Der österreichische Künstler Otto Mühl war einer der bekanntesten Vertreter des Wiener Aktionismus, einer Variante der Performance-Kunst bei der beispielweise ein Schwein geschlachtet und dabei eine nackte Frau mit Blut, Kot und Urin besudelt wurde. Noch bekannter ist Mühl als der Gründer einer freigeistigen Kommune, die zeitweise bis zu 600 Mitglieder zählte. Doch hinter der schönen Fassade mit freier Liebe und ohne Privateigentum tobte der blanke (Psycho-)Terror. Schließlich wurde Mühl 1991 zu einer siebenjährigen Haftstrafe wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Zu den Leidtragenden der Auswüchse in seiner Gemeinde gehörten Florence Burnier-Bauer und ihre Kinder. Die gebürtige Französin erzählt vor der Kamera des experimentellen österreichischen Filmemachers Paul Poet („Foreigners out! Schlingensiefs Container“) nun ihre schockierende Geschichte: Sein Interviewfilm „My Talk With Florence“ ist bewusst minimalistisch gestaltet und konfrontiert den Zuschauer nicht nur mit den ungeheuerlichen Erlebnissen der Protagonistin, sondern auch mit der unbequemen Frage nach der eigenen Reaktion auf das Gehörte.
Zwei Stunden lang sitzt Florence in einem Sessel und plaudert aus dem Nähkästchen – sichtbare Schnitte gibt es nicht. Die einzige erkennbare Strukturierung erfolgt durch die Einteilung des Films in zwei „Tapes“. Im ersten schildert Florence ihre Kindheit und Jugend, im zweiten ihr Leben in der Kommune Friedrichshof. Paul Poet hält sich im Hintergrund und stellt nur gelegentlich Fragen, um bestimmte Dinge noch genauer zu erfahren. Im lockeren Plauderton erzählt Florence von erlittenem Missbrauch, dem Leben auf der Straße und in der Irrenanstalt genauso wie von dem Wahnsinn in der Kommune: Kinderentzug. „Fickplan“ („dreimal täglich, aber niemals mit dem selben Mann“). Kindesmissbrauch. Gruppenzwang. Despotismus. Unerträglicher Druck. Kreative Selbstdarstellung. Freiheitsberaubung. Die Hölle auf Erden. Otto Mühl im Größenwahn.
Man traut kaum seinen Ohren, was Florence da alles in völliger Offenheit und dabei oft lachend zum Besten gibt. Schonungslose Selbstanalyse („Ich war damals sehr, sehr dumm“) geht Hand in Hand mit effekthascherischer Selbstdarstellung (Florence streichelt eine verstümmelte und blutende Puppe - ihr Versuch, sich kreativ auszudrücken). Es entsteht eine heftige Reibung zwischen der reduzierten Inszenierung und dem schockierenden Inhalt des Gesagten, zwischen Florence‘ fröhlichem Tonfall und den Abgründen, die sich in den Köpfen des Publikums auftun. Paul Poet hat es offenbar genau auf diese Irritation angelegt, und so fühlt man sich als Zuschauer wie ein Psychoanalytiker und wie ein sensationsgieriger Schaulustiger bei einem tödlichen Unfall zugleich.
Fazit: Pauls Poets minimalistische Dokumentation „My Talk With Florence“ ist in ihrer schonungslosen Offenheit ebenso faszinierend wie abstoßend.