Schon lange hat Wim Wenders seiner Heimat zumindest filmisch den Rücken gekehrt und dreht nur noch sporadisch in Deutschland, er ist nicht erst seit seinem Kontinente überspannenden Science-Fiction-Epos „Bis ans Ende der Welt“ ein cineastischer Weltbürger auf der Suche nach universeller Wahrheit. Dabei scheut er die großen Emotionen und das Pathos nicht, er trotzt jedem zynischen Zeitgeist und befindet sich doch immer auf der Höhe der Entwicklung seines Mediums. So setzt er mit seiner Peter-Handke-Verfilmung „Die schönen Tage von Aranjuez“, die er zuerst bei den Filmfestspielen in Venedig 2016 präsentierte, einerseits seine Erkundung der Möglichkeiten der neuesten 3D-Technik fort und knüpft andererseits an seine inzwischen zu Klassikern gewordenen älteren Arbeiten mit dem eigenwilligen österreichischen Autor an. So ist das Dialogdrama „Die schönen Tage von Aranjuez“ am Ende ein typischer Wenders, aber auch ein weiteres beeindruckendes Zeugnis einer außergewöhnlichen Künstlerfreundschaft.
Im Garten eines Hauses, unweit von Paris, unterhalten sich eine Frau (Sophie Semin) und ein Mann (Reda Kateb) über die Dinge des Lebens. Es geht in erster Linie um die Liebe, noch genauer: um das Verhältnis zwischen Mann und Frau und darum, ob und wie es sich im Lauf der Zeit verändert hat. Beobachtet wird das Paar (das womöglich keins ist) von einem Autor, der im Haus sitzt und schreibt. Er schreibt, was die Figuren sagen, er denkt, was sie sagen werden. Kunst und Realität verschmelzen.
„Just a perfect day/ Drink sangria in the park/ And then later, when it gets dark/ We go home“ singt Lou Reed über Bildern des menschenleeren Paris, allein ein paar Vögel bevölkern die Idylle, aus der man sich langsam zurückzieht, an den Rand der Stadt, in einen Garten, der nicht prunkvoll ist, aber durchaus paradiesisch. Im Haus taucht ein Autor auf (Jens Harzer), setzt sich an den Schreibtisch, grübelt ein wenig und imaginiert zwei Personen, die nach einem Umschnitt im Garten sitzen, an einem Tisch, auf dem ein Apfel liegt, sie trinken Limonade und beginnen, über die Liebe zu reden.
Wim Wenders hat sich in seiner inzwischen vier Jahrzehnte währenden Karriere immer wieder mit der Liebe und nicht zuletzt mit ihrer Unmöglichkeit beschäftigt, sei es in seinem Goldene-Palme-Gewinner „Paris, Texas“, im Frühwerk „Alice in den Städten“ oder natürlich in einem der Berlin-Filme: „Der Himmel über Berlin“. Das Engelsepos ist die berühmteste Zusammenarbeit des Regisseurs mit seinem langjährigen Freund Peter Handke, der damals das Drehbuch schrieb und heute die Vorlage für das neueste Liebesdrama von Wenders liefert.
Handkes einaktiger „Sommerdialog“ wurde erstmals 2012 in Wien auf die Bühne gebracht, aber den ursprünglichen Text zu „Die schönen Tage von Aranjuez“ verfasste der Österreicher erstmals in französischer Sprache. Er hat das Stück seiner Frau Sophie Semin gewidmet, die bei Wenders‘ Verfilmung der Originalfassung nun die Hauptrolle spielt. Das Wissen um die nicht unkomplizierte private Beziehung zwischen Schriftsteller und Darstellerin gibt den vielfältigen (selbst-)reflexiven Überlegungen zum Verhältnis zwischen Kunst und Leben, Realität und Fiktion in Stück und Film eine zusätzliche autobiografische Ebene.
Der Drehbuchautor Wenders hat seinerseits die Figur des Schriftstellers dazu erfunden und diese wiederum eng an seinen Freund Handle angelehnt (der übrigens auch einen drolligen Cameo-Auftritt absolviert), vor allem aber öffnet er dem Regisseur Wenders damit den filmischen und erzählerischen Raum: Durch den Autor, der aus dem Inneren des Hauses auf die Terrasse im Garten blickt, wo sich Mann und Frau unterhalten, gibt er dem Stück eine neue Perspektive und rückt viele der recht abstrakten Implikationen des Textes konkret ins Bild. Wie schon bei Wenders‘ vorigem Spielfilm „Every Thing Will Be Fine“ steuert Kameramann Benoît Debie dazu subtile, aber dennoch ungeheuer plastische 3D-Aufnahmen bei – wenn es etwa im Text um Silhouetten geht, dann heben sich die Figuren fast unmerklich vom Hintergrund ab.
Die technischen Experimente bleiben strikt im Hintergrund: Die Hauptrolle gehört hier ganz eindeutig dem Text, angereichert mit einigen Popsongs aus der Wurlitzer-Jukebox des fiktiven Autors. Es geht um die einfachen, aber auch um die großen Dinge des Lebens, Handkes scheinbar wild wuchernde, aber doch sehr konzentrierte Reflexion des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern nimmt ihren Ausgang entsprechend in biblischer Vorzeit (mit dem Apfel, sprich dem Sündenfall, wurde alles anders). Natürlich finden der Mann und die Frau bei ihrer Unterhaltungen keine Antwort auf die ewigen Fragen der Liebe, dafür sind Handke und Wenders viel zu klug. Die geschliffenen Dialoge haben dafür immer wieder geradezu lyrische Qualität und als Extrabonus gönnt uns der Regisseur einen wunderbaren Gastauftritt von Nick Cave, der auf einmal selbst im Raum am Klavier sitzt, wie aus einem Traum gestiegen und von der Liebe singt.
Fazit: Einfache Kost sind „Die schönen Tage von Aranjuez“ nicht, doch wer sich auf das intellektuell-sinnliche Gedankenspiel von Wenders und Handke einlässt, wird reich belohnt.