„Du musst dabei gewesen sein, um es zu verstehen“: Wenn Soldaten solche Sätze zu Zivilisten sagen, im Kino, dann klingt das oft nach simplem Klischee. Ungezählte Male haben uns Filme die sinnlose Grausamkeit des Krieges vorgeführt, seine blutigen Regeln, die anarchistischen Bedingungen – braucht es da wirklich weitere Erklärungen? Auch in der nach „R“ und „Hijacking“ dritten Regiearbeit des Dänen Tobias Lindholm, fällt dieser Satz, doch wenn er gesagt wird, fühlt sich das allerdings weder klischeehaft noch vereinfachend an. In dem Kriegsdrama „A War“, 2016 für den Oscar als Bester nicht-englischsprachiger Film nominiert, werden reihenweise bekannte Genremuster vorgeführt, aber mit seiner nüchternen, quasi-dokumentarischen Inszenierung und dem Verzicht auf jedwede Emotionalisierung (unter anderem kommt er fast ohne Musik aus) schafft es Lindholm, dass die Geschichte seines tragischen Helden, eines dänischen Soldaten im Einsatz in Afghanistan, dennoch frisch und unverbraucht daherkommt. Und wie es der allgemein gehaltene Titel schon vermuten lässt, geht es dabei vor allem ums große Ganze, um komplexe Fragen nach Moral, Sinn und Verantwortung.
Der dänische Offizier Claus Michael Pedersen (Pilou Asbæk), ein kluger, einfühlsamer Vorgesetzter, leitet in Afghanistan eine Wacheinheit. Deren wesentliche Aufgabe besteht darin, die Einheimischen vor den Taliban zu schützen. Claus‘ Frau Maria (Tuva Novotny) hat derweil alle Hände voll zu tun, die drei kleinen Kinder aufzuziehen. Die lange Abwesenheit des Mannes und die ständige Angst um sein Leben machen der ganzen Familie spürbar zu schaffen. Als Claus’ Einheit während eines Routineeinsatzes unter Beschuss gerät und einer seiner Männer schwer verletzt wird, muss der Kommandeur in der Hitze des Gefechts eine Entscheidung treffen: Um den Angeschossenen ausfliegen zu können, lässt er auf das Gebäude feuern, in dem er die Angreifer vermutet. Doch dabei kommen auch elf Zivilisten ums Leben. Claus wird zurück in die Heimat beordert, wo ihm der Prozess gemacht wird ...
Wie fast alle vom Krieg in Afghanistan handelnden Filme ist auch „A War“ kein „echter“ Kriegsfilm, denn wo es einst in Vietnam und später im Irak immerhin noch vergleichsweise klare Fronten gab, stellt sich Claus und seinen Männern ähnlich wie den deutschen Soldaten in Feo Aladags „Zwischen Welten“ vor allem die Sinnfrage: Wozu endlose Patrouillen durchs afghanische Hinterland unternehmen, wenn es keine sichtbaren Kampfeslinien gibt, Freund und Feind kaum zu unterscheiden und die Gefahren durch Tretminen und Scharfschützen immens sind? Lindholm widmet sich in der ersten Hälfte seines Films ausgiebig dem Alltag dieser um Relevanz ringenden Truppe, er porträtiert Claus als umsichtigen und verständnisvollen Anführer, der sich voll für seine Männer einsetzt und sogar seinen Posten verlässt, um bei ihnen sein zu können. Schon hier legt Lindholm ihm unmerklich eine dramaturgische Schlinge um den Hals: Jede von Claus’ Entscheidungen, und sei sie noch so redlich, führt ihn unweigerlich ins Verderben, in ein kaum auflösbares Dilemma aus Ursache und Wirkung, aus Schuld und Verantwortung, dem Lindholms Stammprotagonist Pilou Asbæk mit einer zugleich vielschichtigen und zurückhaltenden Leistung zusätzliche Prägnanz verleiht.
In der zweiten Hälfte des Films geht es dann darum, die guten Absichten und die tragischen Folgen gegeneinander abzuwägen und eine Schneise in das Dickicht aus Widersprüchen zu schlagen, dazu wandelt sich „A War“ zum beinahe klassischen Gerichtsfilm. Jetzt zahlt es sich aus, dass Claus’ Familie im ersten Teil in einer kunstvollen Parallelmontage so viel Zeit eingeräumt wurde: Die moralischen Fragen werden nun um die private Dimension erweitert, es geht nicht nur um Claus’ Verteidigung, sondern auch um seine Rolle als Mann und Vater, um ein Pflichtbewusstsein ganz anderer Art. Lindholm taucht dabei nie ganz in seine Figuren ein, als Regisseur ist er Betrachter - eher neugierig als belehrend, eher neutral als parteiisch. Auch wenn die Frage nach Claus‘ Verantwortung im Film schließlich eine Antwort findet, bleibt es im Grunde doch dem Zuschauer überlassen, selbst über Schuld oder Unschuld zu urteilen.
Fazit: Ein ungewöhnlicher, nahezu dokumentarisch inszenierter Kriegsfilm, in dem der Afghanistan-Einsatz dänischer Soldaten zum Anlass für einen vielschichtigen Diskurs über Sinn und Moral, Schuld und Unschuld wird.