Für die Eröffnung der Sektion Perspektive Deutsches Kino bei der Berlinale ausgewählt zu werden ist durchaus eine Ehre, 2015 wird sie Tom Sommerlatte mit seinem Regiedebüt „Im Sommer wohnt er unten“ zuteil. Ein großes künstlerisches Risiko bedeutet diese Auswahl zwar nicht, dafür ist die Geschichte um zwei Paare, die während einiger Urlaubstage in einem Haus in Südfrankreich mit Versäumnissen, zerstobenen Träumen und allerlei anderem Zwischenmenschlichem konfrontiert werden, letztlich zu konventionell. Doch im Rahmen dieser bekannten, schon oft variierten Geschichte macht Sommerlatte wenig falsch und vieles richtig: Sein vielsprachiges Darsteller-Quartett überzeugt auf dem schmalen Grat zwischen Ernst, Sarkasmus, falschem Pathos und Klamauk, vor allem aber vermeidet es der Regisseur und Drehbuchautor, die zahlreichen angerissenen Themen zu simplen Lösungen zu führen.
Sommerhaus, Frankreich: Matthias (Sebastian Fräsdorf), ein Endzwanziger ohne Job und Ehrgeiz, lebt vom Geld des Vaters in den Tag hinein und hält seine französische Freundin Camille (Alice Pehlivanyan) und deren kleinen Sohn Etienne (William Peiro) aus. Überraschend kommt Matthias‘ älterer Bruder David (Godehard Giese) schon früher als geplant mit seiner Frau Lena (Karin Hanczewski), um im Haus seinen Urlaub zu verbringen. David ist auf den ersten Blick das genaue Gegenteil von Matthias: erfolgreicher Banker, oberflächlich und herrisch. Während Lena unbedingt schwanger werden will, ist David nicht nur von Kindern genervt und legt sich schnell mit Camille an, wobei Matthias schweigend zuschaut. Doch bald offenbart sich, dass die Brüder mehr gemein haben, als ihnen lieb sein kann…
Dass diese geradezu klassische Konstellation nicht wie meist üblich bis zum Äußersten getrieben wird, am Ende eben nicht alles anders wird, es zu keiner großen Katharsis kommt, ist eine der größten Stärken von Tom Sommerlattes erstem Langfilm als Regisseur. Ruhig beobachtet er das Geschehen, deutet in oft pointierten Dialogen die Konflikte an und spielt die oft absehbaren Drehbuchwendungen aus. Großes erzählerisches Risiko geht Sommerlatte mit seinen souveränen Variationen bekannter Muster zwar nicht ein, doch durch sein gutes Gespür insbesondere für die Darsteller (schließlich ist er selbst ursprünglich Schauspieler) und für erzählerische Details ist ihm ein Film gelungen, der neugierig macht auf weitere, dann hoffentlich gewagtere Arbeiten dieses vielversprechenden Regisseurs.
Fazit: Mit „Im Sommer wohnt er unten“ legt Tom Sommerlatte ein zwar vor allem inhaltlich weitgehend konventionelles, aber dennoch durchaus sehenswertes Regiedebüt vor. Mit viel Feingefühl variiert er Familienkonflikte, die auch auf der Kinoleinwand bereits unzählige Male ausgetragen wurden.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2015. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 65. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.