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    Remainder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Remainder
    Von Gregor Torinus

    Im Jahr 2000 erregte der bis dahin kaum bekannte Christopher Nolan („Inception“, „Interstellar“) erstmals großes Aufsehen – und zwar mit einem Neo-Noir, dessen Protagonist mit einem ungewöhnlichen Handicap ringt: In „Memento“ versucht ein Mann nur mit Kurzzeitgedächtnis (nach fünf Minuten hat er immer alles wieder vergessen) der Wahrheit auf die Spur zu kommen, obwohl er sich an den Auslöser seines Rachefeldzugs gar nicht mehr erinnern kann. Nun rückt der in Berlin lebende israelische Videokünstler Omar Fast in seinem surrealen Psychodrama „Remainder“ einen ebenfalls an Gedächtnisverlust leidenden Mann ins Zentrum, der sich seine Wirklichkeit gleich selbst gänzlich neu erschafft. Aber das ist lediglich der Gipfel eines Mindfuck-Eisbergs, der sein Publikum sprachlos zurücklässt.

    „Remainder“ basiert auf dem gleichnamigen Debütroman von Tom McCarthy (nicht zu verwechseln mit dem „Spotlight“-Regisseur) über einen namenlosen jungen Mann (gespielt von John Sturridge), den in der Londoner Innenstadt plötzlich herabstürzende Objekte am Kopf treffen. Als der Schwerverletzte aus dem Koma erwacht, kann er sich zwar an nichts mehr erinnern, aber dafür ist er um 8,5 Millionen Pfund reicher - Schweigegeld, damit er seinen Fall nicht öffentlich macht. Mit diesem Geld beginnt der Erwachte, sich eine von Erinnerungsbruchstücken und Visionen inspirierte eigene Welt aufzubauen. Dabei entwickelt er sich zu einem regelrechten Diktator, der sich in jedem noch so kleinen Winkel seiner Schöpfung, sobald er ihn  vollständig zu verstehen glaubt, zum absoluten Herrscher aufschwingt …

    Regisseur Omar Fast beschränkt sich in seinem ersten abendfüllenden Film nicht wie manch anderer Videokünstler auf die rein visuellen Aspekte seiner Konstruktion einer surrealen Welt, sondern erzählt zudem auch eine tatsächlich mitreißende Geschichte, wozu ganz maßgeblich auch John Sturridge („On the Road - Unterwegs“) in der Rolle des jungen Mannes mit Amnesie beiträgt: Der britische Mime legt die Entwicklung seiner Figur vom optimistisch in die Welt blickenden jungen Mann über das körperlich und geistig gebrochene Unfallopfer hin zum arroganten Tyrannen und Manipulator in allen Facetten offen. Dabei bewahrt Sturridge stets eine Aura der Verletzlichkeit, die das Publikum trotz seines negativen Wandels weiter mit dem Namenlosen mitfiebern lässt. Auch die extrem sinnliche Inszenierung erleichtert die Identifikation mit der Hauptfigur: So werden etwa die Milch im Gesicht des gestürzten Protagonisten oder dessen Schmerzen beim Gehen fast körperlich spürbar gemacht. Umso härter trifft es einen, wenn sich die mühevoll zurück- und neugewonnene Realität für den Helden (und damit auch zu einem wesentlichen Teil für das Publikum) erneut zu einem diesmal sogar noch größeren Mysterium verschließt.

    Fazit: „Remainder“ ist ein Film, den man sich auch gut mehrmals angucken und über den man lange Diskussionen führen kann. Dabei überzeugt das Werk dank seines starken Hauptdarstellers nicht nur als surreale Bild-Kunst, sondern auch als das bewegende Psychogramm eines Mannes ohne Gedächtnis.

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