Eine Person, die einst Jahre brauchte, um sich an den Teletext oder die Programmierung ihres Videorekorders zu gewöhnen, wirkt in den Augen der mit dem Smartphone großgewordenen Jüngeren geradezu wie ein Dinosaurier. Das veränderte Verhältnis zu neuen Medien und Techniken ist wohl einer größten Unterschiede zwischen den Generationen, aber eine abendfüllende Spielfilmhandlung gibt das Thema eher nicht her. Und so verbindet Regisseur Stéphane Robelin („Und wenn wir alle zusammenziehen?“) in seiner neuen Komödie „Monsieur Pierre geht online“ die Internet-Probleme des mittlerweile 80-jährigen Pierre Richard („Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“) geschickt mit einer eigentümlichen Liebesgeschichte und bringt Jung und Alt schließlich auf ebenso unerwartete wie amüsante Weise zusammen.
Der etwas phlegmatische Möchtegern-Schriftsteller Alex (Yaniss Lespert) landet in einer Beziehung mit Juliette (Stéphanie Crayencour), mit der er bald auch bei ihren Eltern wohnt. Juliettes Mutter Sylvie (Stéphane Bissot) will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem sie den ihr auf der Tasche liegenden Neuzugang zu einem Nebenjob verdonnert: Er soll ihrem Vater Pierre (Pierre Richard), der seit Jahren nicht einmal mehr zum Einkaufen seine Wohnung verlässt und vorwiegend auf alten Urlaubsfilmen seiner verstorbenen Frau hinterherweint, durch einen Internetkurs wieder in Kontakt mit der Welt bringen. Allerdings soll Pierre nicht erfahren, das Alex der neue Freund seiner Enkelin ist, weil er (wie die Eltern) den nach China gezogenen Exfreund David (Pierre Kiwitt) bevorzugt. Aus den zwangsverordneten Unterrichtsstunden entsteht langsam eine seltsame Freundschaft, wobei Alex aber darunter leidet, dass er jetzt Skype-Gesprächen Pierres mit seinem Vorgänger beiwohnt und ihn der alte Herr zu einer absurden Mission überredet, denn er hat mit um unwesentliche 50 Jahre vermindertem Alter und einem Foto von Alex auf einer Dating-Website Flora (Fanny Valette) kennengelernt, die der nun stellvertretend zum Date treffen soll ...
An einem von Alex' Drehbuchentwürfen für eine Krimiserie um einen Gerichtsmediziner lobt Pierre mal die Dramaturgie. Die Dramaturgie von „Monsieur Pierre geht online“ ist auch etwas Besonderes, denn Autor und Regisseur Stéphane Robelin gibt sich viel Zeit, das überdrehte Finale seiner romantischen Verwechslungskomödie vorzubereiten. Immer wieder führt er neue Figuren ein und es wird erst gegen Ende klar, wie durchdacht er bei der Zusammenstellung dieses scheinbar wild wuchernden Figurenensembles vorgegangen ist. Das „Profil für zwei“ (so der übersetzte Originaltitel des Films) sorgt für immer neue kleine Probleme und löst letztlich einen echten Zweikampf um die Liebe einer Frau aus, der von Anfang an von gleich zwei Männern etwas vorgelogen wurde. Der als „gebildet und abenteuerlustig“ eingestufte Beruf Sinologe stellt Pierrot98 (so der Name des Hochstaplerprofils) vor vorhersehbare Herausforderungen und zu einem ersten Höhepunkt der Absurdität kommt es, wenn Flora bei Alex übernachtet, der angeblich bei seinem „Großvater“ lebt - und dessen Tochter und Enkelin unangemeldet zu Besuch kommen, weil sie sich die junge Frau, die in den Opa verliebt sein soll, unbedingt mal anschauen wollen. Wie diese Situation für etliche Minuten durch Fehldeutungen in der Schwebe bleibt, ist zwar komplett unrealistisch, aber sehr unterhaltsam.
Mehr als „nur“ eine amüsante Komödie (telefonischer Computer-Tipp: „Haben sie schon das Fenster geöffnet?“) wird aus dem Film durch einige sehr schöne Regieideen. Dazu gehören etwa die wie ein Werbefilm wirkende Einstiegsszene, deren unscharfe bunte Lichter der Großstadt sich dann in einem kurzen Zwischenschnitt als Perspektive der betrunkenen Juliette offenbaren, die imaginierten Treffen Pierres mit diversen Onlineschönheiten oder ein Gespräch in einer Café-Toilette, bei dem sich Pierre und Alex wie Spiegelbilder an einem Waschbecken gegenüberstehen, sodass man zunächst unsicher ist, ob sich Pierre diese Begegnung nicht auch nur vorstellt. Robelin bringt zudem selbst in ohnehin komplexen Dialogszenen auf der Tonebene noch eine zusätzliche Handlung ein, etwa wenn Juliettes Stiefvater Bernard (Regisseur Gustave Kervern in einer kleinen Rolle) bei lauthals bei einer Sportübertragung mitfiebert.
Durchaus bemerkenswert ist auch, wie Alex als eigentliche Hauptfigur (weil der französische Seriendarsteller Yaniss Lespert in Deutschland komplett unbekannt ist, wird die Rolle von Pierre Richard in der Vermarktung ein wenig aufgebauscht) lange Zeit keinerlei Ziel zu haben scheint und sich das Szenario um ihn herum fast ohne sein Zutun entwickelt. Normalerweise würde man dies als Drehbuchschwäche kritisieren, aber der erzählerische Schlenker trägt zum Charme des Films (und seiner Figur) bei und es ist bemerkenswert, wie sich der Humor hier ganz langsam hochschraubt. Gleichzeitig funktioniert auch die romantisch-emotionale Ebene des trotz mancher kleinen Schummelei (nicht genau auf Jahreszahlen und Altersangaben achten!) erstaunlich gut. Es geht eben um die junge Liebe UND den alten Herrn, wodurch der Film auch zwei Altersgruppen anspricht und bedient.
Fazit: „Monsieur Pierre geht online“ ist eine clever ins Internetzeitalter herübergerettete Version des alten „Cyrano de Bergerac“-Themas, bei der nicht nur nostalgische Pierre-Richard-Fans auf ihre Kosten kommen.