Obwohl sich die Autorin Paula Hawkins in Interviews wiederholt gegen den Vergleich gewehrt hat, wurde ihr Roman „Girl On The Train“ immer wieder als the next „Gone Girl“ angepriesen, wobei der ständige Verweis auf Gillian Flynns Mega-Bestseller sicherlich mit dazu beigetragen hat, dass Hawkins‘ Buch zu einer der erfolgreichsten Publikationen 2015 avancierte. Außerdem dürfte es den Studioverantwortlichen nach dem finanziellen Erfolg von David Finchers „Gone Girl“ (weltweites Einspielergebnis: 370 Millionen Dollar) deutlich leichter gefallen sein, grünes Licht für eine 45 Millionen Dollar teure „Girl On The Train“-Verfilmung zu geben. Nachdem wir die Kinoadaption nun gesehen haben, müssen wir Hawkins trotzdem insoweit zustimmen, dass zumindest die Leinwandversionen beider Werke grundsätzlich verschieden sind: Wo David Fincher um den Pulp-Appeal seines Stoffes weiß und die krasseren Passagen bewusst überhöht, trägt Tate Taylor („The Help“) den melodramatischen Krimiplot von „Girl On The Train“ nun mit einer nahezu sakralen Ernsthaftigkeit vor, was über weite Strecken langweilt und dann in ein allenfalls unfreiwillig komisches Finale mündet.
Die alkoholkranke Rachel (Emily Blunt) fährt zwei Mal am Tag auf dem Weg nach und von Manhattan mit dem Zug an jenem New Yorker Vorort vorbei, in dem ihr Ex-Ehemann Tom (Justin Theroux) inzwischen mit seiner neuen Frau Anna (Rebecca Ferguson) lebt. Dabei beobachtet sie ganz besonders das Haus von Scott (Luke Evans) und Megan (Haley Bennett) – Rachel kennt die beiden zwar nicht, aber in ihren Augen führt das Paar eine perfekte Beziehung. Deshalb ist sie auch so geschockt, als sie in den TV-Nachrichten erfährt, dass Megan spurlos verschwunden ist – und zwar genau an dem Tag, an dem Rachel sie aus dem Zug heraus auf ihrem Balkon mit einem fremden Mann gesehen hat. Rachel wendet sich unter einem Vorwand an Scott und berichtet ihm von ihrer Beobachtung – dabei fühlt es sich für sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder so an, als würde sie etwas Bedeutendes tun. Allerdings gerät sie dadurch auch ins Visier der in dem Fall ermittelnden Polizistin Riley (Allison Janney) – und tatsächlich kann auch Rachel selbst sich nicht sicher sein, dass sie mit der ganzen Sache nichts zu tun hat, denn der fragliche Abend ist einer von vielen, an die sie sich wegen ihrer Alkohol-Blackouts einfach nicht mehr erinnert…
Wie der Roman ist auch der Film von andauernden Zeitsprüngen und Perspektivwechseln geprägt – und das muss auch so sein, denn ohne die allgemeine Verwirrung, die aus dieser Art der Erzählung resultiert, würde der ziemlich alltägliche Krimiplot wohl auch noch seinen letzten Rest Spannung verlieren. Neben der Frage nach dem Täter (dass es sich um ein Verbrechen handelt, ist schnell klar) wird anhand der drei zentralen Frauenfiguren seziert, welche diversen Abgründe sich hinter den strahlendweißen Fassaden des wohlhabenden Vororts verbergen – aber ganz ehrlich, das haben selbst die schwächeren Staffeln von „Desperate Housewives“ schon vor einem Jahrzehnt mit deutlich mehr satirischem Biss aufgedeckt. So schleppt sich der vollkommen humorlose Film (Rachels ironische Kommentare aus dem Buch wurden gestrichen, um die Figur sympathischer erscheinen zu lassen) dann bis zu einem tatsächlich überraschenden Twist, der allerdings arg viele Detailfragen unbeantwortet lässt. „Girl On The Train“ endet schließlich mit einem Showdown, der offensichtlich hochdramatisch sein soll, aber zumindest in der Berliner Pressevorführung lediglich einige wohl kaum beabsichtigte Lacher geerntet hat. Wobei: Im Finale gibt es einen Moment (Stichwort: Korkenzieher drehen), der zumindest andeutet, was für ein sehr viel spaßigerer Film dabei hätte rauskommen können, wenn sich Tate Taylor wie David Fincher bei „Gone Girl“ auf den kaum zu leugnenden Pulp-Faktor der Vorlage eingelassen hätte.
Als im vergangenen Jahr nach und nach der Cast der Bestsellerverfilmung bekanntgegeben wurde, kamen wir aus dem Staunen gar nicht mehr raus: Emily Blunt („Sicario“), Rebecca Ferguson (die Entdeckung aus „Mission: Impossible – Rogue Nation“), Haley Bennett („The Equalizer“), Allison Janney („The West Wing“), Laura Prepon („Orange Is The New Black“) und Lisa Kudrow („Friends“) - was für eine geballte Frauenpower! Aber nun die herbe Enttäuschung: Die einzig wirklich ausgearbeitete Rolle im Film spielt Blunt, der man zwar die dauerbesoffene Alkoholikerin nicht wirklich abnimmt, die das Publikum aber trotzdem schnell für sich gewinnt (wobei es ihr Drehbuchautorin Erin Cressida Wilson aber auch einfach macht, weil Rachel im Film eben nicht wie in der Vorlage wie ein totales Arschloch auftritt). Ferguson und Bennett verkörpern hingegen Abziehbilder frustrierter Hausfrauen, wie man sie so eher in einer Daily Soap wie „Reich und Schön“ erwartet hätte. Wie „Gone Girl“ hat auch „Girl On The Train“ eigentlich einen klaren feministischen Subtext – aber im Film bleibt davon kaum mehr als eine überdeutliche Springbrunnen-Metapher und ein dazugehöriger pathetischer Off-Kommentar in den letzten fünf Minuten übrig, was dann aber auch nur wirkt wie ein halbherzig angepappter Nachklapp.
Fazit: Eine solide Emily Blunt und ein überraschender Twist – mehr hat „Girl On The Train“ nicht zu bieten.