Seit Jahren sind MP3-Shops und Streaming-Dienste auf dem Vormarsch – analoge Tonträger scheinen in unserer digitalen Konsumära völlig aus der Zeit zu fallen. Doch es gibt unter Musikliebhabern auch eine deutliche Gegenbewegung und so erfreuen sich Vinylplatten wieder wachsender Beliebtheit. Für die guten alten Schallplatten sprechen für die Fans nicht nur klangliche Vorteile, sondern auch ihre Attraktivität als schön gestaltetes Objekt und das gute Gefühl einer physisch greifbaren Sammlung im Regal. Auch der desillusionierte Protagonist der Tragikomödie „Becks letzter Sommer“ von Regisseur Frieder Wittich („13 Semester“) gehört zu diesen Verfechtern des analogen Musikgenusses – da bietet es sich an, die Geschichte des Lehrers, der eine zweite Chance auf die Erfüllung seines Lebenstraums von der Karriere im Musikgeschäft wittert, mit den zwei Seiten einer alten Single zu vergleichen: Nach der witzig-charmanten A-Seite zwischen Schule und Aufnahmestudio folgt eine weniger inspirierte, etwas konfuse B-Seite, der trotz Road-Movie-Flairs der Schwung der ersten Filmhälfte fehlt.
Bevor Robert Beck (Christian Ulmen) seinen Eltern zuliebe Pädagoge wurde, träumte er von Erfolgen mit seiner Punkband. Nun sitzt der Enddreißiger frustriert und ohne jedweden Elan seine Stunden als Musiklehrer an einem Gymnasium ab. Doch dann entdeckt er unverhofft das Talent des zurückhaltenden Schülers Rauli Kantas (Nahuel Pérez Biscayart), der ihn mit seiner eigenwilligen Version von „Seven Nation Army“ umhaut. Plötzlich wittert der unzufriedene Pauker seine zweite Chance, sich als Musiker zu etablieren: Er beginnt voller Tatendrang Songs für seine 17-jährige litauische Entdeckung zu komponieren und setzt alle Hebel in Bewegung, um ein Plattenlabel für seinen Schützling und sich selbst zu begeistern. Doch dann zieht es Roberts Freundin Lara (Friederike Becht) für ein Designstudium nach Rom und außerdem möchte sein drogenabhängiger Ex-Band-Kollege Charlie (Eugene Boateng), dessen Mutter in Istanbul im Sterben liegt, dass er ihn in die Türkei begleitet.
Die Tragikomödie über Lebensträume und Lügenkonstrukte läuft in der ersten Filmhälfte, in der das Gespann aus unscheinbarem Jungstar in spe und ambitioniertem Mentor im Mittelpunkt steht, dank großem Musikerherz und leichtem Witz richtig rund. Wie der zugrundeliegende Roman von Benedict Wells ist aber auch Frieder Wittichs Film in zwei große Abschnitte aufgeteilt: Während es zunächst überzeugend und unterhaltsam um den neu gewonnenen Elan des Lehrers geht, der von einem unerwarteten Glücksmoment zum nächsten eilt, bis sich schließlich immer mehr Probleme vor ihm auftun, wirkt die zweite Hälfte mit der Reise nach Istanbul wie ein unausgegoren-zwanghafter Versuch etwas mehr Action und Überraschungsmomente in die Story zu bringen. Und der Film gerät sowohl beim Erzählrhythmus als auch beim Tonfall ins Schlingern.
Schon Romanautor Wells hatte beim Erschaffen der Figur des unglücklichen Lehrers mit Punkrock-Vergangenheit gedanklich Christian Ulmen („Elementarteilchen“, „Herr Lehmann“) vor Augen, der in der auf ihn zugeschnittenen Rolle des Herrn Beck dann auch tatsächlich brilliert: Er verkörpert den desillusionierten Protagonisten, der aufblüht, als sich für ihn die Möglichkeit eines aufregenderen Daseins außerhalb der Schule andeutet, mit viel Herzblut und augenzwinkerndem Witz. Und auch Nahuel Pérez Biscayart („Für immer dein“) zeigt in der Rolle des langsam selbstbewusster werdenden Außenseiters Rauli Kantas eine tolle Leistung. Das Übrige erledigt die Musik: Die frischen Indie-Rock-Songs, die von Bonaparte-Sänger Tobias Jundt auf seine ganz eigene, unnachahmliche Art vorgetragen werden, sind frech und unangepasst. Erst durch sie wird Robert Becks verstaubter Musikertraum wirklich lebendig.
Fazit: „Becks letzter Sommer“ ist ein Film über Träume vom Musikerdasein und verpasste Lebenschancen, der mit einem gut aufgelegten Christian Ulmen sowie den mitreißenden Songs von Bonaparte punktet.