Die verheerenden Terroranschläge des 11. September 2001 erschütterten die Vereinigten Staaten von Amerika in ihren Grundfesten. Seitdem befindet sich das Land (und die gesamte westliche Welt) gleichsam in ständiger Alarmbereitschaft, trotzdem sind weitere Attacken nicht gänzlich zu verhindern. So gelang es den extremistischen Brüdern Tamerlan und Dschochar Zarnajew zwei selbstgebaute Sprengsätze im Zielbereich des Boston Marathon 2013 explodieren zu lassen. Drei Menschen kamen ums Leben, 264 wurden verletzt. Dieser Terrorakt, der unter anderem ein achtjähriges Kind tötete, hat die Stadt Boston ins Mark getroffen. Bei der mehrtägigen Menschenjagd nach den Tätern standen Bewohner, Ordnungskräfte und Stadtverwaltung der Ostküstenmetropole so eng zusammen wie nie zuvor. Regisseur Peter Berg („Deepwater Horizon“) beleuchtet die Tragödie in seinem elektrisierenden und hochemotionalen Terror-Thriller „Boston“ (im Original: „Patriots Day“) vornehmlich aus der Sicht eines Polizisten.
Der vorübergehend degradierte Sergeant Tommy Saunders (Mark Wahlberg) soll seinen letzten Tag als zurückgestufter Streifenpolizist absolvieren und beim Boston Marathon mit Kollegen den Zielbereich sichern. Der mit chronischen Knieschmerzen kämpfende Saunders ist wenig begeistert von der Aufgabe, doch als plötzlich zwei Explosionen die Zuschauerreihen nahe des Ziels treffen, rücken seine persönlichen Befindlichkeiten schlagartig in den Hintergrund. Es bricht Chaos aus, drei Menschen sterben vor Ort, Hunderte kommen verletzt in die umliegenden Krankenhäuser. Sehr schnell steht fest, dass es sich um einen Anschlag handelt und FBI-Special-Agent Richard DesLauries (Kevin Bacon) nimmt Bostons Polizeichef Ed Davis (John Goodman) die Ermittlungen aus der Hand. Durch Aufnahmen von Überwachungskameras werden die in der früheren Sowjetrepublik Kirgistan geborenen Brüder Tamerlan (Themo Melikidze) und Dschochar Zarnajew (Alex Wolff) als Verdächtige identifiziert. DesLauries will mit dieser Information aber noch nicht an die Öffentlichkeit gehen, bevor nicht jeder Zweifel ausgeräumt ist. Doch nach zwei Tagen wird der Druck von außen so groß, dass das FBI offiziell die Jagd eröffnet. Gemeinsam mit Terror-Spezialeinheiten und der örtlichen Polizei treiben die Agenten die potenziellen Attentäter in die Enge. Doch die sind brandgefährlich…
Was als fröhliches Sport-Volksfest begann, endete in einer Katastrophe: 23.000 Läufer nahmen am 15. April 2013 die 42,195 Kilometer des Boston Marathon in Angriff, eine halbe Million Menschen jubelte ihnen am Straßenrand zu, bevor um 14.50 Uhr Ortszeit ein Kochtopfsprengsatz explodierte und 13 Sekunden später ein zweiter. Binnen kürzester Zeit glich der Zielbereich einer Kriegszone, in der nackte Panik regierte. Es folgten dramatische Tage der Mördersuche und eine Welle von Trauer, Schmerz und Solidarität. Das bietet natürlich reichlich Stoff für Hollywood und so kam es zu dem Plan, die Ereignisse gleich in drei Kinofilmen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, von denen schließlich zwei realisiert wurden. Der als Abschluss der Reihe geplante „Boston Strong“ mit Casey Affleck („Manchester By The Sea“) in der Hauptrolle und Daniel Espinosa („Safe House“) im Regiestuhl wurde abgesagt, aber viele der für diesen Film, der einen umfassenden Blick auf die Geschehnisse liefern sollte, vorgesehenen Aspekte sind in das Drehbuch zu „Boston“ eingearbeitet worden. Der zweite Film „Stronger“ mit Jake Gyllenhaal als Attentatsopfer Jeff Bauman wurde unterdessen zeitgleich mit „Boston“ von Regisseur David Gordon Green gedreht, kommt aber erst später 2017 in die Kinos.
Ursprünglich sollte „Boston“ aus dem Blickwinkel von Police Commissioner Ed Davis erzählt werden, doch nach der Zusammenlegung mit „Boston Strong“ rückt die von John Goodman („The Big Lebowski“) gespielte Figur ins zweite Glied und der Film wird abgesehen von der herausgehobenen Mark-Wahlberg-Rolle zum Ensemblestück. Regisseur Peter Berg verdichtet das Geschehen geschickt, indem er zu Beginn ein gutes Dutzend Figuren kurz, aber prägnant einführt, die alle im späteren Verlauf der 133 Minuten des Films noch eine wichtige Rolle spielen. Wenn sie dann wieder in Erscheinung treten, kennen wir zumindest grob ihre Vorgeschichte und dadurch bekommt „Boston“ eine Extraportion Emotionalität, auch wenn viele Stars in den Nebenrollen – neben Goodman etwa Kevin Bacon („JFK“), Michelle Monaghan („Source Code“), J.K. Simmons („Whiplash“) oder Rachel Brosnahan („House Of Cards“) dabei schauspielerisch nicht besonders gefordert werden. Einzig Mark Wahlberg (nach „Lone Survivor“ und „Deepwater Horizon“ in seiner dritten Zusammenarbeit mit Peter Berg) bekommt mehr zu tun, sein Sergeant Tommy Saunders ist das Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Handlungssträngen.
Dabei ist dieser zum Streifenpolizisten degradierte Cop ein durchaus ambivalenter Held. Seine dauernden Kniebeschwerden betäubt er auch im Dienst mit Alkohol und bei den Kollegen ist der grimmige Saunders auch nicht der beliebteste. Aber alle zusammen nehmen sie die Attacke persönlich, beziehen sie auf sich selbst, auf ihre Stadt und ihr Land. Es entsteht eine patriotisch angehauchte „Jetzt erst recht“-Stimmung, die nicht von Wut und Hass, sondern immer mehr von Zusammenhalt und Versöhnungsbereitschaft geprägt ist. Bei all dem besitzt „Boston“ trotz des bekannten Ausgangs die Spannung eines Thrillers, die Peter Berg durch seine zupackende und zugleich fast dokumentarisch wirkende Inszenierung befeuert. Immer wieder kommt die bewegliche (aber nicht hektische) Handkamera zum Einsatz und sorgt für fiebrige Intensität. Der Regisseur zieht die Schlinge immer enger zu und lässt weder den Verdächtigen noch dem Publikum eine Verschnaufpause – bis es zum spektakulär-elektrisierenden Shootout kommt, bei dem die einfachen Streifenpolizisten gegen die bis an die Zähne bewaffneten Brüder sogar in Überzahl heillos überfordert sind. Die Motive der Attentäter bleiben dabei unpräzise, aber sie sind auch keine gesichtslosen Monster und bekommen immerhin eine, wenn auch knappe, Hintergrundgeschichte.
Fazit: In „Boston“ verdichtet Peter Berg den Terroranschlag auf den Boston Marathon von 2013 zu einem emotional wie physisch packenden Terror-Reißer mit optimistischer Botschaft.