Roman Polanskis bester Film seit "Der Pianist"
Von Christoph PetersenRoman Polanski ist in diesem Jahr aus vielen Gründen in den Schlagzeilen. Sein neuer Film „Intrige“, eine Aufarbeitung der Dreyfus-Affäre um einen zu Unrecht als Verräter verurteilten jüdischen Artillerie-Hauptmann, die anschließend von großen Teilen der politischen und militärischen Führung vertuscht werden sollte, hat damit allerdings am wenigsten zu tun. Stattdessen ist es 2019 genau 50 Jahre her, dass Sharon Tate, die damalige Frau des „Chinatown“-Regisseurs, von Mitgliedern der Manson-Sekte grausam ermordet wurde. Ein Ereignis, das das alte Hollywood in seinen Grundfesten erschütterte und nun zum runden Jubiläum nicht nur in etlichen Artikeln, TV-Reportagen und Heimvideo-Thrillern, sondern auch von Quentin Tarantino in „Once Upon A Time… In Hollywood“ – mit Margot Robbie als Sharon Tate und Rafal Zawierucha als jungem Polanski – aufgearbeitet wird.
Zudem ist der Missbrauchsfall aus dem Jahr 1977, als Polanski eine 13-Jährige unter Drogen setzte und Sex mit ihr hatte, im Rahmen der #MeToo-Bewegung wieder stärker in den Fokus gerückt, nachdem ihm die Hollywood-Community nach dem Regie-Oscar im Jahr 2003 eigentlich schon verziehen zu haben schien. Deshalb hagelte es auch von vielen Seiten Kritik am Filmfestival von Venedig, weil man Polanski dort nicht in den Wettbewerb einladen und ihm so eine Bühne bieten sollte. Festivalchef Alberto Barbera wischte die Einwände allerdings allesamt mit der Bemerkung weg, dass Polanski eben seinen besten Film seit „Der Pianist“ gedreht hätte und man ihn deshalb auch unbedingt im Wettbewerb zeigen müsse. Nun muss man mit Barberas sehr einseitiger Sicht der Dinge wahrlich nicht einverstanden sein. Aber was die Qualität des Films angeht, hat er recht.
Auf Augenhöhe: Jean Dujardin und Louis Garrel (ja, das auf der rechten Seite ist er wirklich, selbst wenn man ihn so kaum wiedererkennt)!
Im Jahr 1894 wird der jüdische Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus (kaum wiederzuerkennen: Louis Garrel) von einem nicht-öffentlichen Pariser Militärgericht wegen Landesverrats verurteilt. Das französische Parlament beschließt daraufhin, ihn auf die sogenannte Teufelsinsel vor der Küste von Französisch-Guayana zu verbannen. Als der Oberstleutnant Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin), eigentlich ein überzeugter Antisemit, kurz darauf die Leitung des französischen Auslandsnachrichtendienstes übernimmt, stößt er dort schnell auf Hinweise, dass das zentrale Schriftstück, auf dem die Verurteilung von Dreyfus maßgeblich basiert, womöglich gar nicht von diesem geschrieben wurde und der wahre Verräter weiterhin frei herumläuft. Aber als Picquart weitere Nachforschungen anstellt, raten ihm der Geheimdienstchef und sogar der Kriegsminister, die Sache ruhen zu lassen – und wenn der neue Verräter schon verurteilt werden muss, dann solle man doch bitte trotzdem Dreyfus nicht freilassen. Denn dann müsste man ja eingestehen, dass das Militär, der Geheimdienst und die Gerichte nicht unfehlbar seien. Trotzdem lässt sich Picquart nicht aufhalten – stattdessen wird er zu einem der ersten und bekanntesten Whistleblower der Geschichte…
Filme über die Anfangstage von J. Edgar Hoovers FBI sind oft gleichermaßen amüsant wie verstörend. Natürlich wirken die amateurhaften, zu diesem Zeitpunkt noch wenig raffinierten Methoden der Agenten oft einfach nur absurd. Aber dann sieht man irgendwann, wozu sie eingesetzt werden (und wohin das später noch alles führen wird). In „Intrige“ ist das ganz ähnlich, nur spielt die Handlung eben noch einmal knapp 30 Jahre früher. Wenn Picquart seinen Dienst im Auslandsgeheimdienst antritt, schläft der Wachmann an der Eingangstür gemütlich auf seinem Posten, während seine Beamten Privatpost mit heißem Dampf und Stöckchen-Tricks öffnen – von den wenig vertrauenerweckenden Methoden des bei Gericht auftretenden Handschrift-Experten (Mathieu Amalric) mal ganz zu schweigen. Natürlich ist das lustig – und doch bleibt einem das Lachen spätestens dann im Hals stecken, wenn man erkennt, dass sich in den vergangenen 125 offenbar absolut gar nichts geändert hat. Weder die Gerechtigkeit noch die Demokratie verteidigt sich selbst, das tut immer nur die Macht.
