Das lange Warten auf das tolle Ende
Von Christoph PetersenIn seinem 2015 erschienen Roman „Der Anruf“ bemüht Spionage-Spezialist Olen Steinhauer zwar die altbekannte Prämisse vom möglichen Maulwurf in den Reihen einer CIA-Einheit. Aber er erzählt die Geschichte trotzdem aus einer frischen Perspektive: Sechs Jahre nach einem folgenschweren Terroranschlag mit mehr als 100 Toten treffen sich Celia und Henry, die damals gemeinsam bei der CIA in Wien und ein Paar waren, zum vermeintlich harmlosen Abendessen in einem Restaurant. Jeder verdächtigt den anderen, damals mit einem Anruf für das Scheitern der Aktion verantwortlich gewesen zu sein. Zusätzlich mit Spannung aufgeladen wird das Thriller-Kammerspiel, weil noch weitere Agent*innen bereitstehen, um den Maulwurf direkt zu eliminieren, wenn der oder die Schuldige nach all den Jahren doch noch überführt werden sollte – denn den Skandal einer offiziellen Untersuchung kann und will sich die CIA nicht leisten.
Nun hat Olen Steinhauer seinen Bestseller selbst zu einem Drehbuch für das Amazon-Prime-Video-Original „Der Anruf“ verarbeitet – und der auch als Co-Produzent beteiligte Hauptdarsteller Chris Pine hat erklärt, dass es eines der drei besten Skripts sei, die er jemals gelesen habe. Aber diese Einschätzung ist entweder das übliche Marketing-Blabla – oder sie ist in erster Linie vom Ende her gedacht, das vor allem durch seine schiere Tragik überzeugt. Bis dahin kriegt der Film aber trotz der überzeugenden Stars einfach keinen rechten Druck auf den Kessel – und das liegt neben dem doch sehr generischen Spionage-Plot vor allem an der betont erlesenen, aber kaum mal dringlichen Inszenierung des „Borg/McEnroe“-Regisseurs Janus Metz.
Bei „Der Anruf“ ist die Grenze zwischen Spionage-Thriller und Espresso-Werbung fließend.
2012 entführen islamistische Terroristen ein Flugzeug und zwingen es zur Landung in Wien. Die Verhandlungen erweisen sich auch deshalb als schwierig, weil niemand weiß, was genau an Bord der Maschine vor sich geht. Nur das Wiener CIA-Büro hat Kontakt zu einem Informanten im Flugzeug, was die US-Agent*innen aber nicht einmal ihren österreichischen Kolleg*innen verraten. Und trotzdem wird der Informant von den Terroristen enttarnt und erschossen. Wenige Stunden später kommen mehr als 100 Passagiere, Crew-Mitglieder und Terroristen ums Leben. Ist ein mysteriöser Anruf aus dem CIA-Büro in den Iran für das Scheitern der Aktion verantwortlich?
Nachdem erste Untersuchungen nichts ergeben haben, wird der Fall sechs Jahre später noch einmal aufgerollt. Der noch immer für die CIA tätige Henry Pelham (Chris Pine) soll seine damalige Kollegin und Liebhaberin Celia Harrison (Thandiwe Newton), die inzwischen aus dem Spionage-Geschäft ausgestiegen ist und mit Ehemann und zwei Kindern in Kalifornien lebt, zu einem schicken Abendessen in einem auffällig spärlich besuchten Restaurant ausführen – und sie dabei noch ein weiteres Mal verhören. Sollte dabei herauskommen, dass sie tatsächlich der Maulwurf war, ist er zudem befugt, ihre sofortige Elimination anzuordnen…
Laurence Fishburn ist als CIA-Agent Vick Wallinger einer von vielen Verdächtigen, die den folgenschweren Anruf damals getätigt haben könnten…
In der Variety-Besprechung zu „Der Anruf“ spricht Kritiker David Rooney dem dänischen Regisseur Janus Metz eine „europäische Eleganz und Kultiviertheit“ zu. Dabei trifft es „erlesene Langeweile“ doch viel besser: Die weichgezeichneten Rückblenden sehen aus wie eine durchschnittliche Episode einer x-beliebigen Spionage-Serie. Und die mit allerlei Lens Flares gewürzten Szenen im Restaurant erinnern an einen Hochglanz-Werbespot für Markenkaffee – was immerhin ganz gut dazu passt, dass Chris Pine mit seinem neuen Bart offenbar anstrebt, in die cool-eleganten Fußstapfen von George Clooney zu treten.
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Zudem stimmt das Verhältnis einfach nicht: Es wird so viel Gewicht auf die generischen Rückblenden gelegt, wo man sowieso keine der gestreuten falschen Fährten (u.a. mit Laurence Fishburne und Jonathan Pryce) auch nur eine Sekunde für voll nimmt, dass das eigentliche Psycho-Duell im Restaurant bis kurz vor Schluss nie so richtig in Fahrt kommt. „Der Anruf“ wäre wahrscheinlich deutlich spannender und intensiver, wenn der Film tatsächlich als Zwei-Personen-plus-die-Restaurantangestellten-Kammerspiel umgesetzt worden wäre – zumal die Chemie zwischen den starken Stars Chris Pine („The Contractor“) und Thandiwe Newton („Reminiscence“) einfach stimmt. So bleibt nur das Ende, das man sicherlich zum Teil, aber sicher nicht in seiner ganzen Tragik kommen sieht – aber ob sich dafür das lang(weilig)e Warten wirklich lohnt?
Fazit: Selbst wenn der Spionage-Thriller „Der Anruf“ stark endet, ist der Weg bis zur tieftragischen Auflösung schlicht und einfach nicht spannend genug.
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