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    Tatort: Hundstage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Hundstage
    Von Lars-Christian Daniels

    Schauspielerin Maren Eggert („Eltern“) hat offenbar wieder Gefallen am „Tatort“ gefunden: Im November 2015 kehrte die gebürtige Hamburgerin, die im „Tatort“ aus Kiel von 2003 bis 2009 die clevere Polizeipsychologin Frieda Jung verkörperte, für eine Folge in ihrer alten Rolle an die Förde zurück – und ließ sich als Interimsverlobte von Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) im „Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“ aus den Fängen des psychopathischen Frauenmörders Kai Korthals (Lars Eidinger) retten. Gut 400 Kilometer weiter südlich gibt Eggert nun ihr nächstes Gastspiel: Im „Tatort“ aus Dortmund ist sie zwar nicht als Frieda Jung, dafür aber erneut in einer Schlüsselrolle zu sehen. Stephan Wagners „Tatort: Hundstage“, der mit Sidney Lumets gleichnamigem Meisterwerk „Hundstage“ vor allem die hochsommerlichen Temperaturen gemeinsam hat, ist ein typischer Beitrag aus dem Ruhrpott: Ihn kennzeichnen starke Figuren, zwischenmenschliche Abgründe und reichlich Nebenschauplätze, die parallel zu den Ermittlungen beackert werden. Das ergibt unter dem Strich ein etwas überfrachtetes, aber unterhaltsames Krimidrama, in dem drei der vier Ermittler den kühlen Kopf vermissen lassen.

    Es ist heiß in Dortmund – brütend heiß. Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann), der nach der Aussage seines Kollegen Daniel Kossik (Stefan Konarske) eine Dienstaufsichtsbeschwerde am Hals hat, findet unverhofft Abkühlung: Als er nachts am Hafen unterwegs ist, fallen Schüsse – und im Hafenbecken kämpfen zwei Menschen gegen das Ertrinken. Faber springt ins Wasser und zieht Judith Stiehler (Anne Ratte-Polle) an Land, muss aber machtlos mitansehen, wie Max Dehlens (Ralf Drexler) untergeht. Eine Rettung wäre ohnehin zu spät gekommen: Dem Toten steckt eine Kugel in der Brust. Als Fabers Kollegin Martina Boenisch (Anna Schudt) die Leiche sieht, stockt ihr der Atem: Sie kannte Dehlens. 14 Jahre zuvor hatte sie seinen vermissten Sohn nicht finden können und macht sich nun schwere Vorwürfe. Eva Dehlens (Maren Eggert), die Ehefrau des Toten, blockt jeden Kontakt zu der Polizistin ab – auch zum Schutz ihrer Kinder Mel (Sinje Irslinger) und Leon (Leonard Klemm). Kossik und seine Kollegin Nora Dalay (Aylin Tezel) forschen derweil im Umfeld von Judith Stiehler: Während ihr Mann Paul (Dirk Borchhardt) eine Waffe aus Bundeswehrzeiten im Schrank hat, sieht ihr Sohn Jonas (Patrick Mölleken) dem vermissten Kind verdächtig ähnlich...

    Fabers Erinnerungen an seine verstorbene Familie. Die Zweifel am eigenen Können. Boenischs Sehnsucht nach ihrem Sohn. Kossiks aufkeimende Alkoholsucht. Eine Annäherung zwischen Faber und Boenisch. Eine Annäherung zwischen Kossik und Dalay. Ein Disziplinarverfahren, ein Psychologe, ein Faustschlag: Auch im „Tatort: Hundstage“ wird das Dilemma vieler Folgen aus Dortmund wieder deutlich. Drehbuchautor Christian Jeltsch („Stille“), der bereits zum elften Mal ein „Tatort“-Skript beisteuert und diesmal Stammautor Jürgen Werner ersetzt, hat einen ganzen Strauß an interessanten Nebengeschichten im Köcher, die parallel zum Mordfall laufen. Sie alle sind es wert, erzählt zu werden – aber knapp 90 Minuten Laufzeit sind dafür einfach zu wenig. Fast zwangsweise wird einiges im Schnelldurchlauf abgehandelt: So sehr man beim Fast-Kuss von Boenisch und Faber („Besser nicht.“) gespannt innehält, so kalt lassen einen Kossiks Feierabendbierchen, die er gegenüber Dalay nur halbherzig verheimlicht. Es wäre sicher kein Fehler gewesen, zumindest diesen Handlungsschlenker für den nächsten „Tatort“ aus Dortmund aufzusparen.

    Von dem Gesamteindruck des Überfrachteten abgesehen ist der 973. „Tatort“ aber ein überzeugendes Krimidrama: Getragen von einer starken Besetzung, aus der die famos aufspielenden Jörg Hartmann („Weißensee“), Anna Schudt („Der gute Göring“) und Anne Ratte-Polle („Der Tote im Spreewald“) besonders hervorstechen, inszeniert Filmemacher Stephan Wagner („Mord in Eberswalde“) einen kniffligen, wenn auch am Ende etwas unübersichtlichen Whodunit, in dem zu keiner Sekunde Leerlauf herrscht. Leitmotiv des Films ist der Verlust eines Kindes: Während Faber die Stimme seiner tödlich verunglückten Tochter im Kopf hört und die Therapie beim Polizeipsychologen Peter Lech (Ronald Kukulies) boykottiert, sucht Boenisch Kontakt zu ihrem Sohn, der sich nach der Trennung von ihrem Ex-Mann für ein Leben beim Vater entschieden hat. Zwischen Dalay und Kossik steht weiterhin ihr abgetriebenes Kind. Antriebsfeder der Ermittlungen ist aber die Frage, ob es sich bei Teenager Jonas tatsächlich um den vermissten Sohn der Dehlens handelt: Trotz kleinerer logischer Schwächen halten die Filmemacher die Auflösung dieser spannenden Frage lange offen, sodass bei der Suche nach dem Täter fleißig mitgerätselt werden darf.  

    Auch handwerklich gibt sich Regisseur Wagner, der in den vergangenen Jahren unter anderem den vielgelobten Berliner „Tatort: Gegen den Kopf“ und den hochspannenden Kieler „Tatort: Borowski und die Frau am Fenster“ inszenierte, keine Blöße. Zu den stärksten Momenten gehört eine nächtliche Sequenz im Dortmunder Polizeipräsidium: Während Faber in seinem türlosen Büro unter Alkoholeinfluss Selbstgespräche führt und von Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten zerfressen wird, belauscht die irritierte Boenisch ihn heimlich von nebenan. Auch sonst erreichen die Spannungen zwischen den Ermittlern, deren Charakterzeichnung weiter geschärft wird, eine neue Dimension: Faber und Kossik liefern sich schon bei der zweiten Tatort-Besichtigung eine handfeste Rauferei. „Tatort“-Puristen dürften unorthodoxe Stressmomente wie diese sauer aufstoßen – aber die Beiträge aus dem Ruhrpott waren noch nie dafür bekannt, dass in ihnen strikt die ungeschriebenen Gesetze der Krimireihe eingehalten werden. Die Fans von Faber und Co. kommen beim „Tatort: Hundstage“ allerdings voll auf ihre Kosten.

    Fazit: Stephan Wagners „Tatort: Hundstage“ ist ein stark gespieltes, wenn auch inhaltlich etwas überladenes Krimidrama aus Dortmund, das bis in die Schlussminuten gut unterhält.

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