Mein Konto
    Lizzie Borden - Mord aus Verzweiflung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Lizzie Borden - Mord aus Verzweiflung

    Axtmorden im Namen des Feminismus

    Von Lutz Granert

    Am 4. August 1892 wurde das vermögende Ehepaar Andrew und Abbey Borden auf ihrem Anwesen im US-Bundesstaat Massachusetts tot aufgefunden. Sie wurden brutal mit mehreren Axtschlägen ermordet. Der Verdacht fiel neben dem Hausmädchen Bridget Sullivan vor allem auf die Tochter Lizzie Borden, die vom Tod ihres Vaters und ihrer Stiefmutter finanziell profitierte, schließlich sollte sie zusammen mit ihrer Schwester Emma nun ein Vermögen von 300.000 US-Dollar erben. Obwohl Lizzie Bordens Aussagen vor Gericht widersprüchlich waren und eine ganze Reihe von Indizien gegen sie sprachen, wurde sie letztlich freigesprochen. Bis heute gilt der Fall um die potentielle Mörderin Lizzie Borden als einer der berühmtesten der US-Kriminalgeschichte und wurde deshalb wenig überraschend auch schon mehrere Male verfilmt.

    Aber während in den vergangenen Jahren mit dem einfallslos in die Gegenwart überführten Geister-Horror „Bloody Lizzie“ sowie einer als Krimi angelegten TV-Adaption mit Christina Ricci zwei enttäuschende Aufbereitungen des Themas veröffentlicht wurden, hatte die Schauspielerin Chloë Sevigny bereits seit längerem eine eigene Idee für eine Neuinterpretation im Kopf. Im Auftrag des US-Pay-TV-Senders HBO arbeitete sie zusammen mit Drehbuchautor Bryce Kass an der Umsetzung einer Miniserie über die vermeintliche Axtmörderin. Die Planungen dazu wurden jedoch eingestellt, als Sony Pictures Television 2014 mit der Miniserie „Lizzie Borden – Kills!“ ein Konkurrenzprojekt an den Start brachte. Trotzdem ließ Produzentin und Hauptdarstellerin Chloë Sevigny bei ihrem Herzensprojekt nicht locker und kaufte die Rechte an dem Stoff persönlich zurück. Unter der Regie von Craig William Macneill („The Boy“) gelingt ihr in „Lizzie Borden – Mord aus Verzweiflung“ ein ganz eigener und durchaus origineller Zugang zu dem Kriminalfall, der nun in Form eines abgründigen Beziehungsdramas mit etwas plakativ herausgestellten feministischen Zügen daherkommt.

    Sechs Monate vor dem Doppelmord tritt Bridget Sullivan (Kristen Stewart) ihren Dienst als Hausmädchen im Anwesen der wohlhabenden Familie Borden an, in dem ein strenges Regiment herrscht. Das Familienoberhaupt Andrew Borden (Jamey Sheridan) verfügt nach Belieben über seine Ehefrau Abby (Fiona Shaw) und seine an Epilepsie leidenden Tochter Lizzie (Chloë Sevigny), der er nur selten Ausgang gewährt. Eines Abends bemerkt Lizzie, die zunehmend unter der Tyrannei ihres Vaters leidet, wie er sich heimlich in die Kammer von Bridget schleicht und sie sexuell missbraucht. Lizzie, die sich selbst zu Bridget hingezogen fühlt, schmiedet deshalb einen mörderischen Plan: Sie will ihren Vater und ihre Stiefmutter umbringen, um so endlich ein selbstbestimmtes Leben führen zu können...

    Ich wollte einen stürmischen Zertrümmert-das-Patriarchat-Film“, sagte Chloë Sevigny über „Lizzie Borden – Mord aus Verzweiflung“ in einem Interview mit der HuffPost zur Premiere auf dem diesjährigen Sundance Filmfestival. So verwundert es auch nicht, dass in Bryce Kass‘ erstem Drehbuch für einen Kinofilm eine deutliche Zuspitzung und sehr freier Umgang mit den historischen Fakten zu finden sind. Die Strenge des Vaters und Lizzies Sehnsucht nach einem freien und selbstbestimmten Leben sind zwar verbrieft, doch weitere Facetten des Films sind sehr deutlich auf die beabsichtigte, sicherlich von der #MeToo-Debatte beeinflussten feministische Anklage gegen das Patriarchat hin ausgeschmückt.

    Denn: Alle Männer im Film sind Schweine. Lizzies Vater Andrew ist ein Geizhals und nutzt seine Machtposition gegenüber Bridget, um sie sich sexuell zu Willen zu machen; Lizzies Onkel John Morse (Denis O'Hare) schreibt Drohbriefe an Andrew und ist hinter dem Erbe von Lizzie her, die er gern in eine Anstalt einweisen lassen will; die rein männliche Jury im Mordprozess traut in ihrem sexistischen Denken einer Frau unmöglich den bestialischen Doppelmord zu. Die lesbische Liebesbeziehung zwischen Lizzie und Bridget ist da fast schon die einzige logische Folge, um gegen das misogyne Gesellschaftsregiment zusammenzustehen. Der male gaze schlägt letztlich aber doch noch zu: Zunächst wird die Annäherung der beiden unter der männlicher Dominanz leidenden Frauen noch in langen Einstellungen famos subtil entwickelt: Ihre Lippen kommen sich beim Ankleiden von Lizzie schamhaft näher, später folgt dann ein zaghaftes Händchenhalten und leidenschaftliches Petting in voller Montur im hauseigenen Taubenschlag. Aber ihre grausame Tat verüben sie später unter Kadrierung ihrer Brüste ohne eine erkennbare Motivation für das Entkleiden splitterfasernackt.

    Das tut der beeindruckenden Performance von Chloë Sevigny („Big Love“) in der Titelrolle jedoch keinen Abbruch. Wie sie Lizzie Borden fernab einer Sympathieträgerin als stets verängstigte, rastlose Frau mit glasigem Blick spielt, die mit kecken Sprüchen schon einmal ein gediegenes Familienessen in einen #MeToo-Stammtisch verwandelt, ist mutig – und große Schauspielkunst. Dagegen kommt die nach ihren Erfolgen mit der „Twilight“-Reihe zuletzt in Arthaus-Meisterstücken wie „Personal Shopper“ oder „Certain Women“ engagierte Kristen Stewart als verschlossenes, verschüchtertes Hausmädchen nicht ganz an. „Lizzie Borden – Mord aus Verzweiflung“ ist großes Schauspielkino, dem jedoch abseits seines programmatischen Feminismus-Manifests eine subtilere Sexismus-Kritik besser zu Gesicht gestanden hätte.

    Fazit: Der bekannte Kriminalfall in einem feministischen Gewand: „Lizzie Borden – Mord aus Verzweiflung“ überzeugt mit einer starken Performance von Chloë Sevigny und wählt einen originellen Ansatzpunkt, verfällt dann aber selbst etwas zu sehr der Verlockung sexistischer Stereotype.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top