Skandinavische Filmemacher wie Susanne Bier („Nach der Hochzeit“) oder Rune Denstad Langlo („Chasing The Wind“) haben uns in der jüngeren Vergangenheit immer wieder durch lebensnahe Dramen beeindruckt, in denen auf unerwartete Weise mehr oder weniger stark ein ganz spezieller Humor durchschimmert. Dieser kleinen Tradition folgt nun auch die norwegische Regisseurin und Drehbuchautorin Sara Johnsen („Unschuld“, „Stadtneurosen“) mit ihrer emotionalen Tragikomödie „Rosemari“. Sie erzählt von zwei Frauen, die auf der Suche nach der Wahrheit ein wenig näher zu sich selbst finden, und hält dabei über weite Strecken gekonnt die Balance zwischen einer dramatisch-ernsten Geschichte und oft humorvoll-spöttischen Dialogen. Und am Ende erreicht sie mit hart errungenen Erkenntnissen über den Umgang mit Lügen und Geheimnissen eine ungeahnte Tiefe.
Unn Tove (Tuva Novotny) ist sich auf ihrer Hochzeit ganz und gar nicht sicher, den richtigen Mann zu heiraten. Doch als sie auf der Toilette ein Neugeborenes findet, dessen Mutter verschwunden ist, gerät ihre eigene Krise in Vergessenheit. 16 Jahre später ist das Baby zu einem willensstarken Teenager namens Rosemari (Ruby Dagnall) herangewachsen, der Unn Tove für seine leibliche Mutter hält. Nachdem die mittlerweile geschiedene Journalistin das Missverständnis aufgeklärt hat, bietet sie Rosemari an, ihr bei der Suche nach der wahren Mutter zu helfen und darüber eine Dokumentation zu drehen. Unn Toves Kollegin Hilde (Laila Goody), mit der sie zusammen den Lokalsender betreibt, sieht das eher skeptisch, ist aber bereit die beiden zu unterstützen. Nach und nach bringen sie die tragische Lebensgeschichte von Rosemaris Mutter ans Licht.
„Rosemari“ ist in erster Linie ein Schauspielerfilm und mit der Newcomerin Ruby Dagnall hat Regisseurin Sara Johnsen einen echten Coup gelandet. Die junge Darstellerin glänzt mit einer faszinierenden Kombination von Klarheit und Zerbrechlichkeit – und wird zum wahren Hingucker des Films. Dagnall lässt das Publikum ganz nah an das innere Wesen der Titelfigur Rosemari heran und vermittelt auf ebenso unaufdringliche wie selbstverständlich wirkende Weise die tiefen Verletzungen, aber auch die unbändige Hoffnung der jungen Frau. Durch sie werden auf den ersten Blick unscheinbare Momente abseits dramatischer Konfrontationen zu echten Höhepunkten, etwa wenn sich Rosemari, als sie noch daran glaubt, dass Unn Tove ihre Mutter ist, in deren Haus schleicht, um Familienfotos zu betrachten. In ihren Augen zeichnen sich die seelischen Wunden und die verzweifelte Frage nach dem Warum so klar ab, als hätte sie die Worte laut ausgesprochen.
Auch Tuva Novotny, bekannt aus Filmen wie „Eat Pray Love“ und „Jalla! Jalla!“, überzeugt als ambivalente Unn Tove. Ihre beste Freundin und Vertraute Hilde attestiert ihr bei ihrer Hochzeit noch ein „wildes Herz“, doch 16 Jahre später hat Unn Tove ihre Wünsche in einen goldenen Käfig gesperrt. Auch als ihre beiden Töchter mit dem Ex-Mann in den Urlaub fahren, kann sie nicht loslassen. Sie lässt sich weder auf den von Hilde nahegelegten One-Night-Stand ein, noch gibt sie ihren Gefühlen für ihre „biologische Liebe“ Klaus (Tommy Kenter) nach Lauf. Denn der ist schließlich „verrückt“, völlig irrational, tingelt von Job zu Job und kann ihr nicht mehr als nur seine Zuneigung bieten.
Unn Tove schlägt Klaus‘ Annäherungsversuche ein ums andere Mal aus, obwohl die Chemie zwischen den beiden ganz offensichtlich stimmt: Die beiden können nicht eine Sekunde im selben Raum verbringen, ohne sich verliebt anzugrinsen oder in wilde Diskussionen darüber zu verfallen, wer eigentlich schuld ist an ihrer Situation. Das ist komisch und zugleich auch tragisch, denn erst als Rosemari mit ihrer zerrütteten Vergangenheit in Unn Toves Leben tritt, erkennt diese, was es bedeutet, Chancen zu vergeben. Das Ringen der Figuren darum, das Richtige zu tun und ihre hart erkämpften, allerdings nicht immer nachvollziehbaren Entscheidungen bindet Regisseurin Johnsen in ein reizvolles Beziehungsgeflecht ein, auch Kamera und Schnitt stehen ganz im Dienst der meist recht subtilen Charakterzeichnung. Einzig Hilde wirkt oft plump und ihre provokante Art etwas zu gewollt. Wenn sie über „Fifty Shades Of Grey“ philosophiert, kann sie damit wirklich niemanden schockieren. Aber vielleicht ist das auch gerade der Punkt.
Fazit: Mit seinen starken weiblichen Figuren und ihren unterschiedlichen Perspektiven auf das „Frausein“ sowie einem angenehmen leisen Humor bietet „Rosemari“ trotz kleiner erzählerischer Schwächen sehenswerte Unterhaltung.