Regisseur Peter Berg („Battleship“) und sein Lieblings-Hauptdarsteller Mark Wahlberg („Transformers 5“) haben seit 2013 vier gemeinsame Filme gedreht, in denen sie ihre Vorstellung von patriotischem Heldentum zelebrieren. Das ist mitunter problematisch wie in der militärfetischisierenden Navy-SEAL-Huldigung „Lone Survivor“, aber oftmals auch faszinierend wie in dem Ölbohrinsel-Katastrophendrama „Deepwater Horizon“ oder dem Bombenanschlags-Polizeithriller „Boston“. Nun hat sich das Duo mit „Mile 22“ erstmals einen fiktiven Stoff vorgenommen – und lange Zeit wirkt es so, als würden Berg und Wahlberg hier nun endgültig und hemmungslos ihren In-der-Welt-muss-endlich-mal-jemand-anständig-Aufräumen-Wunschtraum ausleben. Schließlich geht es um eine außerhalb der Gesetze agierende Spezialeinheit, die immer dann übernimmt, wenn die Politiker und Diplomaten mal wieder versagt haben. Aber dann zeigen sich auf der Schlussgeraden plötzlich doch noch Risse in dieser populistischen Machtfantasie, sodass die zunächst so plumpe Brutalo-Schießbude im Finale plötzlich zu einem fast schon subversiven Stück Actionkino mutiert.
Wenn alle herkömmlichen und legalen Lösungen gescheitert sind, dann bleibt der US-Regierung noch immer die Spezialeinheit des Elite-Agenten James Silva (Mark Wahlberg), der mit seinem Team von Badass-Soldaten vor Ort alles und jeden plattmacht (es gibt keine Gefangenen, nur Kopfschüsse), während der exzentrische Bishop (John Malkovich) mit einer Gruppe von Computerexperten aus der Ferne die Kommandos gibt. Eines Tages stürmt plötzlich ein Spion namens Li Noor (Iko Uwais) in die amerikanische Botschaft eines nicht näher konkretisierten südostasiatischen Landes und sagt, dass er wüsste, wo sich eine große Menge radioaktives Material befindet, das einige Zeit zuvor gestohlen wurde. Allerdings will er den genauen Aufenthaltsort nur verraten, wenn er in die USA gebracht wird. Dazu muss er allerdings erst einmal zum 22 Meilen entfernten Flughafen gelangen. James Silva und sein Team sollen ihm Geleitschutz geben. Diesen hat Li Noor auch bitter nötig, denn offenbar will so ziemlich jeder im Land den Verräter unbedingt tot sehen…
Im Kern erinnert „Mile 22“ an Richard Donners Actioner „16 Blocks“ von 2006, in dem Bruce Willis als New Yorker Polizist einen Kleinkriminellen zum Gericht bringen muss, während es seine eigenen Cop-Kollegen auf diesen abgesehen haben. Hier wie dort geht es schließlich nur darum, eine Zielperson eine bestimmte Distanz durch eine Stadt zu eskortieren, während haufenweise Widersacher ihr den Garaus zu machen versuchen. Aber im Fall von „Mile 22“ kommt eben noch der ganze – für den zentralen Von-A-nach-B-Plot eigentlich völlig überflüssige - Oberbau um die geheime Spezialeinheit dazu. Dank diesem sehen wir James Silva zwischen den Schießereien immer mal wieder in einem Büro sitzen, wo er beim Missions-Debriefing (pseudo-)philosophische Gedanken über die Herausforderungen moderner Kriege und die Unzulänglichkeiten der Diplomatie zusammenschwadroniert, als säße er gerade an einem Stammtisch und nicht in einem CIA-Büro.
