kommt – in Hände, Köpfe und vor allem Bäuche rammte. Hier bereitet die Antagonistin hingegen erst einmal ein Operationsszenario vor und versetzt Sarah in Narkose, statt ihrem Opfer bei vollem Bewusstsein eine Schere in den Bauch zu stoßen.
Weniger auf explizite Tabubrüche zu setzen und stattdessen einfach einen handwerklich guten Klaustrophobie-Schocker (Sarah ist schließlich lange Zeit nur in ihrem Badezimmer eingeschlossen) zu präsentieren, hätte ja durchaus funktionieren können, zumal es da durchaus gelungene Ansätze wie die hinzugedichteten Taubheitsprobleme der Protagonistin gibt. Wenn das Hörgerät in der ersten Hälfte immer wieder aussetzt und Sarah ohne jede Chance, die Schritte ihrer Kontrahentin hören zu können, bei völliger Stille durch die engen Flure schleicht, dann ist das mitunter schon verdammt effektiv. Leider lässt Vivas dieses Element irgendwann fallen. Stattdessen versucht er, der erneut namenlosen Schurkin zumindest an anderer Stelle mehr Profil zu geben, was aber total nach hinten losgeht – so entzaubert das Skript mit den zusätzlichen Infos den Mythos der unbekannten Fremden und lässt sie schließlich allzu menschlich (und damit leider auch sehr viel wenig furchterregend) wirken. Das wirkt sich genauso nachteilig auf die Spannung aus wie die Entscheidung, den Showdown nach draußen zu verlegen. Zwar gelingen dabei einige nette Einstellungen, etwa durch die Plane eines abgedeckten Swimming Pools hindurch. Aber spätestens in diesem Actionfilm-Finale geht die dreckig-unbequeme Atmosphäre des Originals endgültig flöten.
Fazit: Wie die Vorlage überzeugt auch das Remake vor allem in der ersten Hälfte. Anschließend wandelt sich der neue „Inside“ nämlich zunehmend zu einem 08/15-Home-Invasion-Thriller, der nicht nur auf der Zielgeraden dramatisch an Spannung einbüßt, sondern den auch kaum ein Zuschauer länger in Erinnerung behalten wird – und zumindest das lässt sich vom vielzierten Original mit seinen tabubrechenden Gewaltakten (die uns zwar nicht gefallen haben, dem Film aber zumindest seinen bleibenden Ruf sichern) ganz sicher nicht behaupten.