In dem Pixar-Meisterwerk „Die Monster AG“ von 2001 leben die Monster in einer eigenen Gesellschaft. Als ein menschliches Kind in die Monsterwelt hineingerät, herrscht bei den mit einem Mal gar nicht mehr so angsteinflößenden Schreckgestalten plötzlich helle Aufregung - und es stellt sich die Frage, wer hier eigentlich vor wem Angst hat? Auch „Hotel Transsilvanien“ von 2012 funktioniert nach einem ähnlichen Muster: In diesem gibt es neben der menschlichen noch eine weitere geheime Gesellschaft, in der die berühmtesten Monster der Popkultur – darunter Dracula, Frankensteins Monster und der unsichtbare Mann – zusammenleben. Und auch hier gehen die fiktionalen Gruselgestalten weitaus weniger entspannt mit einem plötzlich auftauchenden Menschen um als andersherum.
Der von Karey Kirkpatrick („Ab durch die Hecke“) inszenierte „Smallfoot – Ein eisigartiges Abenteuer“ fußt nun ebenfalls auf einer vergleichbaren Prämisse: Während Menschen an die Legende des riesigen Fellmonsters Bigfoot glauben, haben sich die schneeweißen Yetis im Gegenzug einen eigenen Mythos vom sogenannten Smallfoot erschaffen – gemeint ist damit natürlich der Mensch, den sie für mindestens genauso gefährlich halten wie die Zweibeiner den Yeti. Daraus ergeben sich nicht nur jede Menge Gelegenheiten für ausladenden Slapstick und skurrilen Wortwitz. Wie man es von den beiden „The LEGO Movie“-Visionären Phil Lord und Christopher Miller kennt, die hier als Executive Producer verantwortlich zeichnen, steckt in der Animationskomödie auch noch ziemlich viel Hintersinn, der in Anbetracht aktueller weltpolitischer Geschehnisse eine überraschende Brisanz erhält.
Der junge Yeti Migo (englischer Sprecher: Channing Tatum; deutscher Sprecher: Kostja Ullmann) lebt gemeinsam mit vielen riesigen Bigfoots in einer abgeschiedenen Gemeinschaft in den schneebedeckten Bergen. Ein dichter Schleier aus Nebel und Wolken trennt die Yetis von den Menschen, die im Tal wohnen und für die Monster nur als Legende existieren. Aus dem Mythos wird jedoch Realität, als Migo eines Tages einem abgestürzten Piloten begegnet, der beim Anblick des Yetis Hals über Kopf flieht. Für Migo steht fest: Smallfoots – Menschen-Monster – gibt es wirklich! Gemeinsam mit einer Gruppe ebenfalls an Menschen glaubender Bigfoots beschließt Migo, der Sache auf den Grund zu gehen. Er wagt den Abstieg ins Tal und trifft dort auf den jungen Abenteurer Percy (James Corden), der seinerseits überzeugt ist, dass es Yetis wirklich gibt. Stolz will Migo seine Entdeckung im Yeti-Dorf präsentieren. Doch von seiner Entdeckung ist man alles andere als begeistert…
Dass die Drehbuchautoren Karey Kirkpatrick und Clare Sera („Urlaubsreif“), die für „Smallfoot“ das Kinderbuch „Yeti Tracks“ von Sergio Pablos adaptiert haben, in ihrem Film die Legende vom Bigfoot auf links drehen, ist letztlich nur die Basis für den eigentlichen Kern der Geschichte. Es geht vor allem darum, wie sich beide Seiten – also Menschen und Yetis – durch die Betonung, bei der ihr unbekannten Spezies handele es sich lediglich um eine gruselige Legende, ihr Weltbild gezielt zurechtrücken, um sich nicht mit dem Fremden auseinandersetzen zu müssen. Das beginnt schon damit, dass die Dorfältesten der Bigfoots die große Wolkenwand, die sie explizit von der Menschengesellschaft abschirmt, selbst erzeugen, um den Eindruck aufrechtzuerhalten, alles dahinter sei unbekannt und daher gefährlich. Der Ursprung dieser Angst liegt in der Historie begründet: Einst trafen Menschen und Bigfoots aufeinander. Während die Menschen aus Angst mit Speeren angriffen, sahen sich die Yetis dazu gezwungen, sich zu verteidigen. Die Fellmonster waren sich ihrer gefährlichen Erscheinung nicht bewusst, so dass jede Spezies von der jeweils anderen glaubte, sie sei feindlich. Fortan nährten Mythen, Halbwahrheiten und Klischees das Bild vom jeweils anderen.
