3D, 4K, 120 fps. Das sind die technischen Spezifikationen von Ang Lees Romanadaption „Die irre Heldentour des Billy Lynn“, so hat der zweifache Gewinner des Regie-Oscars (für „Brokeback Mountain“ und für „Life Of Pi“) seinen Film gedreht: dreidimensional, in ultrahoher Auflösung sowie mit 120 Bildern pro Sekunde und damit in fünf Mal höherer Frequenz als üblich. Zur Vorführung kam diese Version in den USA allerdings nur in einer Handvoll von mehr als 1.000 Kinos und in Deutschland wird es wohl gar keine Gelegenheit geben, sie zu sehen – aber das ist am Ende gar nicht so wichtig. Denn auch in 2D und in der Standard-Bildrate (so haben wir „Billy Lynn“ gesehen) ist das sanft-satirische Drama über Krieg und Frieden, Menschen und Medien eine kaum mit anderen Werken vergleichbare intensiv-immersive Kinoerfahrung – und dabei auch noch ein verdammt guter, ungemein intelligenter und fantastisch inszenierter Film.
23. Oktober 2014, Irak: Die Einheit von Sergeant Shroom (Vin Diesel) gerät in ein Feuergefecht mit Aufständischen. Als der Offizier attackiert und verwundet wird, eilt ihm der 19-jährige Specialist Billy Lynn (Joe Alwyn) zur Hilfe. Dieser Einsatz wird zufällig von einer Handykamera gefilmt, die Aufnahme findet ihren Weg in die Medien. Daraufhin werden Billy und seine Kameraden als Helden gefeiert und auf eine zweiwöchige „Siegestour“ in der Heimat geschickt. Den Höhe- und Endpunkt der Feierlichkeiten soll ein gemeinsamer Auftritt der acht Soldaten mit Destiny’s Child in der Halbzeitshow eines Footballspiels der Dallas Cowboys an Thanksgiving sein…
„Es ist irgendwie seltsam, für den schlimmsten Tag seines Lebens geehrt zu werden“: Mit diesen Worten bringt der Protagonist Billy Lynn zum Ausdruck, wie paradox das Erlebnis der „Heldentour“ für ihn ist. Wir erleben den surrealen Zirkus der mit hohlem Bombast und leeren patriotischen Gesten in Szene gesetzten Feierlichkeiten aus seiner Perspektive und immer wieder schiebt sich die Erinnerung an die Erlebnisse im Irak in sein Bewusstsein oder auch der Gedanke daran, was er eigentlich gerne tun würde, statt in seiner Uniform zu paradieren und brave Worthülsen zum Krieg und zu seinen Taten zum Besten zu geben. Da kann dann schon mal eine Sex-Fantasie ihren Weg in die pathetisch gesteigerte Darbietung der Nationalhymne finden oder Billy muss beim Blick aufs obszön üppige Büffet an eine Razzia im Irak denken, bei der die Soldaten Todesangst und Erniedrigung ins Heim einer Familie brachten.
Wenn Ang Lee Kriegserinnerungen förmlich in die Gegenwart hereinbrechen lässt, dann wird das Traumatische durch die hyperrealistisch wirkenden, klaren und scharfen Bilder auch für das Publikum Wirklichkeit. Die Halbzeiteinlage mit ihrem Feuerwerk, ihren Scheinwerfern, dem Lärm und der ständigen Bewegung wiederum steigert er zu einer Showschlacht, zu einer Attacke auf die Sinne, die den dazwischen montierten Kampfszenen kaum nachsteht – und gerade dadurch macht er das Perverse der Situation deutlich. Die besondere sinnliche Qualität ist aber nicht nur auf die „lauten“ Momente beschränkt, selbst und besonders einfache Dialogszenen besitzen in „Billy Lynn“ eine ungeheure Unmittelbarkeit: Immer wieder scheinen die Schauspieler uns direkt anzuschauen und uns dabei ganz nahe zu rücken. Der Effekt ist räumlich und emotional zugleich, die Bilder von Kameramann John Toll („Der schmale Grat“) haben oft eine fast schon spirituelle Ausdruckskraft. Dadurch bekommt etwa die intime und durchaus seltsame Begegnung zwischen Billy und der Cheerleaderin Faison (Makenzie Leigh) bei allem äußeren Realismus einen fast märchenhaften Ton. Aber eine Flucht aus der Wirklichkeit ist unmöglich: Dieses Dilemma steht dem Newcomer Joe Alwyn als hin- und hergerissener Billy gleichsam ins Gesicht geschrieben. Er ist die Seele des Films.
Billy und die anderen Soldaten sind in der Heimat Unverstandene, die unschönen Wahrheiten des Krieges will dort niemand hören und sehen, was der herausragende Garrett Hedlund („Tron: Legacy“) als ebenso abgebrühter wie mitfühlender Sergeant Dime immer wieder sarkastisch kommentiert. Der anmaßend-selbstgefällige Besitzer des Footballclubs Norm Oglesby (brillant: Steve Martin) bringt es auf den Punkt, als er sagt, dass Billy kein Recht mehr an seiner eigenen Geschichte habe. Wie unterschiedliche Interessen die Darstellung und die Wahrnehmung eines Krieges prägen, davon hat schon Clint Eastwood in „Flags Of Our Fathers“ erzählt, aber Ang Lee rückt das Thema, das an das Selbstverständnis der Nation und ihrer Rolle in der Welt rührt, in die Gegenwart unserer Medienwelt.
Der aus Taiwan stammende Regisseur zeigt wieder einmal sein Gespür für die gesellschaftlichen Risse, die seine amerikanische Wahlheimat durchziehen, aber er kommentiert sie nicht nur mit satirischen Spitzen, sondern setzt ihnen ganz ähnlich wie in seinem Bürgerkriegsdrama „Ride With The Devil“ eine Vision von Zusammenhalt und Mitgefühl entgegen, ohne seine kritische Perspektive aufzugeben: Selten hat man etwa die Kameradschaft zwischen Soldaten als so echt und überlebensnotwendig empfunden wie hier. Ein besonders berührender Moment ist es, wenn Vin Diesel („Der Soldat James Ryan“) vor dem Einsatz zu jedem einzelnen seiner Soldaten sagt, dass er ihn liebt – diese Szene findet im ganzen Film immer wieder Echos. Und im Verhältnis zwischen Billy und seiner von Kristen Stewart („Personal Shopper“) gespielten Schwester Kathryn, die ihn als überzeugte Kriegsgegnerin davon abhalten will, in den Irak zurückzugehen, ist das Versöhnliche und das Gemeinsame letztlich viel wichtiger als die pointierten Meinungsunterschiede.
Fazit: Als Oscar-Favorit und an den US-Kinokassen ist „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ gestrauchelt, ein herausragendes Drama und ein ganz außergewöhnliches Kinoerlebnis ist er dennoch.