Der erste „Tatort“-Auftritt von Jürgen Vogel („Stereo“) liegt mittlerweile stolze 25 Jahre zurück: Im „Tatort: Rendezvous“, dem zweiten Fall für Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), mimte Vogel 1990 einen naiven jungen Mörder, der sich auf der Flucht vor den Kommissaren mit seiner Freundin nach New York absetzen wollte. Aus heutiger Sicht ein eher amüsanter als überzeugender Auftritt – doch der spätere Kinostar stand ähnlich wie Hauptdarstellerin Folkerts noch am Anfang seiner langen Schauspielkarriere. In den darauffolgenden Jahren war Vogel noch fünf weitere Male in der Krimireihe zu sehen und nun ist er erneut in Ludwigshafen mit von der Partie: In Jobst Christian Oetzmanns „Tatort: LU“ schlägt Vogel den altgedienten Kommissaren aus der Stadt am Rhein ein ums andere Mal ein Schnippchen. Sein überraschend unauffälliger Auftritt als Bösewicht macht den Krimi allerdings kaum besser: „LU“ ist fast jeder Hinsicht misslungen und der mit Abstand schwächste „Tatort“ des Jahres 2015.
In Ludwigshafen wird der mutmaßliche Auftragsmörder Sergej Radev Nikolov tot aufgefunden. Die Hauptkommissare Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Mario Kopper (Andreas Hoppe), die bei ihren Ermittlungen von Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) unterstützt werden, finden heraus, dass der Tote vor 15 Jahren in einen Mord an einem Chemiker verwickelt war, der nie vollständig aufgeklärt wurde. Was ist damals geschehen – und hängen die Taten zusammen? Die Ermittler befragen einen Freund des Ermordeten: Dr. Mark Moss (Christoph Bach) steht kurz vor dem Sprung in den Vorstand eines Chemiekonzerns und gibt sich vordergründig als Saubermann. Doch Odenthal wittert ein Geheimnis: Sie beschattet Moss auf eigene Faust und stößt dabei auf den ehemaligen Geldeintreiber Ludwig „Lu“ Wolff (Jürgen Vogel), der ihr schon in der Nähe des Tatorts über den Weg gelaufen war. Der durch eine Narbe entstellte Ganove ist vor Jahren nach Thailand ausgewandert und erst seit kurzem wieder in der Stadt. Eine weitere Spur führt zu seinem Kumpel Michi (Hendrik Heutmann), der etwa zum Zeitpunkt des ersten Mordes zum Pflegefall geworden ist...
Als der SWR kürzlich sein neues „Tatort“-Team aus dem Schwarzwald präsentierte, wurden unter den Fans der Krimireihe mal wieder hämische Rufe nach der Pensionierung von Lena Odenthal laut – doch der Sender hält weiterhin eisern an der dienstältesten „Tatort“-Kommissarin fest. „An Ihnen hat der Zahn der Zeit aber auch genagt“, wird die verdutzte Ermittlerin prompt von der kecken Charlotte (köstlich: Ex-Dschungelcamp-Bewohnerin Ingrid van Bergen) begrüßt: Die schlagfertige Rentnerin trifft den Nagel damit auf den Kopf und ist der einzige Lichtblick in diesem ansonsten nur schwer zu ertragenden Krimi. Der Wille des SWR, dem angestaubten „Tatort“ aus Rheinland-Pfalz auch ohne personelle Erneuerung die längst überfällige Frischzellenkur zu verpassen, ist zwar klar erkennbar, doch der Versuch scheitert einmal mehr: Der hektisch geschnittene und pseudo-hip inszenierte „Tatort: LU“ ist beinahe komplett missraten. Drehbuchautorin Dagmar Gabler („Mitfahrer“) liefert mit Figuren wie dem aalglatten Jungunternehmer Moss oder dem verbitterten Rollstuhlfahrer Michi nur plumpe Stereotypen, die vielen verwackelten und grobkörnigen Aufnahmen von Kameramann Jürgen Carle („Ein offener Käfig“) sind nicht nur oft anstrengend anzuschauen, sondern haben auch keinen erkennbaren erzählerischen Mehrwert, der trashige Dudel-Soundtrack erstickt jeden Anflug von Spannung sofort.
Während die Quasselstrippe Johanna Stern als klugscheißender „Smombie“ in keiner Sequenz ohne Smartphone oder Tablet anzutreffen ist, fasst Odenthal nach einer halben Stunde noch einmal alle Fakten für das weniger aufmerksame Publikum in einem Monolog zusammen. Die langjährige Hauptfigur Mario Kopper verkommt hingegen zum Sidekick, seine einzige Funktion scheint darin zu bestehen, den Dienstwagen zu fahren und zwischen seinen keifenden Kolleginnen zu vermitteln: Veteranin Odenthal und Karriere-Mami Stern schenken sich kein einziges Lächeln und beschießen sich im Rahmen eines aufgesetzt wirkenden Hauruck-Konflikts 90 Minuten lang verbal mit Giftpfeilen. Angesichts dieser ermüdenden Scharmützel verkommt der Mordfall fast zur Nebensache: Die Filmemacher haben offenbar Gefallen daran gefunden, die Welt von Lena Odenthal aus den Angeln zu heben und sie die eigenen Vorgehensweisen permanent hinterfragen zu lassen. Das wird irgendwann selbst der Dialekt sprechenden Quoten-Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) zu viel, die auch in diesem „Tatort“ wieder mit durchgeschleppt wird, obwohl sie kaum mehr als drei Sätze sagt.
Waren es in den „Tatort“-Highlights der vergangenen Monate – wie dem Kieler „Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“ oder dem Frankfurter „Tatort: Das Haus am Ende der Straße“ – auch die charismatischen Gegenspieler, die allein schon das Einschalten wert waren, bleibt Jürgen Vogel („Die Welle“) ungewohnt blass: Er schüttelt die Rolle als souveräner Kleinganove zwar locker aus dem Ärmel, doch die angebliche Schwärmerei für die permanent herumbrüllende Powerfrau Odenthal kauft man seiner Figur zu keinem Zeitpunkt ab. Vom Schauplatz Ludwigshafen ist im 966. „Tatort“ im Übrigen so viel zu sehen wie nie zuvor: Eine gefühlte Viertelstunde des Films wird allein mit nächtlichen Bildern der Kurt-Schumacher-Brücke, Außenansichten des BASF-Werksgeländes oder beliebigen Einstellungen mit Passanten und Stadtbussen gefüllt. Warum der Krimi mit derartig vielen belanglosen Impressionen zugekleistert wird, bleibt ein Rätsel: Dienen im „Tatort“ aus Berlin oder Dortmund die hässlichsten Ecken der Großstadt bewusst als Milieu-Kulisse, stehen die glattgebügelten Ludwigshafen-Bilder in keinem erkennbaren Verhältnis zum Fall.
Fazit: Jobst Christian Oetzmanns „LU“ ist der schwächste „Tatort“ des Jahres 2015 – selbst die Gaststars Jürgen Vogel und Ingrid van Bergen können diesen Krimi aus Ludwigshafen nicht retten.