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    Mängelexemplar
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Mängelexemplar
    Von Andreas Staben

    Als die durch ihre Sendungen auf Viva und MTV bekanntgewordene Fernsehmoderatorin Sarah Kuttner 2009 ihren ersten Roman „Mängelexemplar“ veröffentlichte, wurde das Buch von der feuilletonistischen Literaturkritik äußerst reserviert aufgenommen. „Großstädtisches Tussen-Biedermeier“, befand der eine, die andere machte „den Geschmack von Hysterie und den Sound pubertären Gekreischs“ aus. Zum Bestseller wurde das Debüt trotzdem, aber auch das war laut eines skeptischen Rezensenten kein Wunder, denn Kuttner würde ähnlich wie die Kollegin Charlotte Roche, die mit „Feuchtgebiete“ ebenfalls gerade einen erfolgreichen Einstand als Romanautorin gefeiert hatte, „von der Aura literarischer Amateurhaftigkeit profitieren“. In von absurden Anglizismen durchzogener Berliner Medien-Milieu-Prosa entwarf Kuttner das Psychogramm einer anstrengenden Ich-Erzählerin und hat damit offenbar einen Nerv getroffen. Langfilmdebütantin Laura Lackmann setzt bei ihrer gleichnamigen Verfilmung von „Mängelexemplar“ nun ganz deutliche eigene Akzente, behält die schwierige Kombination aus ironischer Uneigentlichkeit und ungeschönter Selbstbeschau aber bei und so haben es echte Gefühle und entlarvende Erkenntnis in ihrer Tragikomödie letztlich gleichermaßen schwer, zur Geltung zu kommen.

    Die 27-jährige Karo Herrmann (Claudia Eisinger) steckt in der Krise: Sie ist zu emotional, extrem unausgeglichen und von den Erfordernissen ihres Alltags überfordert, was sie ihren Job bei einer Event-Agentur kostet. Da ihr langjähriger Freund Philipp (Christoph Letkowski) sich kaum für die schlechte Nachricht interessiert, Mutter Luzy (Katja Riemann) auch nicht hilft und ihre beste Freundin Anna (Laura Tonke) sauer ist, weil sich alles immer nur um Karo dreht, sieht die nur noch einen Ausweg: Eine Therapie muss her. Sie ergattert einen Termin bei Annette (Maren Kroymann) und will dort als besonders bedürftige potentielle Patientin erscheinen, weshalb sie ihre Sorgen ausschmückt und ein Kindheitstrauma erfindet. Als Philipp wenig später mit Karo Schluss macht, braucht sie keine Übertreibungen mehr und wird von Panikattacken geplagt. Immerhin kann sie auf ihren Ex-Arbeitskollegen Max (Maximilian Meyer-Bretschneider) zählen, der sich als echter Freund erweist…

    Der Buchheldin wurde „popkultureller Plapperzwang“ vorgeworfen, Regisseurin und Drehbuchautorin Laura Lackmann hat sowohl den spezifischen Slang als auch die dazugehörigen Insider-Bezüge und -Anspielungen für den Film reduziert und lässt Karos Berliner Biotop ganz nebenbei in den Kneipen-, Club- und Straßenszenen lebendig werden. Hier geht es weniger um Niels Ruf und Bionade, dafür mehr um die konkreten Nöte der Protagonistin. Lackmann nimmt Karos psychische Probleme ernst und bemüht sich spürbar um ein realistisches Porträt der Panik-, Angst- und Depressionszustände, aber da dies ein unterhaltsamer Film sein soll, versucht sie das Ganze immer wieder aufzulockern. So lässt sie Karos „inneres Kind“ lebendige Filmwirklichkeit werden und nutzt dies sogar zu einer Art Actionszene. Das wirkt allerdings genauso bemüht und kalkuliert, wie der unsägliche Auftritt der Vorgesetzten bei Karos Rauswurf, die mit böser Miene zum bösen Spiel offen ausspricht, was ihr an der Geschassten nicht passt. Die grobschlächtige Satire auf die Unternehmenskultur in Zeiten von jungen Start-ups und neuen Medien überlagert Karos Drama und auch in der Szene mit der gerade Gefeuerten am Rande des Nervenzusammenbruchs in einem Baumarkt wird das Beklemmende der Situation am Ende einem billigen Gag geopfert („Ich habe eine 523 bei Farben und Lacke“).

    Durch den zwischen unernst und verständnisvoll schwankenden Erzählton fällt es nicht ganz leicht, Sympathien für die auch hier durchaus anstrengende Hauptfigur aufzubringen, die zudem etwas sehr Demonstratives an sich hat: Sie soll so offensichtlich für ein bestimmtes Lebensgefühl und als Beispiel für weitverbreitete Probleme stehen, dass sie kaum ein Eigenleben gewinnt. Gerade das ist zwar womöglich symptomatisch für eine ichbezogene Generation, die sich unter dem Druck fremder Erwartungen selbst verliert, aber soziologische Mutmaßungen und medizinische Symptome können keine Figurenzeichnung ersetzen – und mehr ist auch in Claudia Eisingers („13 Semester“) zwischen leidend und beleidigt pendelndem Mienenspiel nur selten zu erkennen. Bei Katja Riemann („Fack ju Göhte“) und vor allem bei der mit ihrer Leistung verdientermaßen für den Deutschen Filmpreis 2016 nominierten Laura Tonke („Hedi Schneider steckt fest“) blitzt dagegen immer wieder ein Hauch von ganz anders gearteter tiefer Traurigkeit auf, die Ahnung eines Abgrunds, für den es eben keine erklärende Etiketten und keine Pillen gibt. Hier deutet sich allerdings auch ein völlig unterschiedlicher Film an, der nicht zu Lackmanns flott inszenierter und am Ende optimistischer Erzählung passt: Dort wird der Freund schließlich buchstäblich zur Medizin.

    Fazit: Beim Spagat zwischen zeitgeistiger Seelenstripteasekomödie und ernsthaftem Depressionen-Drama gerät die Verfilmung von Sarah Kuttners Bestseller immer wieder aus dem erzählerischen Gleichgewicht.

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