In den vergangenen Jahren gab es ja nicht von ungefähr eine regelrechte Schwemme an Whistleblower-Filmen, zuletzt etwa „The Report“ mit Adam Driver und „Official Secrets“ mit Keira Knightley. Aber „Intrige“ sticht dabei nicht nur durch seine Zeitperiode, sondern auch durch seine erzählerische Qualität heraus: Basierend auf dem Roman „Intrige“ von „Vaterland“-Autor Robert Harris, mit dem gemeinsam Polanski auch das sehr nah an den historischen Fakten bleibende Drehbuch geschrieben hat, entpuppt sich „Intrige“ als eine auf wahren Ereignissen basierende Kostümfilm-Variante von „Eine Frage der Ehre“ – inklusive einer entlarvenden Wutrede vor Gericht, die ein wenig an Jack Nicholsons legendäre „Ihr könnt die Wahrheit doch gar nicht ertragen!“-Ausraster erinnert. Die Inszenierung und das Tempo des nicht nur aufwühlenden, sondern zugleich auch sehr kurzweiligen Thriller-Dramas sind dabei absolut makellos.
Hat den Durchblick: Jean Dujardin in "Intrige".
Natürlich spielt auch der legendäre Zeitungsartikel „J’Accuse“ (zugleich der französische Originaltitel des Films), in dem der berühmte Schriftsteller Émile Zola am 13. Januar 1898 eine gepfefferte, auf den preisgegebenen Informationen von Picquart basierenden Anklage gegen alle an der Vertuschung beteiligten Parteien formulierte, eine zentrale Rolle. Aber noch mehr als mit der Verantwortung der Medien (auf beiden Seiten) thematisiert Polanski den auch damals schon wild grassierenden Antisemitismus in Frankreich. Manchmal ganz deutlich, etwa wenn Picquart gesagt wird, dass er die Sache auch deshalb ruhenlassen soll, weil Dreyfus schließlich ein Jude sei und seine womöglich falsche Verurteilung gar nicht so schlimm wäre. Aber oft auch sehr subtil und dann meist noch wirkungsvoller: Schließlich begleiten wir die ganze Zeit Picquart dabei, wie er sich selbst für die Rehabilitation von Dreyfus aufopfert. Der Protagonist ist so ein wahrer Held – und ein bekennender Antisemit! Zu diesem Dilemma gibt der Film dem Zuschauer keine klare Haltung vor, was das Finale noch einmal verdeutlicht.
Die Dreyfus-Affäre und „Intrige“ haben nämlich jeweils auf ihre Art ein Happy End, doch es finden sich kleine Haken darin. Wenn sich die Männer, deren Leben nun so eng miteinander verbunden sind, in einer der letzten Szenen des Films nach vielen Jahren erstmals wieder persönlich treffen, verläuft diese Begegnung ziemlich ungelenk. Weil Polanski natürlich um die aktuelle Weltsituation weiß, lässt er bis zum Abspann genügend kleine solcher Brüche offen. Diese deuten trotz des vermeintlichen Triumphs über die Ungerechtigkeit auf ganz subtile, aber deshalb nicht weniger schmerzhafte Weise an, was da in den nächsten 125 Jahren noch alles auf die Menschheit zukommen wird…
Fazit: „Intrige“ ist ein historisches Whistleblower-Thriller-Drama, wie es aktueller, spannender und aufwühlender kaum sein könnte. Eine Rückkehr zu früheren Triumphen für Roman Polanski.
Wir haben „Intrige“ bei den Filmfestspielen in Venedig gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.