Wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere - und manchmal ist das sogar ein echter Glücksfall. Natürlich war die Enttäuschung für Edgar Wright riesengroß, als er 2014 Marvels „Ant-Man“ wegen „kreativer Differenzen“ verließ - und von seiner achtjährigen (!) Konzeptarbeit letztendlich kaum mehr als eine vierfach geteilte Nennung als Drehbuchautor blieb! In der so freigewordenen Zeit widmete sich der Regisseur der kultigen Cornetto-Trilogie („Shaun Of The Dead“, „Hot Fuzz“ & „The World’s End“) und seinem absoluten Herzensprojekt, dessen Idee der Brite bereits seit 1995 mit sich herumträgt und 2003 in Grundzügen in seinem Bankräuber-Musikvideo zu Mint Royales „Blue Song“ (unter anderem mit Nick Frost) vorwegnahm:
In der originellen Filmversion dieses Lieblingskindes zieht Wright sein Konzept nun erstaunlich konsequent durch: Er lässt den titelgebenden jugendlichen Fluchtwagenfahrers Baby mit seinen iPod-Kopfhörern nahezu den kompletten Film unter seiner eigenen Soundglocke von der Außenwelt abgeschnitten zubringen. Das romantische Heist-Action-Thriller-Musical „Baby Driver“ ist atmosphärisches und ultracooles Genrekino.
Von seinem jugendlichen Aussehen und seinen leicht autistisch anmutenden Marotten lassen sich viele seiner harten Gangster-Kollegen täuschen. Aber wenn sie ihn fahren sehen, dann kippen ihre Kinnladen herunter: Baby (Ansel Elgort) ist trotz seiner jungen Jahre der abgebrühteste Fluchtwagenfahrer der Unterwelt von Atlanta. Sein Boss Doc (Kevin Spacey) hält große Stücke auf seinen besten Mann, der nach einem traumatischen Unfall in seiner Kindheit unter schwerstem Tinnitus leidet, weshalb er diesen ständig mit Musik übertönt und sich so zugleich stets den passenden Groove ins Leben holt. Im Auftrag von Doc rauben seine bei jedem Coup wechselnden Schützlinge (unter anderem Jon Hamm, Jon Bernthal, Jamie Foxx, Eiza González, und Flea von den Red Hot Chili Peppers) im klassischen Stil Banken aus. Draußen wartet Baby mit laufendem Motor und gibt auf der Flucht virtuos Vollgas, um den Cops zu entkommen. Als sich Baby in die Kellnerin Deborah (Lily James) verliebt, beginnt er vom Ausstieg aus dem schmutzigen Geschäft zu träumen – und tatsächlich steht er ja auch nur noch für einen letzten Auftrag bei Doc in der Schuld…
Beweisen muss Edgar Wright niemandem mehr etwas – vielleicht höchstens, dass er noch viel mehr kann, als Nerds mit seinen Filmen in Ekstase zu versetzen. Und so steuert er seinem ersten in den USA gedrehten Werk „Baby Driver“ (der Titel klingt im ersten Moment wie ein Sequel zu „The Boss Baby“, ist aber nach Simon & Garfunkels „Baby Driver“ vom 1970er-Album-Meisterwerk „Bridge Over Troubled Water“ benannt) in eine andere Richtung: Statt wieder auf den üblichen Nerd-Stoff zu setzen, nähert sich Wright dem klassischen Heist-Genre-Movie mit einer innovativen High-Concept-Idee. Die obligatorische Musikuntermalung erschallt eben nicht im Hintergrund, sondern ist - permanent und penetrant - aktiver Bestandteil der Handlung, wenn Baby durch die Auswahl der Songs (die von dem zentralen Stück „Easy“ von den Commodores über Jazz und Blues bis zu Barry White reicht) selbst den Takt für die folgenden Szenen vorgibt – egal ob es sich dabei um eine rasante Fluchtfahrt oder einen entspannten Spaziergang zum Kaffeeholen handelt. Wie in einem Musical entstehen daraus ganze Choreografien: Da trommelt Baby bei dem bis auf den winzigsten Schnitt perfekt inszenierten ersten Banküberfall mit den Fingern auf dem Lenkrad herum, während die Scheibenwischer synchron ein Tänzchen veranstalten, bevor die anschließende Flucht eben nicht in wildes Kamikaze-Rasen ausartet, sondern pure Ästhetik ausstrahlt: ein Boliden-Ballett mit Babys 2007er Subaru WRX als Vortänzer.
