Mit etwas Verspätung wurde der Wunsch vieler „Tatort“-Fans doch noch erhört – oder zumindest fast: Nach dem tödlich endenden Kurzauftritt von Sidekick Gisbert Engelhardt (Fabian Hinrichs) im herausragenden Münchner „Tatort: Der tiefe Schlaf“ Ende 2012 forderten viele Zuschauer eine Rückkehr des kultverdächtigen Assistenten. Nun schickt der Bayerische Rundfunk zwar nicht den sympathischen Engelhardt, dafür aber zumindest Schauspieler Fabian Hinrichs („Sophie Scholl – Die letzten Tage“) wieder auf Täterfang: Im neuen Franken-„Tatort“ mimt dieser den Kopf des Ermittler-Quartetts, das ab sofort einmal pro Jahr Fälle in wechselnden fränkischen Städten aufklären soll. Regie beim Debüt des derzeitig 20. „Tatort“-Teams führt Grimme-Preisträger Max Färberböck („Aimée und Jaguar“), der 2014 mit dem starken „Tatort: Am Ende des Flurs“ für Aufsehen sorgte. An diese tolle Leistung kann der in Bayern geborene Filmemacher allerdings nicht ganz anknüpfen: Sein „Tatort: Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ ist zwar großartig inszeniert und überzeugend besetzt, doch fehlt es der Geschichte vor allem in der ersten Filmhälfte an Spannung und Überraschungsmomenten.
In einem Waldstück nahe Nürnberg wird der Professor Christian Ranstedt (Philippe Brenninkmeyer) tot aufgefunden. Der Familienvater wurde beim Liebesakt in seinem Auto durch zwei Kopfschüsse aus nächster Nähe getötet. Doch wer ist seine Geliebte – und wo steckt sie? Für Ranstedts Ehefrau Julia (Jenny Schily) bricht eine Welt zusammen: Sie ahnte nichts vom Doppelleben ihres Ehemanns. Polizeipräsident Dr. Kaiser (Stefan Merki) setzt den neuen Nürnberger Hauptkommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs) auf den Fall an, obwohl der gerade erst in der Stadt eingetroffen ist und noch keinen Tag im Büro verbracht hat. An seiner Seite ermitteln die erfahrene Hauptkommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), die Kommissare Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) sowie Forensik-Leiter Michael Schatz (Matthias Egersdörfer). Die Nachforschungen führen Voss und Ringelhahn zu den Nachbarn des Toten: Charlotte Pahl (Ulrike C. Tscharre) pflegte ein enges Verhältnis zu Ranstedt, während ihre Ehe mit dem einflussreichen Richter Frederik Pahl (Uwe Preuss) zu kriseln scheint...
„Ich sagte: Ich möchte keine Krankheit, keine Macke, kein Kind im Heim und keine Mutter, die an Krebs stirbt“, benannte Grimme-Preisträgerin Dagmar Manzel („Die Unsichtbare“) die Bedingungen, unter denen sie dem Bayerischen Rundfunk für die Rolle als „Tatort“-Kommissarin zusagte. Man entsprach ihrem Wunsch: Manzels Hauptkommissarin Ringelhahn wirkt zwar gelegentlich etwas gifitg, aber trotzdem genauso geerdet wie das ebenfalls zugezogene Nordlicht Voss, dem die Drehbuchautoren Max Färberböck und Catharina Schuchmann mögliche Akklimatisierungsprobleme südlich des Weißwurst-Äquators ersparen. Der Fokus auf das Wesentliche – die Aufklärung des Mordfalls – tut den Debütanten aus Franken gut, denn mit den neuen „Tatort“-Teams aus Dortmund, Weimar oder Berlin gesellten sich zuletzt schon mehr als genug sperrige Charaktere zu den bereits etablierten Kommissaren der Krimireihe. Leider mangelt es aber auch dem Drehbuch an Ecken und Kanten: Der obligatorischen Auftaktleiche folgen die üblichen Erkenntnisse der Spurensicherung, altbekannte Verhöre nach dem „Wie gut kannten Sie den Toten?“-Prinzip und der unvermeidliche Krach mit dem Vorgesetzten, der sich fast ausschließlich brüllend zu Wort meldet.
Dr. Kaisers lautstarke Auftritte, die Voss mit der ihm eigenen Sachlichkeit pariert, sind lange das Aufregendste an Färberböcks Geschichte, die über eine Stunde lang nicht richtig in Fahrt kommt, zumal der 943. „Tatort“ auch als klassischer Whodunit-Krimi zum Miträtseln nur bedingt taugt: Gleich mehrere Verdächtige, für die sich der Regisseur und Co-Autor anfangs viel Zeit nimmt, lässt er später wieder fallen – und zaubert eine halbe Stunde vor dem Abspann eine bis dato unbekannte Figur aus dem Hut, die bei der Auflösung der Täterfrage ein entscheidendes Wörtchen mitzusprechen hat. Die Inszenierung ist allerdings erstklassig: Ähnlich wie in Färberböcks vorigem „Tatort: Am Ende des Flurs“ zieht sich eine melancholische, fast magische Grundstimmung durch das Krimidrama, das schließlich in einem hochemotionalen Finale einen späten Höhepunkt findet. Für Irritationen sorgt nur der zuweilen recht eigenwillige Schnitt von Andreas Menn („Finsterworld“): Da wird eine Befragung schon mal mitten im Satz durch detailverliebte Aufnahmen einer Dame im bunten Sommerkleid abgewürgt, ohne dass sich der Sinn dieser Verknüpfung auf den ersten Blick erschließt.
Die Besetzung hingegen ist durch die Bank überzeugend: Jenny Schily („Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“) besticht als trauernde Gattin vor allem in der Sequenz, in der ihr die Kommissare die Nachricht vom Tod des Gatten überbringen, und auch Ulrike C. Tscharre („Besser als Du“) als umtriebige Nachbarin überzeugt. Anders als Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel bleiben Eli Wasserscheid („Die abhandene Welt“), Andreas Leopold Schadt („Dreiviertelmond“) und Kabarettist Matthias Egersdörfer (der den ursprünglich für die Rolle vorgesehenen Frank-Markus Barwasser ersetzte) bei ihrem ersten „Tatort“-Auftritt indes eher unauffällig – was aber am Drehbuch liegt, das den Co-Ermittlern wenig Platz zur Entfaltung einräumt. Trotz aller Ankündigungen und PR-Maßnahmen des Bayerischen Rundfunks – für den Franken-„Tatort“ wurde sogar ein eigenes Blog eingerichtet – mangelt es dem Film überraschenderweise auch an Lokalkolorit: Dialekt sprechen (wie fast immer im „Tatort“) nur die Nebendarsteller, und die Stadt Nürnberg, die Färberböck in vielen Panoramen einfängt, bleibt weitgehend eine austauschbare Kulisse.
Fazit: Max Färberböcks „Tatort: Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ ist ein stark inszenierter, aber inhaltlich arg konventioneller Krimi, der erst auf der Zielgeraden wirklich mitreißt.