Die unglaubliche Story von Barry Seal ist eine dieser durchgedrehten Geschichten, die man jedem Drehbuchautor sofort mit Schmackes um die Ohren hauen würde, wenn sie nicht tatsächlich genauso passiert wäre. Zwischen 1978 und 1986 schmuggelte der amerikanische Pilot Waffen, Drogen und Menschen im ganz, ganz großen Stil für die CIA und das Medellín-Kartell von Pablo Escobar. Der Straßenwert der von ihm in die USA gebrachten Drogen soll sich auf insgesamt drei bis fünf Milliarden (!) Dollar belaufen – und trotz unwiderlegbarer Beweise wurde er dafür nur zu ein paar Sozialstunden verurteilt, weil die US-Regierung trotz der Festnahme weiter auf seine Dienste setzte. Das Verhalten wirklich aller Beteiligten ist nüchtern betrachtet der pure Wahnsinn – und genau deshalb tut Regisseur Doug Liman („Edge Of Tomorrow“, „The Wall“) gut daran, die Geschichte in „Barry Seal – Only In America“ als abgefahrene Highspeed-Abenteuer-Komödie im digitalen Doku-Look umzusetzen. So wandelt er zwar durchaus auf den Spuren solcher Vom-Tellerwäscher-zum-(illegalen)-Multimillionär-Erzählungen wie „GoodFellas“ oder „The Wolf Of Wall Street“, aber (fast ganz) ohne den moralischen Zeigefinger, den Martin Scorsese als guter Katholik in seine Filme einzubauen pflegt. „Barry Seal“ zelebriert die hemmungslos-exzessive Verwirklichung des amerikanischen Traums - bis hin zur Einblendung einer Karte, auf der Nicaragua an der falschen Stelle verortet wird. Denn wer weiß als durchschnittlicher US-Bürger (oder CIA-Agent) um Himmels Willen schon, wo genau das mittelamerikanische Land eigentlich liegt?
Barry Seal (Tom Cruise) war der jüngste Pilot in der Geschichte der Fluggesellschaft TWA. Aber Ende der 1970er schlaucht ihn der Job nur noch. Wenn er nach Hause kommt, fällt er sofort schlafend ins Bett, statt auf die Avancen seiner attraktiven Frau Lucy (Sarah Wright) einzugehen. Das liegt allerdings nicht an zu viel Stress, sondern im Gegenteil an zu wenig Action. Manchmal schaltet Barry während eines Flugs sogar den Autopiloten aus, um seine schlafenden Passagiere mit einem angedeuteten Sturzflug zu erschrecken. Aber das alles ändert sich schlagartig, als Barry von dem CIA-Agenten Monty Schafer (Domhnall Gleeson) für eine Südamerika-Mission angeheuert wird. Fortan macht Barry unter MG-Feuer Luftaufnahmen von kommunistischen Lagern, transportiert Waffen zu Rebellen nach Nicaragua und chauffiert auf dem Rückflug noch Haufenweise Drogen für seine Freunde des Medellín-Kartells zurück in die Staaten. Damit verdient er so viel Geld, dass er schon bald gar nicht mehr weiß, wo er es auf seinem gigantischen Provinz-Grundstück in Arkansas überhaupt noch alles vergraben soll. Und im Schlafzimmer läuft plötzlich auch alles wieder rund…
Nachdem uns „Jack Reacher 2: Kein Weg zurück“ und „Die Mumie“ doch ziemlich enttäuscht haben, waren auch wir zuletzt eher der Meinung, der ewig junge Tom Cruise sollte so langsam mal das nächste Kapitel in seiner Karriere aufschlagen und mehr altersgerechte Rollen übernehmen. Aber diese Forderung werden wir nach „Barry Seal“ noch einmal in Ruhe überdenken. Denn obwohl der 55-Jährige auch diesmal wieder eine deutlich jüngere Figur spielt (Barry Seal ist im Film zwischen 39 und 46 Jahre alt), können wir uns schlicht keinen passenderen Darsteller für diesen mit allen Wassern gewaschenen Tausendsassa vorstellen: Egal ob in „Lockere Geschäfte“, „Top Gun“ oder „Jerry Maguire“ – niemand verkörpert unbedarftes amerikanisches Draufgängertum derart glaubhaft und mitreißend wie der „Mission: Impossible“-Star. Wenn Barry mit seinem Flugzeug auf der Flucht vor den Drogenfahndern der DEA mitten in einer Wohnsiedlung eine Bruchlandung hinlegt und anschließend vollgestaubt mit Kokain, als hätte er sich gerade in Mehl gewälzt, einem Jungen sein Kinderfahrrad abkauft, um auf dem viel zu kleinen Gefährt vor der Polizei davon zu radeln, dann hätte die Szene sehr leicht ins Lächerliche abgleiten können. Aber Tom Cruise verkauft selbst solch einen Moment purer Absurdität noch absolut glaubhaft – einfach immer weiter, schneller, höher und größer. Und mit der Erektion klappt es so auch wieder (inklusive einem Parabellflug als ultimative Orgasmus-Metapher).
Aktuell läuft’s unter der Trump-Regierung zwar auch wieder drunter und drüber, aber in den Siebzigern und Achtzigern hat im US-amerikanischen Staatsapparat und speziell in der CIA offenbar jeder gemacht, wozu er gerade Lust hatte. Wenn sich die Regierung in den Kopf setzt, dass in irgendeinem Land irgendeine Rebellenfraktion unterstützt werden soll, dann wird das halt gemacht – ohne jeden Sinn und Verstand. Und wenn die Hälfte der zum Training eingeflogenen, lustlosen Revolutionäre schon in den ersten Tagen einfach abhaut, um in den USA unterzutauchen, dann ist die „logische“ Reaktion der CIA darauf eben, einfach noch viel mehr einzufliegen, damit am Schluss zumindest ein paar Soldaten übrigbleiben, die man ausgebildet wieder zurückschicken kann. Es ist erstaunlich, mit welch trockener Konsequenz Regisseur Doug Liman trotz all der Absurditäten seinen vergleichsweise nüchternen Stil durchzieht (der schon erwähnte Landkartengag ist eine der wenigen Ausnahmen). Aber bei all dem ungebremsten Irrsinn mit der Inszenierung noch zusätzlich einen draufzusetzen, wäre vermutlich auch gar nicht möglich und vielleicht sogar kontraproduktiv gewesen, denn das satirische Feuerwerk zündet auch so ganz von allein. „Barry Seal“ ist „Grand Theft Auto V“ in echt - was für ein hemmungsloser Kinospaß!
Fazit: Eine ebenso unglaubliche wie unglaublich unterhaltsame wahre Geschichte mit einem Tom Cruise in absoluter Bestform.