Auf sein sensationell mit drei Oscars ausgezeichnetes Trommler-Drama „Whiplash“ lässt Regie-Shooting-Star Damien Chazelle direkt den nächsten Paukenschlag folgen! Nachdem die Musik schon in seinem Spielfilmdebüt eine zentrale Rolle spielte, erweist sich der im heutigen Los Angeles angesiedelte „La La Land“ nun als waschechtes Musical in der Tradition der Klassiker mit Fred Astaire und Ginger Rogers („Tanz mit mir“), die gerade in den 1930ern regelmäßig Millionen von Zuschauern in die Kinos lockten. Dabei tut Chazelle gut daran, weder nostalgisch verklärt noch mit einer ironischen Distanz auf die damalige Filmepoche zurückzuschauen. Stattdessen stürzt er sich angstfrei und rotzfrech in die legendenüberhäufte Szenerie Hollywoods: „La La Land“ ist ein hemmungsloser, quietschbunter Film voller Musik und Tanz, in dem auch die Bauten und Kostüme kaum weniger hinreißend sind als die glamourös-stilvollen Choreographien. Bei der ersten Pressevorführung im Rahmen des Filmfestivals in Venedig, wo „La La Land“ als Eröffnungsfilm gezeigt wird, wurde das Musical absolut begeistert aufgenommen – eine Begeisterung, die bis zur Oscarverleihung im Februar 2017 kaum abgeebbt ist, bei der Chazelles Geniestreich gleich sechs Mal ausgezeichnet wurde.
Als die junge Schauspielerin Mia (Emma Stone, „Birdman“) und der Jazzmusiker Sebastian (Ryan Gosling, „Drive“) in Los Angeles aufeinandertreffen, wollen beide unbedingt Karriere machen. Aber nichts scheint zu klappen: Wann immer Mia ein Vorsprechen hat, ist entweder jemand noch ein bisschen besser als sie oder sie bekommt nur ein paar Sekunden Zeit, in denen dann auch noch jemand ins Zimmer platzt oder dem Produzenten das Handy wichtiger ist als ihre Schauspielkunst. Auch Sebastian träumt von der großen Karriere. Zu gern würde er eine elegante Jazz-Bar eröffnen. Aber vorerst muss er sich mit dem Nachspielen von 80er Jahre Hits wie „I Ran“ von A Flock Of Seagulls sein Brot verdienen. Und wann immer Mia und Sebastian sich annähern, geschieht irgendetwas Unverhofftes, das sie stoppt. Erst als sich die beiden nach fast einer Stunde Laufzeit das erste Mal küssen und alle Zeichen auf eine große Romanze hindeuten, fängt die Traumfabrik Hollywood plötzlich an, ihren Tribut zu fordern: Mia bekommt ein Angebot, das sie einfach nicht ablehnen kann. Endlich traut man ihr eine Hauptrolle zu, für die sie sie aber für mehrere Monate nach Paris ziehen müsste. Sebastian hat hingegen mittlerweile Anschluss an eine Band gefunden, hinter deren Musik er zwar nicht zu 100 Prozent steht, aber zumindest gibt es reichlich Kohle…
Schon der auf einer der zahlreichen, nach L.A. hineinführenden Brücken angesiedelte Auftakt ist eine Klasse für sich! Die Kamera von Linus Sandgren (der nach „American Hustle“ und „Joy“ gerade einen echten Lauf zu haben scheint) schwebt auf die stockende Wagenkolonne zu, die sie anschließend – ohne erkennbaren Schnitt – für eine grandiose fünfminütige Eröffnungssequenz ständig umkreist. Aus den haltenden Autos steigen mehr und mehr Menschen aus, in einem der Trucks befindet sich eine Band – und alle gemeinsam besingen sie das Leben und die hoffnungsverheißende Stadt der Engel. Dieser Track gibt bereits die Stimmung für den gesamten Film vor: Immer eine Melodie auf den Lippen, stets schön locker in der Hüfte. Fans von Film-Musicals wird „La La Land“ sowieso zu wahren Freudenstürmen hinreißen. Aber was noch viel beeindruckender ist: Wo in den vergangenen Jahren hier und da mal ein vereinzeltes Musical mehr oder weniger erfolgreich in den Kinos lief (etwa „Les Misérables“ oder „Into The Woods“), ohne dass man ein paar Monate später noch groß über diese Filme reden würden, trauen wir „La La Land“ ohne weiteres zu, einen ähnlichen Kultstatus wie Baz Luhrmans „Moulin Rouge!“ zu erreichen.
„La La Land“ mag an klassische Hollywood-Musicals angelegt sein, aber das hält Damien Chazelle nicht davon ab, immer wieder interessante neue Wege zu finden, seine nur im Kern simple Geschichte zu erzählen. So pfeift er auf eine lineare Erzählweise und springt zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her. Zudem hat er den Film in Kapitel unterteilt, die den vier Jahreszeiten zugeordnet sind. Dennoch stehen natürlich die Tanz- und Gesangsnummern (die in ihrer pompösen Pracht mitunter an den oft unterschätzten „Der große Gatsby“ von Baz Luhrman erinnern) im Mittelpunkt: Emma Stone (das schönste Lächeln seit Julia Roberts) und Ryan Gosling (trägt die coolsten Filmanzüge der Welt) hängen sich voll rein und zeigen eine Menge Seele. Sicherlich tanzen und singen sie nicht so gut oder elegant wie dereinst Fred und Ginger, aber das hatte wohl auch niemand ernsthaft erwartet. Dafür dürfen sie gemeinsam in den Himmel schweben (die gute Art von Kitsch) oder am Ende noch einmal eine alternative Version des gesamten Plots tanzen – vor Chazelles überbordender Phantasie kann man einfach nur den Hut ziehen!
Und immer, wenn man sich Sorgen macht, dass der Film demnächst auf der Stelle treten könnte, lässt der Regisseur seinen Film aus der Perspektive einer anderen Person einfach noch mal von vorn beginnen oder er zaubert so tolle Gaststars wie John Legend aus dem Hut. Oder er schwenkt zu spannenden Debatten über die Leidenschaft, den wahren Jazz und die Lebbarkeit der einen großen Liebe. Hier entwickeln perfekt gekleidete Menschen tatsächlich mal kluge Gedanken über das Leben, die weit über die klassischen Hollywood-Moralweisheiten hinausreichen – so ist „La La Land“ ein Film, der vor allem unheimlich glücklich und dabei auch ein wenig nachdenklich macht.
Fazit: Das klassische Hollywood-Musical ist zurück – und wie! Damien Chazelle hat mit dem sechsfach oscargekrönten „La La Land“ einen Instant-Klassiker rausgehauen, der Emma Stone und Ryan Gosling als das aktuelle Traumfabrik-Traumpaar schlechthin etabliert.
Kritik von Peter Beddies (gesehen beim Filmfestival in Venedig)