Dunkirk
Christopher Nolan erschafft weiteren Antikriegsfilm. So könnte die Schlagzeile für diejenigen lauten, die dieses Filmgenres langsam überdrüssig sind.
Dunkirk gehört allerdings zur sehenswerten Kategorie, die auf moderne Weise versucht, die Schrecken eines Krieges in Bilder zu fassen. Operation Dynamo, in der Mitte des Jahres 1940, die dazu dienen sollte, ca. 350000 britische, französische und belgische Soldaten aus einer ausweglosen Lage zu befreien. Es ist ein bildgewaltig umgesetzter Film, der den Surrealismus der Situation eines Krieges und insbesondere dieses schmalen Zeitfenster der Rettung, wunderbar einfängt. Es ähnelt einem Dali Bild, wenn die Soldaten am Strand, ganz in britischer Lieblingsmanier, in langen Reihen anstehen und warten. Der Zuschauer wird ebenso verdutzt wie verwirrt zurück gelassen, durch den Ablauf der Geschehnisse. So irritiert müssen auch die alliierten Soldaten gewesen sein, als den deutschen Panzern am 24. Mai 1940 plötzlich das weitere Vorrücken untersagt wurde. Durch eine Unterbrechung der Kampfhandlungen wurde es so möglich, die eingekesselte Berufsarmee der Briten zu retten, was im weiteren Kriegsverlauf ungemein wichtig für die Moral der Briten gewesen ist.
In mancher Einstellung hat man zwar das Gefühl, dass es unmöglich so wenig Soldaten auf den Schiffen und am Strand gegeben haben kann, wenn Harry Potters Lehrer „Gilderoy Lockhart“, alias Kenneth Branagh, schon sagt, das 400.000 Mann evakuiert werden müssen. Aber das ist ein vernachlässigbares Manko, das durch die ausgesprochen anständige handwerkliche Umsetzung des Films mehr als aufgefangen wird. Bravo Mister Nolan (The Dark Knight, Inception, Interstellar). Wieder einmal!
„Dunkirk“ erzeugt Antikriegsstimmung dabei nicht wie ein „Der Soldat James Ryan“ mit Mutterliebe und endlosem Gemetzel, sondern vielmehr durch die Darstellung der Situation des Individuums und der Entscheidungen die es zu treffen hat. Beklemmung entsteht durch das vermitteln unsagbarer Einsamkeit, wenn die Protagonisten mit sich selbst und der Situation kämpfen. Jeder muss seine Entscheidungen treffen und am Ende auch damit leben (ähnlich wie in der 1964er Verfilmung). Das wird selbst dem One Direction Sänger Harry Styles (welch Besetzung…), der den Army Soldaten Alex spielt, hart eingetrichtert.
Die langweilig gewordene Dämonisierung der Achsenmächte (hier nur Achsenmacht) ist hier kaum bis gar nicht ausgeprägt. Anders, als im Film „Herz aus Stahl“, wo allerdings beide Seiten als extrem verroht und unmenschlich dargestellt werden (es ist eben schon Kriegsende und nicht mehr Kriegsanfang, wie in „Dunkirk“). Hier ist es ein gesichtsloser Gegner, der die alliierten Soldaten malträtiert. Nur einmal keimt das alte Schema auf, in dem Deutsche mit abschätzigen, stereotypen Bemerkungen bedacht werden. Die Situation in der das geschieht, nimmt für die Figur des Alex allerdings eine lächerliche Wendung. Er beschuldigt einen Alliierten Franzosen ein „Kraut“ zu sein und beleidigt ihn anschließend als froschfressender Franzmann. Dafür erntet er die Missbilligung seiner Kameraden, wenngleich diesen zum großen Teil egal ist, was nun genau mit dem Franzosen Gibson passiert, da sie nur selbst überleben wollen. Überhaupt tritt in dieser Szene am deutlichsten hervor, was Kubrick immer gern in seinen Filmen versuchte heraus zu kitzeln: die Abgründe des menschlichen Ichs.
Der Film wird auf eine nicht konventionelle und zu gebräuchliche Art und Weise erzählt. Die Geschichte folgt einer nicht-linearen Erzählstruktur mit einzelnen Handlungssträngen, die mit der Zeit Bezug aufeinander nehmen. Die Gefahr bei dieser Erzähltechnik besteht darin, den Zuschauer all zu leicht verwirren zu können, welcher Punkt der Geschichte gerade erzählt wird. In diesem Film ist die Wahrscheinlichkeit dafür, sich irgendwann zu fragen „ wie passt das jetzt zusammen“ ausgesprochen hoch. Es wird jedoch das ein oder andere mal durch einen „Achso!“ Moment etwas aufgelöst. Durch diese unkonventionelle Erzählung entstehen aber auch zusätzliche interessante Momente während des Films. Manche Stränge scheinen nach aufreibendem hin und her endlich abgeschlossen, um dann plötzlich doch wieder aufgegriffen zu werden und überraschende Wendungen einzubringen. Man sollte definitiv ein waches Auge und 2 gespitzte Ohren haben, um tatsächlich alle Nuancen des Films auffangen zu können und um nicht frustriert zurück gelassen zu werden.
Die Schauspieler, viele von ihnen Berühmtheiten, machen ihren Job hervorragend. Selbst die Newcomer, wie Fionn Whitehead, bleiben im Gedächtnis. Die Erzählstruktur ist zwar anspruchsvoll, aber die surrealen Bilder und die Emotionen der Verwirrtheit, die bei einem selbst entstehen, entschädigen für das bisschen Gehirnschmalz, dass man aufbringen muss.
Die Ausrüstung der Soldaten blieb zum großen Teil in Dünkirchen zurück. Wie schlecht muss Churchills Laune gewesen sein, als er sich deswegen, mehr oder weniger inoffiziell, zum Satz „Wir werden sie mit den Enden abgebrochener Flaschen bekämpfen, denn das ist verdammt nochmal alles, was wir noch haben.“ hinreißen ließ? Sicher ähnlich schlecht, wie die Laune der Hauptfigur Tommy, der bereits in den ersten Minuten ein großes Geschäft verrichten wollte. Bis zum Ende des Films hat er dies allerdings nicht fertig gebracht. Es war einfach zu viel los.