Darren Aronofsky ist kein Filmemacher, der auf Nummer sicher geht. Nie! Stattdessen fordern seine Werke ihr Publikum immer auch heraus – mal mehr („Black Swan“, „Requiem For A Dream“), mal weniger („The Wrestler“, „Noah“). Alles Bisherige ist trotzdem Kinderkram auf der nach oben offenen Richterskala des Wahnsinns, wenn man es mit dem vergleicht, was Aronofsky nun in seinem maximal verstörenden Horrorschocker „mother!“ aufbietet. Der New Yorker Auteur packt die ganz große Keule aus und inszeniert eine biblische Schöpfungsgeschichte über einen narzisstischen Dichter und dessen sich Kinder wünschende Muse als ekstatisch-surrealen Haunted-House-Terror-Trip. Bei diesem apokalyptischen Fiebertraum verzichtet Aronofsky kokett auf (innere) Logik und Plausibilität, weshalb man den brutalen, (zu)packenden Leinwandalbtraum am besten als abscheulich-schönes Schlachtengemälde genießt. Die Erzählung kann mit den visuellen Ambitionen nämlich leider nicht mithalten.
Ein namenloses Paar (Javier Bardem und Jennifer Lawrence) lebt abgeschieden in einem malerischen Landhaus mitten im Nirgendwo. Er ist ein berühmter Dichter und quält sich gerade mit einer hartnäckigen Schreibblockade herum, während sie das einst abgebrannte Anwesen mit peniblem Eifer wieder aufbaut und einrichtet. Eines Tages steht ein Fan (Ed Harris) vor der Tür und verschafft sich unter einem Vorwand Einlass. Todkrank wollte er noch einmal sein Idol treffen, bevor er den Weg ins Jenseits antritt. Ihr passt das gar nicht, sie fühlt sich unwohl mit dem fremden Eindringling im Haus. Als dann plötzlich auch noch dessen renitente Frau (Michelle Pfeiffer) auf der Matte steht, ungefragt Ratschläge gibt und einen unerfüllten Kinderwunsch diagnostiziert, wird es ihr endgültig zu viel. Doch er, der Dichter, genießt die Aufmerksamkeit - bevor ein fürchterliches Unglück geschieht…
Das Projekt „mother!“ stand während der kompletten Produktionsgeschichte unter allergrößter Geheimhaltung. Darren Aronofsky gab noch weniger an Informationen heraus als Disney zu „Star Wars: Das Erwachen der Macht“, den bisherigen Rekordhalter in Sachen Geheimniskrämerei. Das schürt bei einem Regisseur eines solchen Kalibers natürlich nur zusätzlich die Neugier. Je weniger man vorab über den Inhalt von „mother!“ weiß, desto besser. Der Film mag seine Schwächen haben, aber eines ist er garantiert: vollkommen unberechenbar. Leider werden nicht alle Versprechen, die beim anfänglichen Puzzlen, wie denn nun alles zusammenhängt und was der Spuk überhaupt soll, am Ende befriedigend eingelöst. Auf welch große Fallhöhe sich Aronofsky selbst hochgeschossen hat, bekam er bei der Weltpremiere in Venedig zu spüren, wo „mother!“ in der Pressevorstellung nach startendem Applaus einen Buhorkan erntete. Denn über „mother!“ lässt sich tatsächlich leidenschaftlich streiten. Je länger der Film dauert und je bizarrer und absurder er wird, desto größer werden die Lücken in der Erzählung und so einige Male manövriert Aronofsky seine Figuren an den Rand der Karikatur. Hier durchdringt ein Anflug von Trash den Arthouse-Grundanstrich, wenn Aronofsky immer weitere Überhöhungen bis zum Exzess ausreizt und irgendwann buchstäblich die Hölle losbricht. „mother!“ hat sich das Ausrufezeichen im Titel wahrlich verdient.
Auf der atmosphärischen Ebene funktioniert „mother!“ am besten. Nach einem betont gemächlichen Start streut Aronofsky seine vergifteten Brotkrumen aus. Sind wir in der Realität? Wohl kaum, schon eher im Kaninchenbau: Da spült sie mal eben ein pochendes Herz das Klo runter und putzt gegen hartnäckiges Blut an, das sich wie ätzende Säure durch das Haus frisst. Die penetranten Gäste, die etappenweise immer mehr des Hauses in Beschlag nehmen, sorgen auch nicht gerade für ein heimeliges Gefühl. Und über allem weht ein sanfter Hauch von Roman Polanskis „Rosemaries Baby“ und Stanley Kubricks „Shining“, bevor Aronofsky zu seinem Kern vorstößt und die Schöpfung als kreativen Akt reflektiert. Während sich der Dichter an seinem Schaffen und der Bewunderung der anderen geradezu berauscht und immer narzisstischer wird, steigert sich das Martyrium seiner zurückgedrängten Frau ins unerträgliche.
Und hier sind wir an dem Punkt, wo „mother!“ die Gemüter nicht nur erhitzt, sondern in einen gasförmigen Zustand versetzt. Mit bitterster Konsequenz lässt der Filmemacher die Situation eskalieren, was in einem von Matthew Libatique („Iron Man“) in ekstatischen 16-mm-Bildern eingefangen Akt unvorstellbarer Barbarei mündet, der einfach für Diskussionen sorgen muss. Aronofskys Stammkameramann ist oft mit der Handkamera unterwegs und folgt Jennifer Lawrence auf Schritt und Tritt. Wir erleben den Horror konsequent aus ihrer Perspektive und so überträgt sich auch ihr Leiden auf das Publikum. Sie ist schließlich auch die einzige Figur, für die man überhaupt sowas wie Empathie empfinden kann – was den schockierenden Tabubrüchen letztendlich ein wenig ihrer emotionalen Kraft nimmt, weil man den meisten Charakteren eben nicht sehr nahe kommt. Der Zuschauer sitzt vielmehr staunend distanziert und vielleicht bewundernd im Kino und lässt die krachende Apokalypse über sich ergehen, ohne im Gefühlstaumel unterzugehen - bis hin zum finalen Twist, der dann doch einen ordentlichen Punch entwickelt.
Jennifer Lawrence („Die Tribute von Panem“, „Silver Linings“) steuert indes auf ihre fünfte Oscar-Nominierung zu, indem sie der Floskel „leidgeprüfte Ehefrau“ eine ganz neue Dimension verleiht. Obwohl sie passiv und zurückhaltend spielt und immer in der Defensive ist, bringt sie die Paranoia millimetergenau auf die Leinwand und holt mit ihrer starken Persönlichkeit alles aus einer nicht sonderlich tiefgründigen Rolle heraus. Javier Bardem („James Bond - Skyfall“, „Vicky Cristina Barcelona“) darf da schon extrovertierter rangehen und die zwei Gegensätze seiner Seele präsentieren. Der liebende Ehemann kämpft brav gegen das bestialische narzisstische Genie an, das bei seiner Schöpfung machohaft alles niederwalzt, was sich ihm in den Weg stellt.
Fazit: Darren Aronofskys tabubrechender Horrorschocker „mother!“ ist die pure Raserei, der es mitunter an Subtext und Substanz mangelt – unter der funkelnden Oberfläche finden sich durchaus etliche Leerstellen, die allerdings von der provozierenden Radikalität dieser blutig-apokalyptischen, überkandidelten Schöpfungsallegorie größtenteils überdeckt werden.