Natürlich ist es nicht gerade einfach „Die fast perfekte Welt der Pauline“, Marie Belhommes ersten Spielfilm, in Deutschland zu vermarkten. Schließlich ist sein Star Isabelle Carré trotz eindrucksvoller Auftritte in Filmen wie „Die anonymen Romantiker“ und „Die Sprache des Herzens“ bei uns längst nicht so bekannt, wie sie es eigentlich sein sollte. Insofern gehört schon eine Portion Wagemut dazu, diese herrlich eigenwillige Komödie hier in die Kinos zu bringen. Außerdem hat sich der Verleih nachvollziehbarerweise ganz von dem sowieso nur sehr schwer zu übersetzenden Originaltitel „Les chaises musicales“ gelöst (eine Anspielung auf das Kinder- und Partyspiel „Die Reise nach Jerusalem“). Ob allerdings der indirekte Verweis auf Jean-Pierre Jeunets Erfolgskomödie „Die fabelhafte Welt der Amelie“ zweckmäßig ist, darf trotz allem bezweifelt werden. Weckt er doch Hoffnungen und Erwartungen, die Belhommes sprödere und auch nicht so märchenhafte Komödie gar nicht erfüllen kann. Aber das eigentliche Rätsel bleibt die Entscheidung des Verleihs, gleich auch noch Belhommes liebenswerter Antiheldin einen anderen Namen zu geben. So wird aus Perrine plötzlich Pauline, was bei der untertitelten Filmfassung zu beinahe surrealen Effekten führt.
Für die 39-jährige Pauline (Isabelle Carré) ist jeder Tag ein Kampf gegen eine Wirklichkeit, in der es für Menschen wie sie eigentlich keinen Platz gibt. Auf Zetteln an Laternenmasten bietet sie Gitarrenunterricht an. Nur kann sie davon natürlich nicht leben. Also schlägt sie sich als musikalische Alleinunterhalterin auf Kindergeburtstagen und sonstigen Feiern durch. Einen Tag kommt es dann, wie es wohl kommen musste. Nach einem Auftritt als Darth Vader bei einer Kinderparty muss sie schnell zu einem alternativen Altenzentrum fahren. Dort soll sie als Banane verkleidet die Senioren animieren. Nur verfährt sie sich auf dem Weg. Als sie an einer Mülldeponie nach dem Weg fragen will, erschreckt sie Fabrice (Philippe Rebbot), der dort gerade einige Dinge entsorgt, derart mit ihrem „Star Wars“-Kostüm, dass er in eine Grube stürzt. Sie ruft dann zwar einen Krankenwagen, wartet aber nicht auf dessen Ankunft. Nach ihrem Auftritt plagen sie allerdings extreme Gewissensbisse. Also erkundigt sie sich nach Fabrice und erfährt, dass er im Koma liegt. Fortan besucht sie ihn Tag für Tag und gibt sich als seine Halb-Cousine aus.
Mit ihrem Kinoerstling bewegt sich Marie Belhomme, die zuvor als Drehbuchautorin tätig war, auf einem extrem schmalen Grat. Schließlich erzählt sie nicht nur von einer sympathischen Träumerin, die ihr Leben nie wirklich in den Griff bekommen hat. Denn auch wenn es Pauline eigentlich immer gut meint, überschreitet sie doch immer wieder Grenzen. Natürlich sind es Schuldgefühle, die sie zunächst zu Fabrice ins Krankenhaus treiben. Aber mit der Zeit schlüpft sie immer weiter in sein Leben hinein. Erst ist es nur sein Job als Gesangslehrer, den sie aushilfsweise übernimmt. Aber schon bald kümmert sie sich auch um seinen Hund und seinen Sohn. „Die fast perfekte Welt der Pauline“ könnte also auch eine ganz andere Richtung einschlagen: In der Komödie steckt der Keim eines Psychothrillers.
Doch so seltsam sich Pauline oft verhält, Marie Belhomme und Isabelle Carré halten auf wundervolle Weise immer wieder die Balance zwischen Exzentrik und Komik. Paulines Entscheidungen sind zweifelsohne extrem anfechtbar und gelegentlich scheint sie tatsächlich die Grenze zum Pathologischen zu überschreiten. Aber genau darum geht es Marie Belhomme, gerade in den Momenten, in denen Isabelle Carrés kapriziöse Heldin allem Anschein nach zu weit geht, erobert sie das Herz des Betrachters. Es ist genau wie in Anne Sylvestres Chanson „Les gents qui doutent“, das in einer von Paulines Gesangsstunden erklingt. Diese Hymne auf all die Menschen, die nicht der vorherrschenden Norm entsprechen, ist fast so etwas wie der poetische Kern dieser Komödie. Pauline gehört zu denen, die immer zweifeln, die einfach nicht in der Lage sind, so zu funktionieren, wie die Gesellschaft es fordert. Aber Paulines Eigenheiten sind keine Defekte. Sie deuten vielmehr einen Weg aus einer Wirklichkeit an, in der Menschen mit den gleichen Maßstäben wie Waren gemessen werden. So ist Paulines ewige Fremdheit bei Isabelle Carré nicht nur etwas Anrührendes, sondern auf sanfte Weise revolutionär. Schließlich gehört zu einem Leben wie dem von Pauline viel mehr Mut als zu einem, das nur den Anschluss an die Mehrheit sucht.
Fazit: In ihrem schön verschrobenen Kinodebüt feiert Marie Belhomme all die Menschen, die nicht in gängige Muster passen. Dabei gelingt es ihr, selbst potentiell peinliche Szenen ganz leicht und selbstverständlich in Szene zu setzen.