Von 1861 bis 1865 bekämpften sich die Nordstaaten und Südstaaten im Amerikanischen Bürgerkrieg – Brüder gegen Brüder, bis zum bitteren blutigen Ende. Einen neuen Bürgerkrieg wollte Rick Perry, der ehemalige Gouverneur von Texas und republikanischer Präsidentschaftsbewerber von 2016, sicherlich nicht anzetteln, aber die Forderung nach einer offenen Diskussion über eine mögliche Abspaltung von Texas vom Rest der USA warf er trotzdem in die Runde. Die Filmemacher Cary Murnion und Jonathan Miliott („Cooties“) haben diesen Gedanken nun weitergesponnen und als Ausgangspunkt für ihren Invasions-Actioner „Bushwick“ genommen: Gefilmt aus einer Perspektive, die typischen Third-Person-Shootern wie „Uncharted“ nachempfunden ist, wirkt „Bushwick“ dank getrickster Überblendungen wie eine einzige schnittlose Plansequenz (in der Tradition von Alfred Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ oder Alejandro González Iñárritus „Birdman“). Leider geht dem apokalyptischen Szenario dabei schnell die erzählerische Substanz aus, während das Kein-Schnitt-Gimmick allein den Film ebenfalls nur eine gewisse Zeit lang trägt.
Gerade erst ist die Studentin Lucy (Brittany Snow) händchenhaltend mit ihrem Freund José (Arturo Castro) in Brooklyn aus einer U-Bahn gestiegen, da wird ihr Geliebter auch schon in Stücke zerbombt. Großartig viel Zeit nachzudenken oder gar zu trauern bleibt der 20-Jährigen allerdings nicht, denn über das Stadtviertel Bushwick ist inzwischen die Hölle hereingebrochen. Heerscharen von schwarz maskierten Soldaten mit automatischen Waffen versuchen den Bezirk unter ihre Gewalt zu bringen und schießen auf jeden, der ihnen Widerstand leistet. Inmitten des Chaos schließen sich Lucy und der ruppige Stupe (Dave Bautista) zusammen, denn der muskulöse Hausmeister kehrt nicht nur energisch Hofeinfahrten, sondern war früher auch mal Marinesoldat und Sanitäter. Gemeinsam wollen sie sich zu Lucys Großmutter durchschlagen, um anschließend zu einer Evakuierungszone im Cleveland Park zu gelangen ...
Die dynamische Shooter-Perspektive, die nicht nur ganz nah dran ist an den beiden unter Dauerfeuer stehenden Protagonisten, sondern zudem auch den Eindruck erweckt, der gesamte Film würde aus nur einem einzigen langen Take bestehen (die „versteckten“ Schnitte sind hier allerdings bei weitem nicht so gut versteckt wie etwa bei „Birdman“), ist nur einige Minuten lang wirklich faszinierend, dann läuft sich das inszenatorische Gimmick doch überraschend schnell tot. Aber „Bushwick“ soll ja auch kein reiner Action-Reißer sein wie zum Beispiel „Hardcore“, stattdessen wollen ihn die Regisseure als Allegorie verstanden wissen. Nachdem in der ersten halben Stunde noch das Thema Gentrifizierung lose angeschnitten wird, geht es später vor allem darum, wie sich die diversen Bewohner von Bushwick vom neuzugezogenen Hipster bis zum alteingesessenen Arbeiter gegen den gemeinsamen Feind zusammentun – laut Murnion und Miliott ist die Zeit einfach reif für Widerstand und ein Zusammenrücken der Nachbarschaft. Aber ganz ehrlich: Solche allenfalls angerissenen ehernen Ansätze gehen im Kugelhagel schnell unter. Stattdessen versuchen die Regisseure Spannung aus der Frage zu ziehen, wer da überhaupt gerade in Bushwick einfällt. Aber zum einen weiß das sowieso jeder, der sich den Film nicht vollkommen zufällig anschaut, und zum anderen hat es auch keinen Sinn, dass Lucy und Stupe lange Zeit gar nicht wirklich zu interessieren scheint, was das eigentlich für maskierte Soldatenmassen sind, die da gerade ihr Viertel infiltrieren.
„Bushwick“ wurde in gerade einmal 15 Tagen für weniger als zehn Millionen Dollar gedreht – und dieses (zu) geringe Budget ist dem Film auch anzusehen (die über New York kreisenden Hubschrauber scheinen direkt aus dem PC eingeflogen zu sein). Die Schauspieler und Dialoge zählen ebenfalls nicht gerade zu den Stärken der Netflix-Produktion: Brittany Snow (aus den „Pitch Perfect“-Filmen) bemüht sich zwar sichtlich, wirkt letztendlich aber ähnlich hölzern wie „Guardians Of The Galaxy“-Star Dave Bautista („James Bond 007 - Spectre“). Zumindest rammt sich der Hüne in den Dauerfeuer-Actionszenen glaubhaft durch die Gegner, woraufhin er sich in einer „Rambo“-Selbstheilungsgedächtnissequenz das schlimm aufgerissene Bein mit einem glühenden Messer selbst versiegelt (ein schöner Moment zum Schmunzeln). Abseits der Krachbumm-Sequenzen wirkt seine Ich-bin-hier-doch-nur-der-Hausmeister-Attitüde allerdings ähnlich überzogen-ungelenk wie einst bei Karate-Koch Steven Seagal in „Alarmstufe: Rot“.
Fazit: Die Regisseure Cary Murnion und Jonathan Miliott erheben sich mit ihrem gesellschaftskritischen Meta-Action-Reißer „Bushwick“ zwar intellektuell über solch ambivalente Invasionsklassiker wie „Die rote Flut“ oder „Ausnahmezustand“, können das Versprechen eines spannenden Gedankenexperiments inmitten eines apokalyptischen Kriegsszenarios jedoch nur bedingt einlösen - letztendlich sind die handwerklichen Mängel einfach zu eklatant und die kritischen Ansätze nicht konsequent genug zu Ende gedacht.
Wir haben „Bushwick“ im Rahmen der 70. Filmfestspiele in Cannes 2017 gesehen, wo er in der Nebenreihe La Quinzaine des Réalisateurs gezeigt wird.