So vehement, wie die Ältesten in „Smallfoot“ daran festhalten, dass die Wahrheit niemals ans Licht kommen darf, da man sich ja sonst mit den eigenen Fehlern der Vergangenheit auseinandersetzen müsste, gewinnt das Ganze nach und nach den Beigeschmack dessen, was man heutzutage wohl „Fake News“ nennen würde. Selbst das Nachfragen ist in der Yeti-Welt verpönt: Wenn einem etwas unklar ist, dann solle man den Drang, dem auf den Grund zu gehen, mit aller Macht unterdrücken – und seien die in der Dorfgemeinschaft verbreiteten Informationen noch so offensichtlich falsch. Wie zum Beispiel die Behauptung, dass die Sonne nur aufgehen würde, weil Migos Vater einen großen Gong schlägt.
Auf familiengerechte Weise in ein dynamisch erzähltes Abenteuer verpackt, knüpfen in „Smallfoot“ Mitglieder beider Spezies zarte Bande miteinander: der unbedarfte Percy, dem heutigen Zeitgeist entsprechend YouTuber, und der neugierige Migo mitsamt seiner Clique junger Yetis. Das birgt vor allem witzige Momente: Schon das erste Aufeinandertreffen zwischen Migo und Percy ist zum Brüllen komisch, wenn sich beide aufgrund ihrer unterschiedlichen Sprachen nicht verständigen können und schließlich wild gestikulieren – nur um festzustellen, dass man für eine friedliche Verständigung gar nicht zwingend Sprache braucht. Auch das Entdecken diverser menschlicher Alltagsgegenstände ist richtig komisch, denn nicht immer können die Yetis den Zweck der Dinge sofort erkennen – eine Rolle Klopapier könnte ja auch dazu dienen, dass Menschen darauf ihre Weisheiten niederschreiben.
In „Smallfoot“ liegen Slapstick, Dialogwitz und amüsante Nebenfiguren sowie die berührende Geschichte über die Annäherung zweier Spezies nah beieinander. Dass dies nach einem etwas schleppenden Auftakt gut funktioniert, liegt an den sympathischen und nachvollziehbaren Figuren. Selbst die zweifelnden, bis kurz vor Schluss an ihren rückständigen Ansichten festhaltenden Anführer besitzen deutlich erkennbare Gründe für ihr Handeln. Darüber hinaus tut der Verzicht auf eine reine Schurkenfigur dem Film ebenfalls gut, denn so bleibt noch mehr Zeit, sich dem gleichermaßen emotionalen wie komplexen Mensch-gegen-Yeti-Konflikt zu widmen. Für die sehr souveräne Synchronisation konnten neben Kostja Ullman Namen wie Aylin Tetzel, Luise Befort und Chris Tall gewonnen werden. Abgerundet wird der starke Eindruck von einer soliden 3D-Animation. Die eisigen Schneelandschaften können mit der Detailverliebtheit á la „Die Eiskönigin“ zwar nicht mithalten, doch das Niveau des jüngsten „Ice Age“-Films erreicht „Smallfoot“ allemal.
Fazit: In dem spritzigen Animationsabenteuer „Smallfoot“ steckt nicht nur jede Menge Humor, sondern auch ein anschauliches Plädoyer, wie wir alle friedlicher zusammenleben könnten, wenn wir Vorurteile und unbegründete Ängste über Bord werfen würden.