Am Ende war es Eva Mattes selbst, die das Aus des Bodensee-„Tatorts“ besiegelte: Die Resonanz auf die Krimis aus Konstanz fiel bei Publikum und Presse in den letzten Jahren immer schwächer aus, und so schlug die Schauspielerin dem SWR schließlich vor, ihre Hauptkommissarin Klara Blum samt Partner Kai Perlmann in den Ruhestand zu schicken. Während Perlmann-Darsteller Sebastian Bezzel („Vatertage“) die Entscheidung des Senders relativ gelassen nahm, gab sein Schweizer Kollege Roland Koch, der zuletzt häufig als Major Matteo Lüthi am Bodensee mitermittelte, vor allem den Drehbuchautoren der Krimireihe die Schuld für die teils vernichtende Kritik. Man kann ihn verstehen: Schwache Krimis wie der „Tatort: Letzte Tage“ oder der „Tatort: Winternebel“ scheiterten schließlich nicht an den Leistungen der Hauptdarsteller. Als der Abschied der seit 2002 ermittelnden Kommissare publik gemacht wurde, war Marc Rensings historisch angehauchter Konstanzer „Tatort: Chateau Mort“ bereits abgedreht – und so ist auch im Vergleich zu den genannten Folgen kein nennenswerter Qualitätsanstieg festzustellen.
Die Polizei zieht die Leiche eines jungen Arbeitslosen aus dem Bodensee. Im Rucksack des Toten finden die Hauptkommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) ein halbes Dutzend Weinflaschen. Es handelt sich offenbar um den Hochzeitstrunk von Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff aus dem 19. Jahrhundert, von dem noch viele sündhaft teure Flaschen in den Schweizer Depots deutscher Steuerhinterzieher lagern. Eben diesen Betrügern ist der Thurgauer Major Matteo Lüthi (Roland Koch) auf der Spur: Seine Ermittlungen führen zu einem renommierten Schweizer Auktionshaus, doch dessen Leiterin Susann Tobler (Sibylle Canonica) zeigt kein gesteigertes Interesse daran, mit Lüthi zusammenzuarbeiten. Erst als der Major die deutschen Kollegen Blum und Perlmann mit ins Boot holt, ergeben sich Verdachtsmomente gegen den angesehenen Sommelier Hans Lichius (Felix von Manteuffel), den groben Wäscherei-Besitzer Clemens Koch (Uwe Bohm) und dessen labile Haushälterin Ure Schmitz (Jenny Schily)...
Wer abends gerne ein Gläschen Rotwein trinkt, um besser in den Schlaf zu finden, kommt beim 935. „Tatort“ gleich doppelt auf seine Kosten: Zum einen weil sich im „Tatort: Chateau Mort“ von Beginn an alles um edle rote Tropfen aus dem 19. Jahrhundert dreht, zum anderen aber auch, weil sich der Film als praktische Einschlafhilfe am Sonntagabend erweist. Regisseur Marc Rensing („Die Frau, die sich traut“) und Drehbuchautor Stefan Dähnert („Das Ende der Geduld“) arrangieren einen zum Gähnen öden Krimi mit wenig Spannung und Tempo, der um Längen hinter seltenen Bodensee-Highlights wie dem „Tatort: Herz aus Eis“ oder dem „Tatort: Der Polizistinnenmörder“ zurückbleibt. Charakterdarstellerin Sibylle Canonica („Saphirblau“), die einst als eiskalte Killerin im Kieler „Tatort: Borowski und die Frau am Fenster“ ein Millionenpublikum das Gruseln lehrte, wird als undurchsichtige Auktionshausleiterin schauspielerisch ebenso wenig gefordert wie Felix von Manteuffel („Da geht noch was!“) als fachkundiger Weinpapst. So sind es vor allem Jenny Schily („Die Vermissten“) und Uwe Bohm („Gold“), die sich als hörige Haushaltshilfe und schmieriger Wäscherei-Unternehmer vor der Kamera austoben können.
Eines muss man den Filmemachern allerdings lassen: Die auf zwei Zeitebenen angelegte, ungewohnt sperrige Geschichte ist für „Tatort“-Verhältnisse durchaus originell. Eine über 160 Jahre alte Leiche, die dem bedauernswerten Perlmann im Dunkeln einen gehörigen Schrecken einjagt, sucht in der Krimireihe ihresgleichen, und auch die regelmäßig eingeflochtenen Rückblicke ins Jahr 1848 sind für einen „Tatort“ alles andere als alltäglich. Ein homogenes Gesamtbild ergibt sich dabei allerdings nicht: Die in historischen Kontext eingebettete Kernhandlung um die Fälschung der Weine wirkt an den Haaren herbeigezogen, und die aufwändig in Szene gesetzten Impressionen aus der badischen Revolutionszeit werden ungelenk zwischen altbekannte Krimiversatzstücke gequetscht. Ähnlich unrund läuft es zwischen Blum und Lüthi: Während die Kommissarin Lüthi anschmachtet und ihn nach einem Gläschen zu viel spontan auf den Mund küsst, hat der Schweizer Major eigentlich ein Auge auf die deutlich jüngere Kollegin Eva Glocker (Isabelle Barth) geworfen.
Seichte Nebenhandlung wie diese sind dem Spannungsaufbau alles andere als dienlich, und auch sonst ist der „Tatort: Chatea Mort“ eher ein Wohlfühlkrimi mit Vorabend-Charakter als ein fesselnder Fall zum Miträtseln: Die Sonne strahlt, Blum und Lüthi dinieren vor der prächtigen Kulisse des Bodensees und werden zu später Stunde von Sommelier Lichius zur Weinprobe gebeten. In bester „Sideways“-Manier steckt man dann gemeinsam die Nase ins Glas und fachsimpelt ausführlich über Aromen, bevor man sich am nächsten Morgen mit gehörigem Brummschädel im Präsidium wiedertrifft, wo Annika „Beckchen“ Beck (Justine Hauer) frischen Kaffee bereithält. Perlmann ermittelt derweil in Copy-Shops und in der Konstanzer Uni-Bibliothek, schmökert im Œuvre Annette von Droste-Hülshoffs und entdeckt in Vergessenheit geratene Weinkeller mit rätselhaften Kreideinschriften. Historiker könnten sich für diese auf Fakten basierenden Gedankenspiele eventuell interessieren. Freunde von knisternder Spannung kommen hingegen kaum auf ihre Kosten.
Fazit: Gemütliche Rotweinrunde statt spannende Krimi-Unterhaltung: Marc Rensing knüpft mit seinem historisch angehauchten „Tatort: Chateau Mort“ nahtlos an die gemächliche Gangart der Vorgänger-Fällen vom Bodensee an.