Während der bloße Plot kaum von den Gerüstpfeilern des B-Movie-Standards abweicht, etwa wenn sich innerhalb der Crew dynamisch eine gefährliche Gemengelage mit verschiedenen Interessen entwickelt, sind es die schrägen Zwischentöne und aus der Hüfte geschossenen Querschläger, die „Baby Driver“ trotzdem zu etwas ganz Besonderem machen: Da wird Baby seine Sonnenbrille vom Kopf geschlagen – aber kein Problem, er hat eine gefühlte Wagenladung davon in der Jackentasche. An anderer Stelle sampelt er mit seinem antiquierten DJ-Equipment aus Bruchstücken heimlich aufgenommener Konservationen stilsichere Raps. Oder von der Rückbank taucht plötzlich Docs neunmalkluger, dicker, achtjähriger Neffe Samm (Brogan Hall) auf, der zehn Mal mehr Durchblick hat, als die teils arg schlichten, aber ach so harten Gangstertypen selbst. „Baby Driver“ entwickelt bei all dem einen unwiderstehlichen Rhythmus und profitiert nicht nur von Edgar Wright famoser Inszenierung, sondern auch von den durchweg launigen Darbietungen der Schauspieler.
Vornean steht Jungstar Ansel Elgort („Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, „Die Bestimmung“-Trilogie), der neben seinem jugendlichen Babyface-Charme auch noch ein überraschend raues Charisma aufzubieten hat – und auch die Chemie mit Love Interest Lily James („Cinderella“) könnte nicht besser sein. Der New Yorker Nachwuchsstar verblasst keineswegs neben großen Kalibern wie den ebenfalls augenzwinkernd-dickauftragenden Oscarpreisträgern Kevin Spacey („Die üblichen Verdächtigen“, „Sieben“) und Jamie Foxx („Ray“, „Django Unchained“). Spacey hat sichtlich einen Riesenspaß dabei, mit Chuzpe den Mittelklasse-Kingpin zu geben, während Foxx eine Menge Jähzorn und Wut in sein Spiel packt und so mit Joe Bernthal („The Accountant“) konkurriert. Und dann ist da ja auch noch „Mad Men“-Ikone Jon Hamm: Gerade für Jünger der preisgekrönten Werber-Serie ist es eine wahre Freude, den wohl auf ewig mit seiner Paraderolle des Don Draper in Verbindung stehenden Hamm hier als zunehmend austickenden Psychopathen zu sehen.
Auch wenn „Baby Driver“ unendlich stylisch ist, verrät Wright seinen mit brutalen Gewaltspitzen gewürzten Film nie für billige Gags. Der Grundton ist durchaus geerdet, wobei der erzählerische Kern von der luftigen Romanze zwischen Elgort und James umweht wird und kleine humoristische Einschübe für vergnügliche Akzente sorgen. Seine Inspirationen holt sich der Regisseur, der in „Baby Driver“ nur seinen eigenen Regeln folgt, unter anderem bei Walter Hills Auto-Klassiker „The Driver“, er wildert nebenbei aber auch bei den L.A.-Granden der 1990er wie „Gefährliche Brandung“ oder „Heat“. Da wird noch ein bisschen „Arizona Junior“ und „Wild At Heart“ untergemischt und so entsteht schließlich ein völlig eigenständiger Genremix, den Wright mit grandiosen (Auto-)Actionszenen orchestriert, die in einen einzigen langgezogenen Showdown in der finalen halben Stunde münden. Regisseur Edgar Wright selbst bezeichnet sein Werk als „einen Film, der von Musik getrieben wird“: Der Sound ist der Treibstoff, und davon hat „Baby Driver“ mehr als genug, um 113 Minuten lang hochtourig zu unterhalten!
Fazit: Edgar Wrights brillant choreografierter Action-Musik-Express „Baby Driver“ ist eine berauschende, bis zum Bersten mit kreativen Einfällen gefüllte kinetische Realitätsflucht in Vollspeed!