Seit einiger Zeit überrascht das rumänische Kino immer wieder mit präzise gefilmten Sozialstudien, die auf subtile Weise die jüngere Geschichte und die immer noch spürbaren Folgen der Diktatur reflektieren. Ausgelöst wurde der Trend vor allem durch „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“, der 2007 in Cannes die Goldene Palme gewann, und so ist im Laufe der vergangenen acht Jahre so etwas wie der „typische“ rumänische Arthouse-Film entstanden, den Regisseur Radu Muntean („Tuesday, After Christmas“) nun mit seinem Drama „One Floor Below“ weiter variiert. Dabei ist der Film in der Cannes-Nebenreihe Un Certain Regard (und damit abseits des Wettbewerbs) gut aufgehoben, denn trotz der präzisen Inszenierung einer Geschichte über das Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen betritt Muntean hier absolut kein Neuland.
Natürlich ist es schwer, verschiedene Regisseure auf einen Nenner zu bringen, doch wenn es eine Konstante im jungen rumänischen Kino gibt, dann ist es die moralische Ambivalenz. Auch Radu Muntean ist ein Meister darin, die Dinge im Ungefähren zu lassen, seinem Publikum verschiedene Interpretationsmöglichkeiten anzubieten. In seinem neuen Film geht es mit Patrascu (Teodor Corban) um einen Mann, der sich in erster Linie um seinen Job und seine Familie kümmert. Und so tut er auch nichts, als er an der Tür seiner Nachbarin laute Geräusche hört, die auf einen wüsten Streit hindeuten. Einen Tag später ist die Nachbarin tot und Patrascu könnte ein wichtiger Zeuge sein. Doch einem Kommissar verschweigt er sein Wissen lieber, um bloß keine Scherereien zu bekommen. Dabei scheint sich der potenzielle Täter gerade jetzt offensiv in Patrascus Familienleben einzumischen und ihn sogar auszunutzen. Aber ist es wirklich Erpressung oder doch nur ein Missverständnis…?
In den langen, präzisen Einstellungen, für die das rumänische Kino mittlerweile bekannt ist, nimmt sich auch Muntean viel Zeit für Alltagsbeobachtungen: Nur ganz langsam wird die von Patrascu so hochgeschätzte Normalität nach und nach immer mehr zerstört. Aber so gelungen „One Floor Below“ stilistisch auch ist, inhaltlich bewegt sich Muntean aus der etablierten Komfortzone des rumänischen Kinos kaum einmal heraus. So liefert er einen weiteren sehenswerten Film aus dem osteuropäischen Arthouse-„In“-Land, aber etwas Herausragendes wie seinen Landsmännern Cristi Puiu („Der Tod des Herrn Lazarescu“) oder Cristian Mungiu („Jenseits der Hügel“) gelingt ihm nicht.
Fazit: „One Floor Below“ ist ein weiterer sehenswerter Film aus Rumänen, der stilistisch überzeugt und moralische Ambivalenzen offenlegt. Aber inzwischen gibt es so viele Filme dieser Art, dass sich das rumänische Kino langsam allzu sehr zu wiederholen droht.