Ken Duken hat Eier! Das ist flapsig auf den Punkt gebracht unser Spontanfazit zum Regiedebüt des Schauspielers („Conni & Co.“, „Inglourious Basterds“). In dem packenden Thriller „Berlin Falling“, der am 13., 14. und 15. Juli 2017 exklusiv in ausgewählten deutschen Kinos gezeigt wird, ehe er wenig später seine Pay-TV-Premiere feiert, nimmt er sich einige ganz heiße thematische Eisen vor – von der Terrorgefahr bis zu traumatischen Kriegserfahrungen und Extremismus. Aber nicht nur das: Duken und sein Drehbuchautor Christoph Mille greifen auch die im Zeitalter der Fake News grassierende Unsicherheit über die Zuverlässigkeit von Fakten und Informationen auf. In „Berlin Falling“ ist wenig so, wie es zunächst scheint – auch vermeintlich sichere Erkenntnisse haben hier nicht zwangsläufig etwas mit der Wahrheit zu tun. Dieses Spiel mit den Erwartungen und den Wahrnehmungen der Zuschauer funktioniert am besten, wenn man vorher nicht allzu viel über den Film weiß. Deswegen halten wir die inhaltlichen Details auch so knapp wie möglich. Aber so viel sei verraten: Es lohnt sich bei diesem ebenso spannenden wie brisanten Film bis zur allerletzten Sekunde im Saal sitzen zu bleiben.
Frank (Ken Duken) war mal Elitesoldat, seine Kriegserlebnisse kann er nicht abschütteln. Heute ist er alkoholabhängig, lebt alleine in einer heruntergekommenen Wohnung und hat kaum noch Kontakt zu seiner Ex-Frau Claudia (Marisa Leonie Bach) und seiner Tochter Lilly. Doch an diesem Wochenende hat er noch einmal die Chance, sich als Vater zu beweisen und macht sich auf die mehrstündige Autofahrt in die Hauptstadt Berlin. Doch kaum hat die Reise begonnen, bittet ihn der nett dreinblickende Anhalter Andreas (Tom Wlaschiha) darum, nach Berlin mitgenommen zu werden. Widerwillig stimmt Frank zu. Doch Andreas hat nicht nur einen düsteren Plan, für dessen Vervollständigung er Frank braucht. Er hat auch eine geladene Waffe – und zu allem Überfluss eine tickende Bombe in seinem Rucksack…
Die Atmosphäre in „Berlin Falling“ ist von Anfang an ominös. Dazu tragen nicht nur die stimmungsvoll-impressionistische Kameraarbeit (besonders gelungen: die irrlichternd um das Auto der Protagonisten herumtanzende abendliche Straßenbeleuchtung) und das effektiv-expressive Sounddesign bei. Vielmehr ist hier nicht einmal sicher, ob man sich auf die Hauptfigur verlassen kann. Denn Ken Dukens Frank mag zwar die allerzärtlichsten Vatergefühle für seine Tochter hegen, aber er gefährdet das Wiedersehen trotzdem, indem er sich mit Alkohol bewaffnet hinters Steuer setzt. Und wenn wenig später der höfliche, aber auch entschieden zwielichtige Andreas auf dem Beifahrersitz Platz nimmt, dann wird die Ahnung schnell zur Gewissheit: Hier liegt etwas ganz gewaltig im Argen. Die beiden Männer hinterlassen nicht bloß eine gewaltige Blutspur, sondern auch ziemlich viele Fragezeichen und die mehrstündige gemeinsame Fahrt entwickelt sich dabei zu einem erbitterten Psychokrieg. Die Enge des Autos, das hier über weite Strecken zum einzigen Schauplatz wird, und die Ungewissheit darüber, worauf das Ganze hinauslaufen könnte (erst spät im Film konkretisiert sich das allmählich) steigern die Spannung und das Gefühl der Bedrohung ungemein – und dass sich schließlich auch Franks Tochter in unmittelbarer Gefahr befindet, setzt noch einmal einen oben drauf.
Während Ken Duken alle Widersprüche in seiner Figur Frank nuanciert ausspielt - er ist passives Entführungsopfer, tougher Elitesoldat, liebender Familienvater und verantwortungsloser Trinker in einem -, lässt Tom Wlaschiha (der Jaqen H’ghar aus „Game Of Thrones“) keinen Zweifel an der Entschlossenheit seines Andreas und sorgt genau damit bis zum Schluss für Verblüffung. Denn gerade als man denkt, ihn durchschaut zu haben, schlägt er (und damit der ganze Film) plötzlich noch einmal einen neuen Weg ein. Diese Wendung ist zwar durchaus plausibel und sehr geschickt eingefädelt, aber trotzdem auch das wohl größte Wagnis in Dukens sowieso schon risikofreudigem Regieerstling: Durch sie wird „Berlin Falling“ von einem sehenswerten Thriller zu einem herausragenden.
Fazit: Ken Duken führt das Publikum in seinem düsteren, hochspannenden und thematisch brisanten Entführungsthriller „Berlin Falling“ virtuos an der Nase herum und unterläuft damit nicht nur Erwartungen und Vorurteile, sondern hinterfragt auch die Zuverlässigkeit unserer Wahrnehmung.