Gerade in der Landwirtschaft wird es heutzutage immer schwerer, sich der fortschreitenden Industrialisierung zu verweigern. Der daraus entstehende Konflikt zwischen nostalgischen Bildern aus Kinderbüchern und Heimatfilmen einerseits und Melkmaschinen und Computerlogistik andererseits reizt viele Dokumentarfilmer. Nachdem in „Die schöne Krista“ das Supermodel unter den Milchkühen zur Hauptfigur wurde, widmet sich der Münchner Regisseur Matti Bauer („Lokalderby“, „Domspatzen“) in „Still“ einer Bäuerin, deren Alltag in unaufgeregten Schwarzweißbildern eingefangen wird, wobei der Zwiespalt zwischen Tradition und Moderne auch zum Problem des Films wird.
Über einen Zeitraum von fast zehn Jahren wird das Leben der Bäuerin Uschi dokumentiert, die sich zunächst (zu Beginn des Films ist sie 30) noch ihre Unabhängigkeit bewahrt, den Sommer allein als Sennerin auf der Alm verbringt, von ihren Reiseerfahrungen erzählt und wenig Interesse am Heiraten und Kinder kriegen zeigt. Mit der Zeit wird sie aber immer stärker damit konfrontiert, den Hof ihrer Eltern (Vater Stefan ist 40 Jahre älter) zu übernehmen, wobei ihre ungeplante Schwangerschaft und der kleine Jakob spätere Entschlüsse naturgemäß beeinflussen und Uschi ihren Lebensstil anpassen muss.
Neben der Aufzeichnung alltäglicher Arbeitsschritte wie der Käseerstellung der Birnenernte oder der Schnapsbrennerei werden auch viele Interviews (bayerisch mit Untertiteln) eingesetzt, wobei sich überraschenderweise Uschis Mutter Rosi im Rentenalter jene Individualität nimmt, die ihr Zeit Lebens verwehrt worden war. Eine früh einsetzende „Erzählerstimme“ des Regisseurs wirkt zunächst (trotz nur partiellem Einsatz) sehr störend, erweist sich dann aber als unerlässlich, weil bei den langjährigen Filmaufnahmen auch zum Problem wird, dass die Hauptfigur nicht immer so kooperativ mit dem kleinen Filmteam zusammenarbeitet wie beim ersten Sommer auf der Alm. Als ihre Familie immer mehr in die Geschichte des Films verstrickt wird, verweigert sich Uschi manchmal der Dokumentation, und dieses Abenteuer auf der Metaebene prägt den Film sehr.
Die Schwarzweißfotografie, die neben dem offensichtlichen ästhetischen Reiz nicht etwa die nostalgische Atmosphäre verstärken soll, sondern vom Regisseur gewählt wurde, um die „harte Realität“ des Hofs und seiner Probleme einzufangen, leidet etwas unter der offensichtlichen Digitalkamera, die zum einen manchmal pixelig oder unscharf wirkt, zum anderen aber gerade bei Nachtaufnahmen ein geradezu „unnatürliches“ Kontrastspektrum liefert, das mit klassischem Schwarzweiß nur noch wenig gemein hat. Für Puristen ist es auch etwas störend, dass man nicht erst bis zum Abspann warten muss, um sich sicher zu sein, dass die Tonabmischung weniger ein Abbild liefert, sondern bis ins Detail inszeniert ist. Als nach dem Verkauf einiger Kühe Uschi offensichtlich nicht gefilmt werden wollte (und man diesen Wunsch auch akzeptiert), hört man stattdessen auf der Tonspur vielsagende Geräusche, ehe dann Vater Stefan in ein Taschentuch schnäuzend durchs Bild geht. Wo man die Emotionen nicht filmen darf, hilft man sich im Schneideraum.
Entsprechend sind auch die Kuhglocken als Soundtrackersatz dauerpräsent und manches Wiederkäuen wirkt viel zu laut, man evoziert eine intime Nähe, die nicht den Umständen der Filmarbeiten zu entsprechen scheint. Trotzdem ist „Still“ eine sehr interessante Doku, die mit der Ziege „Fleckerl“ und dem rasant größer werdenden Jakob auch zwei echte Stars hat, die immer für einen Schabernack zu haben sind, und dadurch zum Unterhaltungswert beitragen.
Fazit: Zwischen den malerischen Gipfeln des Voralpenlands offenbart sich eine Familiengeschichte wie aus einem Heimatfilm, nur mit einer elliptischen, nicht immer freiwilligen Distanz, die einiges nur andeutet, was auf der Alm so passiert.