Die BBC-Naturdokumentation „Unsere Erde“ wurde 2008 mit dem Claim beworben: „So haben Sie die Welt noch nie gesehen!“. Und tatsächlich sollte sich diese Behauptung als nicht übertrieben herausstellen. So wie die beiden Dokumentarfilmvisionäre Alastair Fothergill und Mark Linfield („Schimpansen“) die Flora und Fauna unseres Planeten in all ihren Facetten einfingen, vermochte das zuvor wohl kein anderer. Das Ergebnis: Mit 3,8 Millionen Zuschauern gehört „Unsere Erde“ bis heute zu den erfolgreichsten Dokumentationen der deutschen Kinogeschichte. Und da die Geheimnisse der Natur noch längst nicht alle ergründet sind und auch die technischen Möglichkeiten sich weiterentwickelt haben, bot sich ein Sequel gleich in mehrfacher Hinsicht an. In „Unsere Erde 2“, dessen Fertigstellung mehr als drei Jahre in Anspruch nahm, erkundet das Regietrio Peter Webber („Das Mädchen mit dem Perlenohrring“), Richard Dale („9/11 – Die letzten Minuten im World Trade Center“) und Lixin Fan („I Am Here“) das Leben in den Tiefen der Ozeane und in den schwindelerregenden Höhen steiler Felswände, in der Antarktis und in den tropischen Urwälder – ein weiteres Mal wird in „Unsere Erde 2“ ein ganz breites Spektrum faszinierender Naturereignisse abgedeckt und mit atemberaubenden Aufnahmen bebildert.
Wie schon der erste Teil folgt auch das Sequel einer Art Dramaturgie. Doch anstatt sich erneut von Norden nach Süden zu begeben und dabei nacheinander verschiedene Gebiete der Erdkugel zu erkunden, orientieren sich die Macher in „Unsere Erde 2“ an den Tageszeiten (daher auch der Originaltitel „Earth: One Amazing Day“). Der Film beginnt am frühen Morgen und endet bei Nacht. Insgesamt haben die 39 (!) Kameraleute mithilfe diverser hochmoderner Kameraapparaturen (unter anderem in hochauflösendem 4K) mehrere 100 Stunden Material beziehungsweise 60 Terabyte Daten aufgezeichnet, aus denen die drei Regisseure Dale, Fan und Webber das beste Material ausgewählt und anschließend so zusammengestellt haben, dass die Folge der gezeigten Szenen eine subtile Spannungskurve bekommt. Die Aufnahmen von spielenden Pandabären, neugierigen Erdmännchen und Schutz vor der Nacht suchenden Affenfamilien wirken dadurch nicht wie aneinandergereihtes Stückwerk, sondern erzählen – auch dank des sympathischen erklärenden Kommentars, der in der deutschen Fassung von Günther Jauch gesprochen wird (im Original: Robert Redford und Jackie Chan) – eine Geschichte darüber, wie sich die verschiedenen Geschöpfe unserer Erde den Tag-Nacht-Zyklus zu eigen machen.
Dass hinter dem Film ein riesiger Zeit- und Materialaufwand steckt, ist ihm immer wieder anzusehen. So besitzen etwa die Aufnahmen der Narwale, für die das Team über einen Monat auf dem 1,6 Grad kalten Eismeer verbracht hat, nicht bloß einen enormen Seltenheitswert. Das Material mit seinen gestochen scharfen Bildern und der großen Nähe zu den Tieren erlaubt genaue Beobachtungen über das Verhalten der „Meereseinhörner“. Dasselbe gilt für die auf Zavodovski Island gefilmten Aufnahmen zum Brutverhalten der dort lebenden Zügelpinguine – 1,5 Millionen an der Zahl – die innerhalb von sechs Wochen entstanden sind. Und den spektakulären Kampf zwischen zwei Giraffenbullen kriegen wir nur deshalb zu sehen, weil die Macher 30 Tage lang im Grasland der afrikanischen Savanne ausharrten, bis sich ein solch seltenes Spektakel genau vor ihrer Kameralinse abspielte.
Neben dem Giraffenkampf gibt es in „Unsere Erde 2“ weitere prägnante Episoden, die von den Regisseuren wie ein „Film im Film“ aufgezogen werden und eine ganz eigene Dramaturgie bekommen. Das Duell der beiden Giraffenbullen kommt wie ein Boxkampf daher, eine mörderische Verfolgungsjagd zwischen unzähligen frisch geschlüpften Meerechsen und Galapagos Racern – einer sehr flinken Schlangenart – werden mit der passenden Musikuntermalung zu einer Art „Mad Max“ für Tierfreunde. Die verzweifelte Suche eines Faultiers nach der richtigen Partnerin entpuppt sich als melancholische Liebesgeschichte, der verzweifelte Überlebenskampf eines Zebrajungen in einem reißenden Fluss als hochspannender Thriller und wenn mit Einbruch der Nacht Hunderte von Fledermäusen die Leinwand heimsuchen, machen schnelle Schnitte und die unheilvolle Musik von Alex Heffes („Mandela - Der lange Weg zur Freiheit“) daraus ein waschechtes Horrorszenario. Dass der Informationsgehalt von „Unsere Erde 2“ dabei nicht zu kurz kommt, liegt in erster Linie am gut geschriebenen Voice-Over-Kommentar. Anders als in vergleichbaren Filmen wie etwa „Die Reise der Pinguine“, der ebenfalls erst kürzlich fortgesetzt wurde, werden die Tiere hier zudem nicht so sehr vermenschlicht.
Der erhobene Zeigefinger in Richtung des Publikums war im ersten Teil noch deutlich ausgeprägter –damals wurde ein einsamer, langsam verhungernder Eisbär zum empörenden Sinnbild für die tödlichen Folgen des Klimawandels. Der aufklärerische Aspekt hätte auch hier angesichts der globalen Probleme ruhig etwas stärker ausfallen dürfen, aber in „Unsere Erde 2“ gibt es nun lediglich im Schlussakt eine Handvoll mahnender Worte darüber, dass wir unser Gefühl für den naturgegebenen Tag-Nacht-Rhythmus längst verloren haben. Ansonsten herrscht diesmal eher Optimismus: Wenn es mit Bildern von Glühwürmchen und allerlei leuchtendem Getier ins gelungene Finish geht, scheinen uns die Macher sagen zu wollen: Wer sich die Faszination für die Natur bewahrt, der wird gar nicht erst auf die Idee kommen, sie und alles, was sie beherbergt, zu zerstören.
Fazit: „Unsere Erde 2“ ist eine phänomenal bebilderte Naturdokumentation zum Staunen, die ihrem Vorgänger in nichts nachsteht.