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    Shot Caller
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Shot Caller
    Von Lutz Granert

    Gefängnisfilme funktionieren in aller Regel nach den immer selben Mechanismen. Egal ob Henri Charrière in „Papillon“ trotz gebrochener Füße unentwegt Fluchtpläne schmiedet oder der Todeskandidat Matthew Poncelet in „Dead Man Walking“ eine Nonne um Beistand bittet - das Leben hinter Gittern ist typischerweise nur eine Art Durchgangsstation auf dem Weg in die Freiheit oder in den Tod. Nicht so im packenden, wenn auch in den Szenen außerhalb der Gefängnismauern arg konventionellen Thriller „Shot Caller“. Der inzwischen zum Regisseur umgeschulte frühere Stuntman Ric Roman Waugh („Snitch – Ein riskanter Deal“) inszeniert den Knast hier nicht als Zwischenraum, sondern als ziemlich direktes Spiegelbild des bürgerlichen Lebens: In beiden Welten müssen Privilegien und Respekt hart erarbeitet werden – nur sind die dafür eingesetzten Mittel hinter Gittern eben deutlich drastischer und rabiater.

    Jacob (Nikolaj Coster-Waldau) führt ein unscheinbares durchschnittliches Leben. Tagsüber arbeitet er im Büro, zuhause warten eine liebevolle Frau und sein Sohn auf ihn. Doch all das ändert sich schlagartig, als Jacob angetrunken einen Verkehrsunfall mit Todesfolge verschuldet. Der Familienvater wird zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Im Knast verspricht ihm die Arische Bruderschaft Schutz, wenn er sich im Gegenzug als loyal erweist. Als eine Gangrivalität auf dem Gefängnishof tödlich verläuft, wird Jacobs Strafmaß noch zusätzlich erhöht. In der Folge steigt er unter dem Spitznamen Money in der Hierarchie der Arischen Bruderschaft immer weiter auf, wobei die terroristische Rassisten-Vereinigung auch zahlreiche der Wärter auf ihrer Gehaltsliste stehen hat. Deshalb bekommt Money auch die Chance, vorzeitig auf Bewährung entlassen zu werden, wenn er dafür im Gegenzug in Freiheit noch einen Auftrag für die Bruderschaft erfüllt. Er soll einen illegalen Waffenhandel erfolgreich abschließen. Doch sein Bewährungshelfer Kutcher (Omari Hardwick) wittert, dass Money etwas im Schilde führt…

    Ein großflächig tätowierter Körper mit dem Schriftzug White Pride auf dem Rücken, nackenlange Haare, wuchernder Oberlippenbart: Nikolaj Coster-Waldau, der vor allem durch seine Rolle als intriganter, aber stets adretter Jaime Lannister in „Game Of Thrones“ berühmt geworden ist, beweist in „Shot Caller“ Mut zur Hinterwäldler-Hässlichkeit. Sein Schauspiel entpuppt sich auch in intimeren Momenten als äußerst souverän, etwa wenn die Kamera beim Verfassen eines Abschiedsbriefs für seinen Sohn ganz nah ans Gesicht heranrückt. Er trägt den Film souverän und verkörpert seine innerlich zerrissene Figur glaubwürdig. Der liebende Jacob verroht zunehmend und schreckt im Kampf ums tägliche Überleben schließlich auch vor heimtückischen Mordkomplotten nicht zurück. Um sich und seine Familie zu schützen, ist ihm jedes Opfer Recht – sogar seine eigene Freiheit.

    „Shot Caller“ ist eine Art geistige Fortsetzung von Ric Roman Waughs Film „Felon“ von 2008, in dem Stephen Dorff ebenfalls als zuvor unbescholtener Familienvater plötzlich im Knast landet. Allerdings wirkt „Shot Caller“ nun ungleich differenzierter und realistischer in seiner Milieuzeichnung, was wohl auch mit den ausgiebigen Recherchen zu tun haben dürfte, die Ric Roman Waugh diesmal im Vorfeld getätigt hat: So arbeitete er eine Zeit lang undercover als Bewährungshelfer in Kalifornien, wodurch er auch mit Gefängnisgangs in Kontakt kam, die ihre Macht sowohl hinter Gittern, aber eben auch draußen auf den Straßen ausüben. Wie genau solch ein Geflecht funktioniert, zeigt „Shot Caller“ eindrucksvoll. Eingesperrt hinter Stacheldraht und Betonmauern steigt Money durch Loyalitätsbeweise wie Drogenschmuggel in seinem Körper und zunächst widerwillig begangene Auftragsmorde immer weiter auf, bis er schließlich „die Schlüssel“ besitzt. Damit geht das Privileg einher, die auf der Lohnliste der Arischen Bruderschaft stehenden Gefängniswärter nach seinem Willen handeln zu lassen. Trotz anfänglicher Gewissensbisse verdient er sich mit brachialen Mitteln eben genau jenen Respekt, der ihm zuvor in seinem bürgerlichen Leben versagt blieb, wenn er etwa bei einem Basketballspiel von einem Büro-Kollegen grundlos und ungestraft umgerammt wurde.

    Während er sich durch seine Gang-Zugehörigkeit hinter Gittern immer sicher fühlen konnte, entgeht Money gleich am ersten Tag in Freiheit auf einer Willkommensparty nur knapp einem Mordanschlag. Wo im Knast Ehre und Loyalität regieren, wird er nach der Entlassung schon bald von einem engen Freund gelinkt. Und so ist es gut nachvollziehbar, für welche der beiden Welten sich Money schlussendlich entscheidet – eine begrüßenswert radikale Abkehr vom üblichen Narrativ des Gefängnisfilms. Sehr schade ist hingegen, dass die Waffendeal-Story selbst ziemlich lieblos abgespult wird, denn außerhalb der Knastmauern werden die gängigen Gangsterfilm-Klischees in „Shot Caller“ leider kaum einmal variiert.

    Fazit: In seinem Knast-Thriller „Shot Caller“ zeichnet Ric Roman Waugh auf beeindruckende und glaubhafte Weise das Machtgefüge hinter Gittern nach. Nur schade, dass klischeehaften Szenen außerhalb der Gefängnismauern da einfach nicht mithalten können.

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