Mark Wahlberg hat sich offenbar gedacht, dass ihm nur Rumballern einfach zu wenig ist. Also ist sein Superagent nun zugleich ein Genie mit autistischen Zügen und ein Choleriker, der ständig alle um sich herum zusammenfaltet und beleidigt (genau das hat ihm schließlich schon mal eine Oscarnominierung für seinen dauerbrüllenden Part in Martin Scorseses „The Departed“ eingebracht). An diesen offensichtlichen Versuchen, die Figur interessanter zu machen, als sie eigentlich ist, mag man sich stören oder auch nicht, aber eigentlich geht’s ja eh hauptsächlich um das nahezu pausenlose Geballer. Dieses setzt der genreerfahrene Peter Berg zwar mit wackliger Handkamera und superschnellen Schnitten gewohnt intensiv um, trotzdem ermüdet es durch seine schiere Dauer ohne merkliche Tempoverschiebungen irgendwann. Bevor es raus auf die Straßen geht, liefert sich Martial-Arts-Superstar Iko Uwais („The Raid“, „The Raid 2“) in einem Krankenzimmer der Botschaft eine superbrutale Prügelei mit zwei auf ihn angesetzten Killern. Das ist die eine Szene, an die man sich beim Rollen des Abspanns erinnert. Die 50 Minuten danach verschwimmen hingegen zu einem einzigen bleigefüllten Brei.
Trotz all dem, was hier bisher geschrieben wurde, ist „Mile 22“ einer der ambivalentesten Actionfilme seit langer Zeit – und das liegt ganz allein an der finalen Viertelstunde und dem Ende des Films. Dazu vor der Spoilerwarnung nur so viel: Wenn plötzlich die Credits auf der Leinwand erscheinen, dürften die meisten erst erstaunt auf ihre Uhr schauen und sich dann verwundert die Augen reiben. Nach diesem radikal-konsequenten Schlussakkord ist dann auch die Frage beantwortet, warum eine Fortsetzung zu „Mile 22“ bereits grünes Licht bekommen hat, bevor der erste Teil überhaupt in die Kinos gekommen ist. (Wobei sich die Produzenten das mit dem Sequel speziell nach dem schwachen US-Ergebnis von nur knapp über 30 Millionen Dollar bei 50 Millionen Dollar Budget vielleicht auch noch mal überlegen werden.)
Achtung: Spoiler zum Ende von „Mile 22“!
Das erste Mal hochgezuckt bin ich, als James Silva im Off-Kommentar gerade etwas Hochtrabendes von Helden, die zu Mördern werden, herumlabert und Regisseur Berg exakt in dieser Sekunde zurück zu Mark Wahlberg schneidet. Ein Zufall? Oder ein bewusster Kommentar? Wahrscheinlich ersteres. Also wieder zurück in den Sessel gerutscht. Aber dann setzte sich in den folgenden Minuten immer mehr der Eindruck in mir durch, dass Berg und seine Debüt-Drehbuchautorin Lea Carpenter hier doch wesentlich mehr versuchen als eine plumpe Hurra-Amerika-Ballerei. Und tatsächlich: James Silva scheitert nicht nur, er muss auch noch vom Boden aus mit ansehen, wie sein gesamtes Team an Bord einer Transportmaschine ausgelöscht wird.
Zugleich erkennt er, dass es nie um Plutonium ging, sondern er sich seinen Feind durch seine prozesslosen Exekutionen erst selbst geschaffen hat. Ich hoffe fast, dass die Fortsetzung doch nicht kommt, denn das ist ein wunderbar böses, abgründiges Finale für einen vermeintlichen Helden, der eigentlich schon den ganzen Film lang einer der Bösen war. Der nicht in den Flieger gestiegene Mark Wahlberg ist zugleich eine ironische Parallele zur realen Welt, schließlich wäre der Superstar selbst vor 17 Jahren fast an Bord einer der entführten 9/11-Maschinen gewesen. In Talkshows hat er dann anschließend erzählt, dass mit ihm an Bord eine Menge Blut in der ersten Klasse geflossen, die Maschine dann aber sicher gelandet wäre. In Sachen Selbstüberschätzungen nehmen sich der Schauspieler und seine Rolle also nichts.
Ende: Spoiler!
Fazit: „Mile 22“ liefert ein auf Dauer etwas eintöniges Action-Feuerwerk, bevor sich Peter Berg und Mark Wahlberg auf der Zielgeraden plötzlich als sehr viel subversiver erweisen, als wir es ihnen jemals zugetraut hätten. Trotzdem bleibt „Mile 22“ eher ein interessanter als ein wirklich guter Film.